Jacques Tilly
Jacques Tilly (* 27. Juni 1963 in Düsseldorf) ist ein deutscher Bildhauer und Kommunikationsdesigner sowie Karnevalswagenbau-Künstler.
Herkunft und Studium
Jacques Tilly besuchte von 1973 bis 1982 das Comenius-Gymnasium in Düsseldorf. Seit 1984 entwirft und baut er politisch-satirische Wagen für den Düsseldorfer Rosenmontagszug. Von 1985 bis 1994 studierte er an der Universität Essen Kommunikationsdesign. Er ist Mitglied des Beirats der evolutionär-humanistischen Giordano Bruno Stiftung.[1] Jacques Tilly lebt mit seiner Frau, der Filmemacherin Ricarda Hinz, in Düsseldorf-Oberkassel. Als Wohnstandort ist Oberkassel bei Künstlern beliebt, da es hier viele der in Düsseldorf begehrten großen Altbauwohnungen gibt und der Stadtteil eine gute Infrastruktur bietet.
Künstlerisches Schaffen
Karnevalswagen
Die Karnevalswagen aus der Werkstatt von Jacques Tilly zeichnen sich durch eine besonders bissig-satirische Art aus, die vor allem aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen thematisieren. Diese Karnevalswagen haben dem Düsseldorfer Rosenmontagszug eine verstärkte bundesweite[2] und internationale[3][4] Aufmerksamkeit verschafft. Viele seiner Wagen und Entwürfe haben lautstarke Proteste hervorgerufen. Die Chronik der umstrittenen Motivwagen aus Düsseldorf ist lang:
- 1994 ein nackter Kanzler Kohl: Nachdem ein Bonner CDU-Anwalt mit einstweiliger Verfügung gedroht hatte, musste eine Figur umgebaut werden, die den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl als nackten Urwaldindianer darstellte.
- 1996 Kruzifixwagen: Eine bundesweite Protestwelle stoppte den Weiterbau eines politischen Wagens, der die Reaktion bayerischer Politiker auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil aufs Korn nahm.[5]
- 1997 Busenkrieg: Als auf einem Wagen das vom Kölner Dachverband der Karnevalisten ausgesprochene „Busenverbot“ im Karneval verspottet wurde, kam es zum „Busenkrieg“ zwischen Köln und Düsseldorf.
- 2000 Stichwahl: Ein Wagen, der die in einer Stichwahl unterlegene Düsseldorfer SPD-Oberbürgermeisterin Marlies Smeets ins Bild setzte, konnte nach Protesten nicht realisiert werden. Seit diesem Vorfall hält Tilly unter Inanspruchnahme der Narrenfreiheit alle politischen Wagen Düsseldorfs bis zum Rosenmontagszug geheim.Stand 2018, manche werden erst in den allerletzten Stunden fertiggestellt.
- 2005 Kardinal Meisner: Ein Wagen, der Kardinal Meisners Haltung zur Abtreibung satirisch darstellte, rief starke Proteste katholischer Organisationen hervor.
- 2007 Selbstmordattentäter: Der Zentralrat der Muslime übte heftige Kritik an einem Wagen, der sich über islamistische Selbstmordattentäter lustig machte.
- 2009 Skinhead Rüttgers: Ein Wagen, auf dem der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rüttgers als Skinhead auf die Obdachlosenhilfe einschlug, führte direkt zur Rücknahme der Streichung der Obdachlosenhilfe durch die Landesregierung.
- 2009 Papst-Wagen: Kardinal Meisner kritisierte den Wagen, auf dem Papst Benedikt dem mit „Antisemitismus“ beschrifteten Teufel in der Gestalt von Richard Williamson die Hand schüttelte: „Es ist mir ein Anliegen, dies nicht unwidersprochen zu lassen. Die Darstellung ist nicht nur falsch, sie ist auch verletzend.“[6]
- 2015 Charlie-Hebdo-Wagen: Die Düsseldorfer Karnevalisten ließen, im Gegensatz zu vorsichtigeren anderen Städten, gleich vier Wagen von Jacques Tilly zum islamistischen Terror fahren, um die Narrenfreiheit zu verteidigen. So wurde über den Rosenmontagszug auch in den Fernsehnachrichten von ARD und ZDF besonders als politisches Ereignis und nicht nur als Brauchtum berichtet.[7]
- 2016 Jarosław-Kaczyński-Wagen, auf dem Kaczyński, in Militäruniform, seinen Fuß auf den Kopf der vor ihm niederknienden Polin stellte. Neben ihm stand dabei ein Radio mit der Beschriftung Radio Maryja.[8]
Neben den politischen Wagen bauen Jacques Tilly und sein Team jährlich Dutzende Prunk- und Werbewagen für Düsseldorf und andere Städte wie Aachen, Krefeld, Hilden, Ratingen. Außerdem entstehen in seiner Werkstatt karnevalistische Bühnendekorationen, unter anderem für die Fernsehsitzung des Düsseldorfer Karnevals.
- Merkel in Amerika (2003)
- Kardinal Meisner pflegt die Tradition (2005)
- Selbstmordattentäter (2007)
- „Brexit“ und Jacques Tilly (2018)
- Brexit (2019)
Großplastiken
Das Team um Jacques Tilly übernimmt in der karnevalsfreien Zeit auch Auftragsarbeiten. Mit den Großplastiken, wie zum Weltjugendtag Köln 2005, zum G20-Gipfel in Hamburg 2017 oder zum Brexit, beziehen der Künstler und sein Team immer wieder Stellung zu politischen und weltanschaulichen Fragen.
- Schalke-Köpfe (2001)
- Papst-Saurier (2005)
- Prügel-Nonne (2010)
- Donald Trump als Baby (2017)
- Anti-Brexit-Protestwagen, Manchester (2017)
Anlässlich der Schließung der Galeria-Karstadt-Kaufhof-Filiale am Bahnhof Düsseldorf Wehrhahn installierte Tilly für eine ver.di-Protestveranstaltung eine drei Meter hohe Plastik von René Benko. Anschließend forderten die Organisatoren[9] entlassene Mitarbeiter auf, diese zu demolieren, was einige in Anspruch nahmen.[10]
Filme
- 2015: Die große Narrenfreiheit. Ein Dokumentarfilm über Jacques Tilly und den Düsseldorfer Karneval[11][12]
- 2016: Jacques Tilly - Enfant terrible des Karnevals. Dokumentarfilm von Christoph Simon und Holger Möllenberg.[13]
Publikationen
- Satire, Kunst und Karneval. Droste Verlag, Düsseldorf 2015, ISBN 978-3-7700-1565-8.
- mit einem Vorwort von Jürgen Becker: Despoten. Demagogen. Diktatoren. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2018, ISBN 978-3-86569-299-3.
- Mehr Wagen. Das Werkstattbuch. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2020, ISBN 978-3-86569-313-6.
Literatur
- Udo Achten: Jacques Tillys Narrenfreiheit. Klartext-Verlag, Essen 2007, ISBN 978-3-89861-728-4.
Auszeichnungen
- 2008: Verleihung der Klinzingplakette[14]
- 2013: Verleihung der Leo-Statz-Plakette[15]
- 2013: Verleihung des Düsseldorfer des Jahres in der Rubrik Kultur[16]
- 2016: Verleihung des Jan-Wellem-Rings der Stadt Düsseldorf[17]
- 2017: Menschenrechtspreis von Amnesty International[18]
- 2019: Preis für Zivilcourage durch den Heinrich-Heine-Kreis[19][20]
- 2019: Preis für bildende Künstler durch die Düsseldorfer Jonges[21][22]
- 2020: Verleihung des Rheinlandtalers durch den Landschaftsverband Rheinland[23][24]
Weblinks
- Literatur von und über Jacques Tilly im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Website von Jacques Tilly
- Jochen-Martin Gutsch: Der Zugphilosoph: Ortstermin: Wie in Düsseldorf Politik zur Rosenmontagsware wird. In: Der Spiegel. Nr. 8, 2007, S. 69 (online – 17. Februar 2007).
- Peter Maxwill: Skandalwagen im Karneval: „Ja der Penis, mein Gott noch mal!“ In: Spiegel Online. 17. Februar 2012 (Interview mit Jacques Tilly).
- Katja Iken: Rosenmontag: „M’r könne wieder lache!“ In: Spiegel Online. 3. Februar 2008 .
- Dossier über Jacques Tilly. In: RP Online.
- Anita Hirschbeck: Karnevalswagenbauer Jacques Tilly: Auch die Kirche braucht Kritik. In: katholisch.de. 24. Februar 2020 .
Einzelnachweise
- Beirat Giordano Bruno Stiftung. giordano-bruno-stiftung.de, abgerufen am 24. Oktober 2020.
- Website: Titelseiten mehrerer Zeitungen vom 5. Februar 2008
- Website: Zeitschrift „China Daily“ vom 5. Februar 2008
- Website: Titelseite der Zeitschrift „Al-Quds Al-Arabi“ vom 24. Februar 2004, erscheint weltweit
- Website: Dokumentation der Vorgänge von Ricarda Hinz (YouTube)
- Joachim Kardinal Meisner: Kardinal hält Karnevalswagen für verletzend. 27. Februar 2009, abgerufen am 17. Juni 2009.; siehe auch Kardinal Meisner schimpft über Karnevalswagen. RP Online, 24. Februar 2009, abgerufen am 5. März 2019.
- Website: ARD Tagesthemen vom 16. Februar 2015 (YouTube)
- TVN24: Polska pod butem Kaczyńskiego na niemieckiej paradzie vom 8. Februar 2016
- Galeria: 35 Filialen schließen, Abschied voller Frust - ZDFheute. ZDF, 17. Oktober 2020, abgerufen am 12. Oktober 2021.
- Uli Kreikebaum: Einfach verscherbelt. In ver.di Publik 7/2020, S. 16
- express.de: Film zum Düsseldorfer Zoch: Jacques Tilly: "Wahnsinn, was nach Rosenmontag abging", 18. März 2015
- narrenfreiheit-film.de, Webseite der Filmemacher Steve Antonin ("Kalkofes Mattscheibe"), Daniela Antonin und Michael Goergens
- Erstsendung im WDR am 7. Februar 2016, abgerufen am 7. November 2020. Jetzt noch auf YouTube.com, abgerufen am 7. November 2020
- Künstler Jacques Tilly jetzt im Karl-Klinzing-Klub: „Wäre wirklich schön blöd, nach Köln auszuwandern“. duesseldorf-blog.de, 17. Oktober 2008, abgerufen am 24. Oktober 2020.
- Atheist Jacques Tilly mit Leo Statz-Plakette geehrt. bild.de, 13. Januar 2013, abgerufen am 24. Oktober 2020.
- Das sind die Düsseldorfer des Jahres 2013. rp-online.de, abgerufen am 24. Oktober 2020.
- Jan-Wellem-Ring für Jacques Tilly. lokalkompass.de, 28. Januar 2016, abgerufen am 28. Januar 2016.
- GELBES TRIKOT DER MENSCHENRECHTE FÜR KÜNSTLER JACQUES TILLY. amnesty.de, 28. Juni 2017, abgerufen am 28. Juli 2017.
- Jacques Tilly für Zivilcourage geehrt. duesseldorf.de, 29. März 2019, abgerufen am 24. Oktober 2020.
- Große Ehre für Wagenbauer Jacques Tilly erhält Preis vom Heinrich-Heine-Kreis. express.de, 27. Februar 2019, abgerufen am 24. Oktober 2020.
- Preis für Bildende Künstler 2019 an Jacques Tilly überreicht. lokalbuero.com, 28. Mai 2019, abgerufen am 24. Oktober 2020.
- Düsseldorfer Jonges ehren Jacques Tilly – und Kabarettist Jürgen Becker hält die Laudatio. report-d.de, 29. Mai 2019, abgerufen am 24. Oktober 2020.
- Rheinlandtaler an Jacques Tilly verliehen. duesseldorf.de, 20. Oktober 2020, abgerufen am 24. Oktober 2020.
- Düsseldorf: Jacques Tilly mit Rheinlandtaler geehrt. report-d.de, 20. Oktober 2020, abgerufen am 24. Oktober 2020.