Jacquardwebstuhl
Als Jacquardwebstuhl bezeichnet man den von Joseph-Marie Jacquard weiterentwickelten Webstuhl.
Schon in prähistorischer Zeit gab es in vielen Teilen der Welt einfache Webstühle. Doch erst 1785 erfand der Engländer Edmund Cartwright den ersten mechanischen Webstuhl. Eine erhebliche Verbesserung brachte schließlich am 19. April 1805 die Webmaschine des französischen Seidenwebers Joseph-Marie Jacquard (1752–1834). Gesteuert durch je eine Lochkarte pro Schuss werden mit ihm Kettfäden einzeln hochgezogen und so das Weben groß gemusterter Gewebe ermöglicht (Jacquardmusterung). Der Unterschied zu Damastwebstühlen, mit deren Hilfe ähnliche Gewebe hergestellt werden, besteht darin, dass dort Kettfäden nur in Gruppen ausgehoben werden können.
Nach dem jacquardschen Prinzip wurden einige Jahrzehnte später auch Musterungsvorrichtungen für Strick- und Wirkmaschinen konstruiert.
Funktionsweise der Webmaschine mit Jacquardeinrichtung
Einzelne Litzen sind an Hebeschnüren (Harnischen) befestigt, die an speziellen Haken (Platinen) hängen. Durch die vertikale Bewegung der Platinen werden bei jeder Maschinenumdrehung einzelne Kettfäden in den oberen oder unteren Teil des Webfaches geleitet.
Beim ursprünglichen Jacquardwebstuhl wurden die Platinenbewegungen durch Lochkarten gesteuert. Dies war eine der ersten bekannten Anwendungen der Lochkartentechnik überhaupt. Die meisten neueren Einrichtungen arbeiten mit elektromagnetischer Übertragung der vom Computer gegebenen Steuerungsimpulse.
Moderne Jacquardmaschinen arbeiten mit bis zu 24.000 Platinen. Das bedeutet, dass das gewebte Muster die Größe einer ganzen Webmaschinenbreite erreichen kann.
Im Jahr 2007 sollte eine Jacquardmaschine auf den Markt kommen, bei der die Litzen ohne das komplizierte System der Harnische gesteuert werden.
Funktionsfähige Jacquard-Webstühle
Ein alter Jacquard-Webstuhl mit Lochkartensteuerung wird im Betrieb vorgeführt u. a. im Tuchmachermuseum in Bramsche bei Osnabrück. Ein voll funktionsfähiger Jacquard-Webstuhl mit Lochkartensteuerung befindet sich im „Technischen Museum der Bandweberei“ in Großröhrsdorf.[1] Alte Jacquard-Webstühle sind auch noch bei der „Mechanischen Weberei H. Egelkraut“[2] in Trutzhain im Einsatz und werden vorrangig zur Produktion von Kleinmengen an Stoffen für Kirchen, Theater, Film, Musikinstrumente oder Trachten verwendet. Auch im Textilmuseum von Roubaix gibt es funktionsfähige Maschinen.
Noch heute werden in der früheren Möbelstoff-Weberei Cammann & Co., heute Cammann Gobelin Manufaktur in Braunsdorf bei Chemnitz, Jacquard-Stoffe auf 60 Jahre alten Chemnitzer Schönherr-Webstühlen mit Lochkarten nach dem Prinzip von Joseph-Marie Jacquard hergestellt.
Jacquardeinrichtung an der Raschelmaschine
An Jacquardlegebarren ist jeweils zwischen zwei Lochnadeln ein beweglicher Stift angebracht, der durch ein Musterungsprogramm gesteuert wird. Mit Absenkung des Stifts wird die entsprechende Lochnadel zur Nachbarnadel verdrängt, wo sich eine Masche aus zwei Fäden bildet und andererseits eine Öffnung im Gewirk entsteht.
Jacquardlegebarren werden oft mit so genanntem Fallblech und mit einem ganzen Satz Legebarren (Multibarren) kombiniert. Zu umfangreichen Musterungen werden zum Beispiel Kombinationen von Trikot- mit Köper- oder Fransenbindung gebildet, Musterung von Spitzen (Ersatz für frühere Bobinetten) kreiert usw.
Da der Verbrauch einzelner Fäden einer Kette an den Jacquardwirkmaschinen sehr unterschiedlich sein kann, werden keine Ketten geschärt, sondern einzelne Fäden von Spulen im Spulengatter abgewickelt.
Jacquardeinrichtung an Strick- und Kuliermaschinen
Jede einzelne Strick- oder Wirknadel wird direkt gesteuert; somit können in einer Maschenreihe nebeneinander unterschiedliche Bindungselemente wie Masche, Henkel und Flottung in verschiedenen Farben kombiniert werden.
Die Musterung kann am Rechner programmiert und direkt an die Maschine übertragen werden.
Auch Handstrickmaschinen können mit einer Jacquardeinrichtung ausgestattet sein.
Literatur
- Fabia Denninger, Elke Giese: Textil- und Modelexikon. 2 Bände. Deutscher Fachverlag Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-87150-848-9.
- Mon Tricot & Plus. Ediclair, Paris 1980, ISSN 0247-2708.
- Birgit Schneider: Textiles Prozessieren. Eine Mediengeschichte der Lochkartenweberei. Diaphanes Verlag Berlin/Zürich 2007 ISBN 978-3-03734-007-3.
- Almut Bohnsack: Der Jacquard-Webstuhl. Deutsches Museum, München 1993.
Weblinks
Einzelnachweise
- Technisches Museum der Bandweberei Großröhrsdorf; abgerufen am 8. Mai 2020
- Historische Weberei Egelkraut – Geschichte, abgerufen am 11. Juni 2016