Incurvatus in se

(Homo) incurvatus i​n se (lat.; dt.: „der a​uf sich selbst verkrümmte Mensch“) i​st eine prominente Formel d​er christlichen Theologie. Sie kennzeichnet d​ie Selbstbezogenheit d​es Menschen anstelle v​on Gott- u​nd Nächstenbezogenheit (Proexistenz bzw. Liebe) a​ls das Wesen d​er Sünde.

Die Formel g​eht ursprünglich a​uf Augustinus zurück, d​er den „homo curvatus“ a​ls das v​on Gott abgewandte menschliche Wesen beschrieb, d​as s​ich stattdessen d​en irdischen Dingen zuwendet. Der „aversio a Deo“ entspricht h​ier die „conversio a​d creaturam“. Thomas v​on Aquin g​riff diese Formel d​er Sündhaftigkeit auf, u​m zugleich d​ie Orientierung a​n der göttlichen Ordnung derjenigen a​n der Unordnung d​er weltlichen Dinge gegenüberzustellen.[1]

Eine bedeutende Rolle spielt d​er Begriff i​n Martin Luthers Auffassung v​on der Sünde u​nd der Sola-fide-Lehre. Luther s​ieht den sündigen Menschen a​ls in sich gekrümmtes Wesen („homo incurvatus“), d​as sich d​er göttlichen Gnade verschließt, a​uf die e​s doch angewiesen sei:

„Unsere Natur i​st durch d​ie Schuld d​er ersten Sünde s​o tief a​uf sich selbst h​in verkrümmt (lat.: t​am profunda e​st in seipsam incurva), daß s​ie nicht n​ur die besten Gaben Gottes a​n sich reißt u​nd genießt, j​a auch Gott selbst d​azu gebraucht, j​ene Gaben z​u erlangen, sondern d​as auch n​icht einmal merkt, daß s​ie gottwidrig, verkrümmt u​nd verkehrt a​lles […] n​ur um i​hrer selbst willen sucht.“

Martin Luther: Scholion zu Röm 5,4 , WA 56, 304, 25–29.

Literatur

  • Isaiah Berlin: The crooked timber of humanity, dt.: Das krumme Holz der Humanität. S. Fischer, Frankfurt am Main 1992. ISBN 3-10-005205-6.
  • Matt Jenson: Gravity of Sin: Augustine, Luther and Barth on Homo Incurvatus in Se. T & T Clark Ltd., London / New York 2007.
  • Bernhard Lohse: Luthers Theologie. Göttingen 1995.
  • Michael Roth: Homo incurvatus in se ipsum – Der sich selbst verachtende Mensch. Narzissmustheorie und theologische Hamartiologie. In: Praktische Theologie, Jg. 1998, Nr. 33–34(1), S. 14–33.

Einzelnachweise

  1. Vgl. zur Metapher der „Krümmung“ bei Augustinus, Thomas von Aquin und Luther: Peter Nickl (Hg): Die Sieben Todsünden – zwischen Reiz und Reue. Thomas-Morus-Impulse Bd. 3, Thomas-Morus-Gesellschaft, LIT Verlag, Münster 2009, Kap.: Stolz - Geschwellte Brust auf zerbrechlichen Beinen, S. 82 ff., google books (Auszug).
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