Hochtastfahrt
Hochtastfahrten sind Versuchsprogramme, die vor der Inbetriebnahme neuer Bahnstrecken oder -fahrzeuge durchgeführt werden, um deren Betriebssicherheit bei der künftig zugelassenen Streckenhöchstgeschwindigkeit nachzuweisen.
Während der Hochtastfahrten wird die Strecke wiederholt befahren. Die erste Fahrt erfolgt mit geringer Geschwindigkeit. Während jeder Versuchsfahrt werden alle wesentlichen Parameter wie der Lauf des Fahrzeugs im Gleis, die Lage der Fahrleitung und die elektrotechnischen Kennwerte überwacht und aufgezeichnet. Erst wenn dadurch die Betriebssicherheit nachgewiesen wurde, erfolgt die nächste Fahrt mit einer etwas höheren Geschwindigkeit. Die letzte Fahrt erfolgt mit mindestens zehn Prozent über der Strecken- respektive Fahrzeughöchstgeschwindigkeit.[1]
Beispiele für Hochtastfahrten
- Vor der ICE-Weltrekordfahrt am 1. Mai 1988: Die Schnellfahrversuche hatten bereits im Sommer 1985 begonnen und nach zahlreichen Fahrten über 200 km/h zum deutschen Rekord am 19. November 1985 mit 324 km/h geführt. Die Hochtastfahrten für den Weltrekord begannen nach Teilfertigstellung der Neubaustrecke Würzburg-Fulda am 22. April 1988 mit 220 km/h und führten am 1. Mai zum Weltrekord von 406,9 km/h.[2]
- Zur Inbetriebnahme der Schnellfahrstrecke Nürnberg–Ingolstadt 2006: Die Hochtastfahrten fanden an achtzehn Tagen ab dem 1. Dezember 2005 statt. Die höchste erreichte Geschwindigkeit betrug 330 km/h.[3]
- Zur Inbetriebnahme des Katzenbergtunnels 2012: Die Hochtastfahrten wurden vom 17. September bis 5. Oktober 2012 bis zur Abnahme-Geschwindigkeit von 275 km/h durchgeführt.[4] Die Inbetriebnahme erfolgte am 4. Dezember 2012.
- Auf der Neubaustrecke Erfurt–Gröbers fanden die Hochtastfahrten vom 1. bis 19. September 2014 bis zu einer Geschwindigkeit von 330 km/h statt.[5] Zusammen mit weiteren Versuchs- und Demonstrationsfahrten wurden bis zur Eröffnungsfahrt am 9. Dezember 2015 rund tausend Fahrten durchgeführt.[6]
- Bei den Hochtastfahrten für die Schnellstrecke LGV Est kam es am 14. November 2015 zwölf Kilometer vor Straßburg zum Eisenbahnunfall von Eckwersheim, als der Testzug in der Kurve vor der Einfädelung in die Bestandsstrecke entgleiste. Es waren elf Todesopfer und 42 Verletzte zu beklagen, darunter vier Kinder, die unerlaubt Angehörige des Testteams begleiteten. Ursache war überhöhte Geschwindigkeit (am Kurveneinlauf 265 km/h statt der in der Kurve zugelassenen 160 km/h bzw. 176 km/h mit der zehnprozentigen Überschreitung).[7] Die Zugbeeinflussung war ausgeschaltet, um die Überschreitung der Streckenhöchstgeschwindigkeit von 320 km/h bis auf 352 km/h zu ermöglichen.[8]
- Aufgrund fehlender Zeit für Hochtastfahrten in einem spät fertiggestellten Abschnitt der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm soll zwischen Ende 2022 und 2025 nur ein eingeschränkter Betrieb mit 160 statt 250 km/h möglich sein.[9][10]
Einzelnachweise
- Start der Hochtastfahrten: Mit 330 Stundenkilometern zwischen Nürnberg und Ingolstadt. Deutsche Bahn AG. 1. Dezember 2005. Abgerufen am 28. Oktober 2013: „Bei den Hochtastfahrten wird die Geschwindigkeit stufenweise bis hin zur vorgeschriebenen Streckenhöchstgeschwindigkeit (300 km/h) gesteigert. Im Rahmen der fahrtechnischen Freigabe und um größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten, muss der Messzug um zehn Prozent schneller als die vorgesehene fahrplanmäßige Höchstgeschwindigkeit fahren. Im Rahmen des Prüfprogramms Hochtastfahrten werden das Laufverhalten des Fahrzeuges sowie das Zusammenwirken von Stromabnehmer und Oberleitung vorschriftsmäßig geprüft.“
- Heinz Kurz, Intercity Express, EK-Verlag Freiburg 2009, ISBN 978-3-88255-228-7
- Spiegel Online vom 1. Dezember 2005, abgerufen am 26. Oktober 2013
- Eisenbahn-Kurier vom 14. September 2012, abgerufen am 26. Oktober 2013
- Schnelle Fahrten auf der Neubaustrecke Erfurt-Leipzig/Halle. "ICE-S-Schauen" am 1.9. in Kalzendorf Pressemitteilung der Deutschen Bahn vom 1. September 2014
- 1000 Testfahrten auf neuer ICE-Strecke Erfurt - Leipzig absolviert, Ostthüringer Zeitung vom 13. November 2015
- Unglück bei TGV-Testfahrt: Schnellzug bremste zu spät in Spiegel online vom 19. November 2015
- Unfall verzögert Eröffnung des TGV Est, Neue Zürcher Zeitung, 16. November 2015
- Christian Milankovic: Bahnstrecke nach Ulm wird ausgebremst. In: Stuttgarter Nachrichten. Band 76, Nr. 295, 21. Dezember 2021, S. 6.
- DVWG Live - Herausforderungen bei der Inbetriebnahme des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm (ab 0:25:55) auf YouTube, abgerufen am 20. Dezember 2021.