Harmonie (Kunst)
Der Begriff Harmonie (von altgriechisch ἁρμονία harmonía, deutsch ‚Ebenmaß, Harmonie‘) bezeichnet ein System emotionaler Gesetzmäßigkeiten, die über den jeweiligen Zeitgeschmack und sich wandelnde Schönheitsideale hinaus als eine Grundwahrheit der Kunst aufgefasst werden.
Darunter versteht man auch die teilweise bis weitgehende Übereinstimmung und Beschränkung in den aufbauenden Grundelementen zweier oder mehrerer Systeme bzw. Systembereiche. Harmonie ist eine eher im Verborgenen bzw. in tiefer liegenden aufbauenden Strukturen feststellbare Übereinstimmung, die auf diesem Weg indirekt in weiten äußeren Bereichen erfahrbar wird. Die gemeinsame Verwendung und die Beschränkung ruft bezogen auf die gesamte Erscheinung ein Gefühl von entwickelter und ausgeglichener Einheit, Einfachheit und Leichtigkeit hervor. Daher ist Harmonie auch Abwesenheit (innerer) Konflikte. Die der Harmonie innewohnende tiefere Übereinstimmung, der Gleichklang und die "Einheit einer Vielfalt" wird von Wahrnehmenden als angenehm bzw. ästhetisch schön empfunden.
Historische Ansichten
Die Suche nach Harmonien in räumlichen und Zahlenverhältnissen führte bereits antike Denker zu manchen Erkenntnissen. Johannes Kepler entdeckte durch sie seine Planetengesetze.
Wie in anderen Kulturen war auch die Kunst der Ägypter Nachvollzug göttlicher Ordnung – der Maat. Die Maat „ist die Harmonie der Töne, der Wohlklang, das richtige Maß, auch in der Architektur, die Ausgewogenheit gegenüber jeder Unmäßigkeit.“, so Eric Hornung. Der Axialtempel der alten Ägypter etwa bezieht sich symmetrisch auf eine Achse, an der alle Elemente des Baus gespiegelt werden. Aber alle Symmetrie ist nur Teil eines umfassenderen Grundprinzips. Das Paradox der lebendigen Wirkung von Strenge erklärt sich dadurch, dass „nur auf den ersten Blick vollkommene Symmetrie scheint, was sich schon auf den zweiten Blick als raffinierte und wohldurchdachte Abweichung davon zu erkennen gibt.“
Nach der Theogonie Hesiods (böotische Sage) ist Harmonia die Tochter des Ares (Kriegsgott) und der Aphrodite (Göttin der Liebe, der Schönheit), Frau des Kadmos (=Kosmos, d. h. Welt, sinnvolle Ordnung), ihre Geschwister sind Phobos (Furcht) und Deimos (Schrecken). Somit symbolisiert sie durch ihren Namen und in ihrer Person die Vereinigung zweier Gegensätze, welche die Voraussetzung für das Entstehen menschlicher Kultur schafft. Nach der attischen Sage ist sie die Tochter des Zeus und Mutter der Musen, somit also die Beschützerin der Wissenschaften und der Künste.
Heraklits Lehre von der „Harmonie (oder Einheit) als Widerspruch“ schöpft also aus älteren Quellen: „Widerstreitendes fügt sich und Auseinanderstrebendes ergibt Harmonie und alles entsteht durch Widerspruch.“ Aristoteles kommentiert dazu in seiner Ethik: „Die Natur strebt nach dem Entgegengesetzten und bringt hieraus, und nicht aus dem Gleichen die Harmonie hervor ... Auch die Kunst bringt dies, offenbar durch Nachahmung der Natur, zustande. Die Malerei mischt auf dem Bilde die Bestandteile der weißen und schwarzen, der gelben und roten Farbe und bewirkt dadurch die Ähnlichkeit mit dem Original; die Musik mischt hohe und tiefe, lange und kurze Töne in verschiedenen Stimmen und bringt dadurch eine einheitliche Harmonie zustande.“
Der Einfluss Vitruvs und seiner antiken Proportionslehre (für den Tempel- und Hausbau) auf die Malerei der Renaissance war gering. Raffael z. B. scheint eine „bestimmte Idee“ und die Natur den Berechnungen Vitruvs vorgezogen zu haben, wie schon die Antike diese Proportionen ständig anders bestimmt hat und eher einer „Idee“ gefolgt ist. Raffaels anthropometrische Studien beeinflussten Leonardo da Vinci. Leonardos Portrait-Grotesken scheinen jedoch eher als Studien gegen solche mathematischen Lehren zu argumentieren.
Johann Georg Sulzer („Allgemeine Theorie der Schönen Künste“, 1771/74) schreibt: „Man hat hohe und tiefe Farben, wie hohe und tiefe Töne; und so wie mehrere Töne sich in einen Klang vereinigen können, in welchem keiner besonders hervorsticht, so findet dieses auch bei den Farben statt. Also ist in den Farben die Harmonie, das Konsonieren und Dissonieren von eben der Beschaffenheit, wie in den Tönen.“ Diese „höchste Harmonie der Farben … kann nur in den Gemälden erreicht werden, die aus einer Farbe gemalt sind, grau in grau oder rot in rot, welche Art zu malen die Welschen Chiaroscuro nennen.“ Aber: „Obgleich nur der Unisonus die vollkommene Harmonie hat (s. Einklang), so ist er deswegen nicht die angenehmste Konsonanz, sondern nur die volleste. Die Übereinstimmung des Mannigfaltigen (Concordia discors) ist allemal angenehmer als die noch vollkommnere Übereinstimmung des Gleichartigen.“ An diesem Punkt und nachdem er seinen Ausgangspunkt selbst widerlegt hat, kommt Sulzer an das alte Problem der Integration der Zeichnung: „Von Licht und Schatten hängt ein großer Teil der Harmonie ab; denn schon dadurch allein kann ein Gemälde Harmonie bekommen. Die höchste Einheit der Masse oder die höchste Harmonie findet sich nur auf der Kugel, die von einem einzigen Lichte beleuchtet wird. Das höchste Licht fällt auf einen Punkt und von da aus als dem Mittelpunkt, nimmt es allmählich durch völlig zusammenhängende Grade bis zum stärksten Schatten ab. Dieses ist das Muster, an dem sich der Maler halten muß, um die vollkommene Harmonie in Licht und Schatten zu erreichen. Doch ist dieses nur von einzelnen Massen zu verstehen; denn wo das Gemälde aus mehreren besteht, da kann die Harmonie den höchsten Grad nicht haben, weil sich die verschiedenen Gruppen voneinander absondern müssen.“ So kommt denn Sulzers beispielhaft akademische Betrachtungsart, der unterdessen ihr Ziel, die Integration von Farbe und Zeichnung, entfallen ist, zu entsprechend konsequenten Schlüssen: „Also muß man nicht immer auf die höchste Harmonie arbeiten; weil sie oft das Ganze unkräftig machen würde.“
J. und W. Grimm hielten während der deutschen Klassik fest, „Harmonie“ sei zum Modebegriff geworden, und beschreiben Harmonie als „verbindung von einzelnen gleichzeitig angeschlagenen tönen zu einem wolklingenden ganzen, die wolthuende anordnung der farben und gruppen eines gemäldes“. Und in der Farbenlehre Goethes heißt es: „… so entsteht doch die eigentliche harmonische Wirkung nur alsdann, wenn alle Farben nebeneinander im Gleichgewicht angebracht sind.“
Baudelaire schreibt im Vorwort zu den Blumen des Bösen von einem „Bedürfnis im Menschen nach Symmetrie und Überraschung“. Eben zu seiner Zeit tritt bei den Malern an die Stelle der Harmonie häufig die Logik. So etwa bei Eugène Delacroix, oder bei Paul Cézanne: „Man muß sich so logisch wie möglich ausdrücken... Es gibt eine Farbenlogik, der Maler schuldet nur ihr Gehorsam. Niemals der Logik des Gehirns, wenn er sich der ergibt, ist er verloren. Immer der Logik der Augen.“ Ein Werk habe keine „Kraft“, keinen „Ausdruck“, keine „Logik“ oder keine „Harmonie“ meint weitgehend das Gleiche.