Gurtzeug (Gleitschirm)
Das Gurtzeug beim Gleitschirmfliegen ist ein relativ bequemer Sitz, der über Karabiner mit den Tragegurten des Gleitschirms verbunden ist. Der Pilot ist mit Bein- und Brustgurten am Gurtzeug angeschnallt. Der Pilot kann den Gleitschirm mittels Gewichtsverlagerung im Gurtzeug steuern, indem er sein Gewicht auf dem Sitzbrett verschiebt. Der Sitz des Gurtzeugs muss so beschaffen sein, dass er den Piloten am Boden während des Start- und Landevorgangs in der Bewegungsfreiheit nicht zu sehr einschränkt, während des Fluges aber dem Piloten eine angenehme und bequeme Sitzgelegenheit bietet (siehe Hängetrauma).
Mit dem Gurtzeug verbunden bzw. darin integriert ist der Rettungsfallschirm und das Beschleunigersystem. Für einen Windenstart kann ebenso die Schleppklinke am Gurtzeug oder den Karabinern eingehängt werden.
Geschichte
Entwickelt haben sich die modernen Gleitschirm-Gurtzeuge aus den Gurtzeugen der Fallschirmspringer. Da zu Beginn lediglich kurze Flugzeiten möglich waren, war die damit verbundene aufrechte Hängeposition die logische Folge.
Durch die Verlängerung der Flugzeiten wurde immer mehr Komfort verlangt. Das Anbringen eines Sitzbrettes aus Sperrholz führte auch zu einer eher sitzenden Flugposition. Später kamen Protektoren und aerodynamische Verkleidungen dazu, was zu den heutigen Liegegurtzeugen geführt hat.
Gurtzeugtypen
Ein sicheres Gurtzeug ist unter dem Sitzbrett und am Rücken mit einem Protektor ausgestattet, womit Rückenverletzungen bei Fehllandungen verhindert werden sollen. Solche Protektoren bestehen aus Schaumstoff oder einem durch den Fahrtwind aufgeblasenen Airbag, beziehungsweise eine Kombination aus beiden Systemen. Solche Protektoren sind in Deutschland und Österreich Vorschrift und müssen Mustergeprüft sein. Neuerdings sind auch Gurtzeuge mit seitlichen Protektoren erhältlich.
Man musste deshalb in der Vergangenheit zwischen geringem Gewicht ohne passive Sicherheit oder hoher passiver Sicherheit mit großem Gewicht und Packvolumen wählen.
Sitzgurtzeug
Beim Sitzgurtzeug handelt es sich um das normale, oben beschriebene, Gurtzeug. Der Pilot befindet sich in einer aufrechten Sitzposition, die Beine hängen frei. Entsprechende Gurtzeuge werden in der Ausbildung und von einem Großteil der Freizeitpiloten benutzt. Der Übergang zwischen Sitz- und Leichtgurtzeug ist inzwischen fließend. Die meisten Sitzgurtzeuge erlauben die Benutzung von diversen Zubehörteilen. Zu den gebräuchlichsten gehören hierbei das Cockpit (ein Tragegurt für Flugelektronik, Funkgeräte, Fotoapparate etc.), der Beinstrecker (eine gurtartige Vorrichtung, die die Beine des Piloten in einer waagrechten Position hält), und der Beinsack, der normalerweise nur in Verbindung mit einem Beinstrecker verwendet wird. Die Kombination aus Beinsack und Beinstrecker senkt den Luftwiderstand auf ein Niveau, das zwischen dem eines Liegegurtzeugs und eines normalen Sitzgurtzeugs, ohne jedoch alle, unten beschriebenen, Nachteile eines Liegegurtzeugs mit sich zu bringen. Dies empfiehlt sich jedoch nur für routinierte Piloten, da es wiederholt zu Vorfällen kam, in denen Piloten durch die straffe Verbindung im Beinsack davon ausgingen, korrekt eingegurtet zu sein, die Beingurte jedoch in Wirklichkeit offen waren.[1]
Leichtgurtzeuge
Es gibt auch Gurtzeuge, die möglichst wenig Material und damit auch Gewicht aufweisen. Die leichtesten Gurtzeuge wiegen weniger als 500 Gramm; sie verzichten allerdings ganz auf die oben genannten Sicherheitsmerkmale und zum Teil auch auf ein festes Sitzbrett, was dazu führt, dass ein Teil der extrem gewichtsreduzierten Gurtzeuge in Deutschland nicht offiziell zugelassen sind.
Das derzeit leichteste Gurtzeug ist für ein Maximalgewicht von 100 kg zugelassen und wiegt 103 g.[2]
Wendegurtzeuge
Als Unterkategorie der Leicht-Gurtzeuge bieten die Wendegurtzeuge einen Kompromiss aus Leichtigkeit und Komfort. Wendegurtzeuge sind mit oder ohne Airbag erhältlich und können durch einfaches Wenden in einen Rucksack verwandelt werden der Platz für einen normal großen Gleitschirm, Rettungsfallschirm und Helm bietet. Zugleich erübrigt sich der Packsack, was zusätzliche 1–2 kg spart. Die Sicherheit dieser Gurtzeuge entspricht der konventioneller Gurtzeuge. Erfunden und patentiert (Patent DE-19918599) wurde dies seinerzeit durch den Tüftler Oliver Schubert. Er machte schon 1999 den ersten überhaupt fliegbaren Prototyp dem Markt zugänglich. Der Fokus seiner Wendegurtzeugerfindung liegt auf dem Komfort- und Sicherheitsvorteil, den es gegenüber einem Normalgurtzeug durch wesentlich verbesserte Trageergonomie, eingespartes Gewicht und verbessertes Handling erreicht.
Liegegurtzeuge
Streckenflug- und Wettkampfpiloten benutzen vorwiegend aerodynamisch optimierte Gurtzeuge, was sich in weitgehender Abdeckung der Beine und einer liegenden Flugposition äußert. Solche Gurtzeuge sind aber stärker anfällig für das sogenannte Eintwisten, weshalb sie nur von routinierten Piloten geflogen werden sollten. Interessanterweise sinkt bei einem Liegegurtzeug der Luftwiderstand des Piloten, wodurch sich ein höherer Anstellwinkel der Gleitschirmkappe ergibt, was wiederum zu einer niedrigeren Geschwindigkeit, aber einem geringeren minimalen Sinken führt. Weiterhin steigt die Gleitzahl um ca. 1, was bedeutet, dass ein Meter sinken in eine um 1 m weitere Gleitstrecke umgewandelt wird. Der Effekt des langsameren Sinkens und der entsprechend langsameren Vorwärtsfahrt wird von (Wettkampf-)Piloten, an entsprechend thermisch aktiven Tagen teilweise durch zusätzliche Gewichte im Gurt ausgeglichen. Das bewirkt, dass sich das Sinken und die Geschwindigkeit wieder in die Ursprungssituation verschieben, der Pilot jedoch an Gleitleistung gewinnt.
Einzelnachweise
- Karl Slezak: DHV Gleitschirm und Drachen fliegen - Deutscher Gleitschirmverband und Drachenflugverband: Offene Beingurte-wieder ein tödlicher Unfall. In: dhv.de. Deutscher Hängegleiterverband, 17. April 2011, abgerufen am 15. Oktober 2020.
- F*Lite. Abgerufen am 17. Februar 2021 (englisch).