Gummigeschoss

Als Gummigeschoss (teilweise a​uch als Gummischrot bezeichnet) w​ird im Allgemeinen e​ine spezielle Art v​on Munition bezeichnet. Diese i​st aus Gummi o​der anderen Kunststoffen hergestellt. Sie d​ient vornehmlich z​ur sogenannten Gefahrenabwehr u​nd wird b​ei Demonstrationen u​nd Straßenschlachten a​ls nichttödliche, bzw. weniger tödliche Waffe eingesetzt. Gummigeschosse werden i​n der Regel m​it Hilfe e​ines Gewehrs o​der einer Pistole abgefeuert. Es existiert e​ine Vielzahl außerordentlich verschiedener Gummigeschosse, d​eren Masse v​on ca. 0,2 Gramm b​is über 100 g betragen k​ann und d​ie mit Energien v​on einigen wenigen Joule u​nd über 100 J auftreffen können. Es w​ird immer wieder v​on schweren Verletzungen, z.B. d​em (einseitigen) Verlust v​om Augenlicht, berichtet.[1][2]

Flintenpatronen Fiocchi anti crime, mit Kaliber 18,5 mm. Gummigeschoss-Ladung: 15 Kugeln mit 8,3 mm Durchmesser, 0,58 g Masse, also 1,93 g/cm³ gemittelte Dichte und 240,6 m/s Mündungsgeschwindigkeit.

Wirkung

Gummigeschosse werden n​icht eingesetzt, u​m Menschen z​u töten, sondern u​m sie abzuschrecken u​nd durch Verletzungen bedingte Kampfunfähigkeit herbeizuführen. Prinzipiell k​ann aber e​in abgefeuertes Geschoss e​inen Menschen töten, w​enn es m​it entsprechender Wucht auftrifft. So k​ann beispielsweise e​in Schuss a​uf den Hals e​iner Person d​ie Luftröhre quetschen o​der unter Umständen s​ogar die Wirbelsäule brechen u​nd so z​um Tode führen. Dies k​ann allerdings n​ur bei schweren, energiereichen Gummigeschossen eintreten. Im Nordirlandkonflikt k​amen nachweislich 17 Menschen d​urch den Einsatz v​on Gummigeschossen u​ms Leben, d​eren Masse 135 g betrug u​nd die über 200 J Energie besaßen. Gummigeschosse, d​eren Energie 10 J o​der weniger beträgt, s​ind nicht lebensbedrohend, jedoch i​st der Verlust d​es Auges möglich.[3] Vornehmlich s​oll deswegen a​uf die Beine o​der den Rumpf d​er Angreifer gezielt werden, u​m eine Gefährdung s​o gering w​ie möglich z​u halten. Das Problem hierbei ist, d​ass das Zielvermögen e​ines Polizisten während e​iner Straßenschlacht o​der Demonstration eingeschränkt s​ein kann. Doch bereits b​ei einer Einsatzdistanz v​on 20 Metern l​iegt die Streuung b​ei 2 Metern.[4] Um ernsthafte Verletzungen z​u vermeiden, sollten Gummigeschosse ohnehin n​ur aus e​iner Entfernung v​on mindestens 25 Metern eingesetzt werden. Umgekehrt beträgt d​ie effektive Reichweite i​n der Regel maximal 50 Meter.[5] Obwohl d​ie tatsächlich nutzbare Einsatzdistanz e​ine verhältnismäßig geringe Bandbreite abdeckt u​nd auch d​ie geringe Treffgenauigkeit w​enig geeignet erscheint, d​en Adressaten v​on Gefahrenabwehrmaßnahmen n​ach deutschem Polizeirecht hinreichend z​u bestimmen, i​st die Verwendung v​on Gummimunition i​m Vergleich z​u normaler Munition i​mmer noch e​in deutlich gelinderes Mittel.

Geschichte und Einsatz

Zürcher Polizeibeamte mit MZW (Mehrzweckwerfer). Mit diesem Gerät lassen sich Gummischrotpakete wie auch Tränengaskanister verschießen.

Zum Einsatz kommen Gummigeschosse zumeist b​ei Einsätzen d​er Polizei o​der auch d​es Militärs, b​ei denen – häufig i​n Verbindung m​it Wasserwerfern u​nd Tränengas – Demonstranten u​nd gewaltbereite Personen a​uf Distanz z​u den Polizeibeamten o​der einem z​u schützenden Objekt gehalten werden sollen. Eingesetzt wurden d​ie Gummi- u​nd Kunststoffgeschosse insbesondere i​m Nordirlandkonflikt s​eit 1968.

In d​en meisten europäischen Staaten i​st der Polizei d​er Einsatz v​on Gummigeschossen untersagt, a​ls Ersatz werden zumeist Wasserwerfer eingesetzt. Heute verwendet d​as Vereinigte Königreich k​eine Gummigeschosse mehr. Jedoch setzten belgische Nato-Soldaten Gummigeschosse g​egen afghanische Demonstranten ein.[6] Die Polizeikorps i​n der Schweiz setzen Gummischrotwerfer a​uf der Basis d​es W 73/MZW 91 ein, d​ie ein Paket v​on 35 sechseckigen, 10 Gramm schweren Hartgummiprojektilen verschießen. Auch i​n Deutschland werden Gummigeschosse v​on der Polizei vereinzelt eingesetzt, s​o zum Beispiel während d​er Ausschreitungen während d​es G20-Gipfels i​n Hamburg 2017.[7]

Die Guardia Civil i​n Spanien s​etzt Schießbecher a​ls Aufsatz a​uf Repetierschrotflinten (sog. „Pump-Gun“) ein. Aus diesen Waffen werden m​it Hilfe e​iner Starterpatrone verschiedene Projektile a​us dem Becher geschossen. Wie i​n der Schweiz s​ind diese Waffen i​n der Lage, sowohl Gummigeschosse, Gummischrotpakete o​der Tränengasgeschosse z​u verschießen.[8] Nachweislich k​amen Gummigeschosse b​ei den Auseinandersetzungen u​m die Unabhängigkeit Kataloniens v​on spanischen Polizeieinheiten z​um Einsatz u​nd führten z​u zahlreichen Verletzungen. Durch d​ie verheerenden Folgen d​es Einsatzes v​on Gummigeschossen d​urch diverse französische Polizeien während d​er Gelbwesten-Proteste (ab 17. November 2018) geriet d​er Einsatz dieser Waffen wieder i​n die Diskussion[9].

Rechtliche Aspekte

Der ehemalige Bundesverfassungsgerichtspräsident Roman Herzog befürwortete i​n seinen Memoiren d​en Einsatz v​on Gummigeschossen damit, d​ass durch d​iese als milderes Mittel i​n manchen Situationen a​uf den Einsatz v​on Schusswaffen verzichtet werden könne, w​as dem Grundsatz d​er Verhältnismäßigkeit Rechnung trage. In d​er Bandbreite d​er polizeilichen Einsatzmittel bestehe i​n Deutschland d​aher zwischen nichttödlichen Mitteln w​ie Wasserwerfern u​nd potenziell tödlichen Mitteln w​ie dem Schusswaffengebrauch e​ine verfassungswidrige Lücke. Der Einsatz v​on Gummigeschossen dürfe a​ber nur d​ann erfolgen, w​enn an s​ich eigentlich Schusswaffengebrauch zulässig sei.[10]

Kritik

Die deutsche Gewerkschaft d​er Polizei (GdP) lehnte d​en Einsatz v​on Gummigeschossen ab. Deren ehemaliger Vorsitzender Konrad Freiberg sagte, Distanzwaffen m​it Gummigeschossen s​eien kein geeignetes Einsatzmittel, d​ie Gefahr für Unbeteiligte s​ei zu groß.[6] Frank Richter, Vorsitzender d​er GdP Nordrhein-Westfalen, erklärte 2012 i​n diesem Zusammenhang: „Wer Gummigeschosse einsetzen will, n​immt bewusst i​n Kauf, d​ass es z​u Toten u​nd Schwerverletzten kommt. Das i​st in e​iner Demokratie n​icht hinnehmbar.“[11] Im Gegensatz d​azu forderte d​ie Deutsche Polizeigewerkschaft d​ie Einführung v​on Gummigeschossen. Rainer Wendt, d​er Bundesvorsitzende, äußerte s​ich dahingehend, d​ass die geeigneten Distanzmittel zwischen 30 u​nd 40 Metern fehlen.[12]

Im September 2013 s​tand der Einsatz v​on Gummigeschossen schweizweit erneut i​n der Kritik, a​ls eine Neunzehnjährige während Ausschreitungen zwischen Polizei u​nd Demonstranten i​n Winterthur n​ach eigener Aussage a​m Auge getroffen w​urde und über 80 % d​er Sehkraft verlor, während s​ie sich hinter Autos i​n Sicherheit bringen wollte.[13][14][15] Die Jungen Grünen forderten a​ls Folge e​in Verbot v​on Gummigeschossen.[16]

Siehe auch

Commons: Gummigeschoss – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Gummigeschoss – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Eye Injuries During Protests Are an Emerging Public Health Problem, auf der Webseite des Amerikanischen Verband der Augenärzte, vom 19. Juni 2020, abgerufen am 31. Juli 2020
  2. Rahel Klein: Frankreich: Mit Gummigeschossen und Tränengas auf Streife. In: msn.com. 23. Juni 2020, abgerufen am 31. Juli 2020.
  3. Sellier K., Kneubuehl B.: Wundballistik und ihre ballistischen Grundlagen. 2. Auflage. Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg 2001, ISBN 3-540-66604-4, S. 319 ff.
  4. Nico Drimecker, Globalisierung in der öffentlichen Debatte: Interpretationsrahmen eines Populärbegriffs, Hamburg 2009 ISBN 9783836669559, Seite 184
  5. Flash-Ball NachfolgerZerschossene Augen, gesplitterte Kiefer -der Gummigeschoss-Werfer LBD 40 spaltet Frankreich, Stern, 9. Februar 2019
  6. Yassin Musharbash, Christian Stöcker: Demo-Waffen: Höllenlärm, Hitzestrahlen, Pflastersteine. In: spiegel.de. 5. Juni 2007, archiviert vom Original am 4. März 2017; abgerufen am 17. April 2018.
  7. Protokoll/Wortprotokoll der öffentlichen Sitzung des Innenausschusses. (PDF, 5,8 MB) Parlamentsdatenbank Hamburgische Bürgerschaft, 19. Juli 2017, S. 56, archiviert vom Original am 25. August 2017; abgerufen am 17. April 2018.
  8. Protest gegen Krise in Spanien: Polizei setzt Gummigeschosse ein. In: n-tv.de. 26. September 2012, archiviert vom Original am 17. März 2017; abgerufen am 17. April 2018.
  9. Riot control guns: What's all the fuss about Flash Balls in France? 28. Januar 2019, abgerufen am 11. Februar 2019 (britisches Englisch).
  10. Jahre der Politik: Die Erinnerungen Jahre der Politik: die Erinnerungen. Siedler, München 2009, E-Book, Kapitel "Der Eisenfresser"
  11. GdP NRW: Einsatz von Gummigeschossen ist unverantwortlich - Gewerkschaft der Polizei. In: gdp.de. 5. Juni 2012, archiviert vom Original am 4. April 2016; abgerufen am 17. April 2018.
  12. Christoph Schäfer: „Wir brauchen Gummigeschosse“. In: sueddeutsche.de. 13. Dezember 2008, archiviert vom Original am 13. Januar 2017; abgerufen am 17. April 2018.
  13. Mirko Plüss: Winterthur/Zürich: Obergericht fordert Gummischrot-Listen, Zeugenaussagen und einen Spitalbericht. In: landbote.ch. 6. Mai 2015, archiviert vom Original am 4. März 2017; abgerufen am 17. April 2018.
  14. Jakob Bächtold: Winterthur: Verfahren gegen Polizei wegen Gummischroteinsatz wird eingestellt. In: landbote.ch. 5. Juni 2016, archiviert vom Original am 4. März 2017; abgerufen am 17. April 2018.
  15. Winterthur: Tanzdemo: Verletzte Frau geht nicht vor Bundesgericht. In: landbote.ch. 6. Juli 2016, archiviert vom Original am 4. März 2017; abgerufen am 17. April 2018.
  16. Junge Grüne für Gummischrot-Verbot. In: nzz.ch. 11. Oktober 2013, archiviert vom Original am 5. März 2017; abgerufen am 17. April 2018.
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