Gulistān von Saʿdī (RAS Persian 258)
Die Handschrift RAS Persian 258 ist ein illustriertes Manuskript von Saʿdīs Gulistān in der Bibliothek der Royal Asiatic Society. Das Manuskript, das im Jahre 1582 am Hof des indischen Mogulherrschers Akbar entstand, ist vor allem bekannt wegen der etwa 2000 Vogeldarstellungen, mit denen die Textseiten verziert sind. Von besonderer Bedeutung sind außerdem die Porträts des Malers Manohar und des Kalligraphen Muhammad Husayn Zarrin Qalam, die das Kolophon begleiten. Diese Kolophonporträts gelten als die ersten ihrer Art in der mogulindischen Malerei. Die Handschrift ist vollständig digitalisiert.[1]
Äußere Gestalt
Der Band umfasst 130 Folios mit einer Höhe von 31,8 cm und einer Breite von 20,3 cm. Die Textfelder aus goldgesprenkeltem blassbraunem Papier mit einer Größe von 22 × 13 cm enthalten zwölf Schriftzeilen in Nastaʿlīq (Losty 1982: 87, Nr. 58: Taʿlīq) und sind mit hunderten Vögeln und einigen anderen Tieren verziert. Der Beginn des Textes auf Fol. 3v wird durch eine verzierte Tafel am Seitenkopf (pers. sarlauḥ) hervorgehoben. Am Ende des Werkes auf Fol. 128r findet sich das oben erwähnte Kolophonporträt. Ein blassblauer breiter Rand mit goldenen Zeichnungen umgibt die Texttafeln.
Vor dem Text des Gulistān wurden drei Seiten mit Kalligraphien und eine spätere mogulzeitliche Zeichnung eingebunden, die einen bärtigen Lehrer vor mehreren weiblichen, offensichtlich königlichen Schülerinnen mit ihren Bediensteten zeigt. Auf der Rückseite des Kolophonporträts und auf zwei zusätzlich eingefügten Folios folgen Kalligraphien in der Schriftform shikasta. Diese stammen von Murīd Khān Tabatabā'ī, einem Adligen und berühmten Kalligraphen am Hof von Muhammad Shāh. Seine Signaturen finden sich auf den Foll. 129v und 130v.[2]
Der Einband in grünem englischem Saffianleder stammt aus dem 18. oder 19. Jahrhundert.[3]
Geschichte der Handschrift
Das Kolophon auf Fol. 128r informiert, dass die Handschrift im Jahre 990h (26. Januar 1582 bis 24. Januar 1583) „in der Stadt Fatehpur“ vollendet wurde, womit Fatehpur Sikri gemeint ist, der Sitz des Mogulherrschers zwischen 1571 und 1585. Das Manuskript gelangte in den Besitz von Neil Benjamin Edmonstone, der von 1783 bis 1817 in Indien für die East India Company tätig war und zu einem der Direktoren der Handelsgesellschaft aufstieg. Nach seinem Tod 1841 vermachte er das Gulistān der Royal Asiatic Society, der er selbst als Fellow[4] angehört hatte.[5]
Der sarlauḥ
Der Anfang eines königlichen Manuskriptes wird gewöhnlich in besonderer Weise illuminiert. Fol. 3v ziert ein dekoratives Kopfstück, das mit dem persischen Begriff sarlauḥ bezeichnet wird. Unter dem zentralen grünen Medaillon hat der Künstler seinen Namen versteckt: Banda-yi dargāh Khwāja Jān Muzahhib – Diener des königlichen Hofes, Khwāja Jān der Vergolder. Khwāja Jān hat auch an anderen Handschriften mitgewirkt.[6]
Die Vögel
Die bekannteste und auffälligste Eigenart der Handschrift ist ihre Verzierung mit insgesamt 1834 Vögeln. Diese bevölkern vorzugsweise die Zwischenräume zwischen den Halbversen, flattern aber auch häufig zwischen den Zeilen umher. Sehr oft sind sie begleitet von kleinen bunten Blumen und Andeutungen von Landschaft. Auch wenn es vier Seiten ohne gibt (Fol. 15r, 15v, 28v und 127r), sind doch die meisten mit etwa vier bis neun Vögeln versehen. Auf den Folios 116r bis 121v steigt die Anzahl der Tiere plötzlich auf über zwanzig pro Seite, Fol. 118r kommt sogar auf 27.
Einige Vogelarten lassen sich identifizieren: Es gibt Tauben (Fol. 86r, 65v, 68v), Pfauen (Fol. 57v, 65v, 66v), Hähne (Fol. 57r, 62r), Wiedehopfe (Fol. 10r, 64r), Pirole (z. B. Fol. 42v, 43r, 58v, 60v, 74r) und einige Exemplare des mythischen Simorgh (33r, 49r). Viele Vögel sind Rebhuhn-, Enten- oder kranichartig (Fol. 86v, 128r).
Daneben finden sich noch insgesamt 28 weitere Tiere, vor allem Hasen (57r, 63r, 66v, 82r), ein Tiger (Fol. 60r), Geparden (43r, 54v, 94r, 127r), ein Luchs (83v), ein Leopard (95r), eine Katze (54v), Antilopen (54v, 95r, 127r), Kühe (58r) und ein Qilin (82v).
- Vögel auf Fol. 91v
- Wiedehopf auf Fol. 64r
- Detail auf Fol. 70r
- Fol. 82v:Simorgh und Qilin
- Details auf Fol. 86v
- Details auf Fol. 27r
Die Kolophonporträts
Auf dem Feld unterhalb des trapezförmigen Kolophons sitzen sich der junge Maler Manohar und der Kalligraph Muhammad Husayn Kashmīrī (ca. 1540–1611)[7] gegenüber, ein Diener steht auf der rechten Seite. Die Hauptpersonen sind durch die kurzen Texte identifizierbar, die jeder der beiden gerade zu Papier bringt. Auf dem Blatt des Kalligraphen steht: „Gott ist groß, Porträt von Husayn Zarrin Qalam“. Muhammad Husayn hatten den Titel „goldene Feder“ (pers. zarrin qalam) von Akbar erhalten, der seine Schrift ebenso schätzte wie sein Nachfolger Jahāngīr.[8] Abū 'l-Fazl erwähnt den Meister ausführlich im Ā'īn-i Akbarī.[9] Auf dem Blatt des jungen Malers ist zu lesen: „Werk von Manohar, Sohn von Basāwan“. Manohar (ca. 1568–1624) war ab Mitte der 1590er Jahre einer der herausragendsten Meister des kaiserlichen Ateliers.[10]
Über die Frage, ob diese Kolophonporträts zeitgleich mit dem Manuskript entstanden sind oder nachträglich hinzugefügt wurden, gehen die Ansichten auseinander. Zwei Gründe werden ins Feld geführt, die gegen eine zeitgleiche Entstehung des Bildes sprechen: Erstens besaß Manohar zu dieser Zeit noch längst nicht künstlerische Reife für solche Porträts und zweitens kamen Kolophonporträts erst rund 20 Jahre später auf. Einige Kunsthistoriker gehen deshalb davon aus, dass die Illustration erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts eingefügt wurde.[11] Bis dahin hätte sich Manohar künstlerisch so weit entwickelt, dass er als Urheber auch tatsächlich in Frage kommt. Er hätte dann ein Porträt von sich selbst gemalt, das ihn 20 bis 25 Jahre jünger zeigt.[12]
Andere vertreten dagegen die Ansicht, dass die Kolophonporträts sehr wohl schon 1582 gemalt sein können, nehmen aber an, dass Manohar dabei Hilfe von seinem Vater Basāwan hatte,[13] oder dass dieser sogar das Bild allein gemalt hat.[14] Hierfür sprechen stilistische Eigenarten, die die Porträts mit dem Werk Basāwans verbinden. Möglicherweise gehen auch ein paar der kleinen Illustrationen im Werk auf den Vater zurück. Genannt wird vor allem eine Szene mit Gepard und Antilope auf Fol. 127r.[15] Wenn die Kolophonporträts tatsächlich von 1582 stammen, dann sind sie die ersten ihrer Art in der mogulindischen Malerei.
Die Ränder
Die blauen Ränder sind mit einer Golddekoration aus vegetabilen Elementen, Vögeln und anderen, auch mythischen Tieren versehen und nach safavidischen Vorbildern gestaltet.[16] Sie werden ebenso wie die Kolophonporträts unterschiedlich eingeschätzt. Einerseits geht man davon aus, dass die Ränder in dieser Form um 1582 noch nicht üblich waren und es sich daher um spätere Zufügungen aus den 1590er Jahren handeln muss.[17] Nach einer anderen Beurteilung sind sie ein originaler Bestandteil des Gulistān von 1582 und deshalb als frühes Beispiel für die aufwändig illustrierten Randdekorationen des 17. Jahrhunderts zu würdigen.[16]
Weblinks
Digitalisat des Gulistān in der RAS Persian 258
Literatur
- Beach, Milo Cleveland: The Grand Mogul. Imperial Painting in India. 1600–1660. Sterling and Francine Clark Art Institute, Williamstown (Massachusetts) 1978.
- Das, Asok Kumar: Mughal Painting During Jahangir's Time. The Asiatic Society, Calcutta 1978. S. 189
- Gray, Basil, in Leigh Ashton (Hrsg.): Art of India and Pakistan. A commemorative Catalogue of the exhibition held at the Royal Academy of Arts, London 1947–8. Faber and Faber, London 1950.
- Gray, Basil und Barrett, D.: Paintings of India. Skira, Lausanne 1963. S. 82
- Losty, Jeremiah P.: “The 'Bute Hafiz' and the development of border decoration in the manuscript studio of the Mughals.” The Burlington Magazine Vol. 127, No. 993 (Dec., 1985) S. 855–856 und 858–871.
- Losty, Jeremiah P. und Malini Roy: Mughal India. Art, Culture and Empire. The British Library, London 2012. S. 99.
- Okada, Amina: Imperial Mughal Paintings: Indian Miniatures from the Sixteenth and Seventeenth Century. Flammarion, Paris 1992.
- Seyller, John: Pearls of the Parrot of India. The Walters Art Museum Khamsa of Amīr Khusaw of Delhi. The Walters Art Museum, Baltimore (Maryland) 2001.
- Sellyer, John: “The Colophon Portrait of the Royal Asiatic Society Gulistan of Saʿdi.” Artibus Asiae Vol. 68/2 (2008) 333–342.
- Seyller, John: “Manohar.” In: Milo Beach, Eberhard Fischer und B.N. Goswamy (Hrsg.): Masters of Indian Painting 100–1650. Artibus Asiae Publishers, Zürich 2011. Artibus Asiae Supplementum 48/I. S. 135–152.
Anmerkungen und Einzelnachweise
- RAS Persian 258
- Informationstext zum Digitalisat der Handschrift RAS 258 Persian 258
- Informationstext RAS Persian 258
- The Royal Society, Fellows, Neil B. Edmonstone
- Der Informationstext zum Digitalisat von RAS Persian 258 gibt nicht die richtigen Daten; Neil B. Edmonstone lebte von 1765–1841. Genaue Angaben auf S. 1–6 in Marla Karen Chancey: In the Company's Secret Service: Neil Benjamin Edmonstone and the first Indian Imperialists, 1780-1820. A Dissertation submitted to the Department of History in partial fulfillment of the requirements for the degree of Doctor of Philosophy.The Florida State University, History Department. Degree Awarded: Fall Semester, 2003. FSU Digital Library
- Seyller 2001, S. 138.
- Seyller 2001, S. 43.
- John Seyller: Pearls of the Parrot of India. The Walters Art Museum Khamsa of Amīr Khusaw of Delhi. The Walters Art Museum, Baltimore (Maryland) 2001, S. 39–43.
- Ā'īn-i Akbarī I: 109
- Seyller 2011, S. 135–152.
- Gray 1963, S. 82. Gray war 1950 allerdings noch der Ansicht, dass das Bild von 1582 stammt; Gray 1950, S. 94 und 143, Nr. 642. Das 1978, S. 189. Losty 2012, S. 99f. Losty hatte zuvor ebenfalls die Meinung vertreten, dass das Bild zeitgleich mit der Handschrift entstanden ist, vgl. Losty 1982, S. 87f., Nr. 58.
- Das 1978, S. 189. Losty 2012, S. 99f.; Losty hatte diese These in seiner Publikation von 1982, S. 87f., noch ausdrücklich als „inherently unlikely“ verworfen.
- Beach 1978, S. 134. Okada 1992, S. 140.
- Seyller 2008, passim.
- Seyller 2008, S. 340.
- Seyller 2001, S. 123 und 139.
- Losty 1982, S. 87, Nr. 58.