Gleitsichtglas
Ein Gleitsichtglas ist ein spezielles Brillenglas mit unterschiedlichen Brechwerten zur Fern- und Nahkorrektur von Fehlsichtigkeiten und in der Regel einer Alterssichtigkeit (Presbyopie). Im Gegensatz zu Bi- und Trifokalgläsern, bei denen zum Fernteil noch ein oder zwei zusätzliche, optisch wirksame Bereiche eingearbeitet werden, die bei ihrer Nutzung zu entsprechenden Bildsprüngen führen und auch nur für zwei bzw. drei statische Entfernungen ausgelegt sind, bietet ein Gleitsichtglas eine stufen- und übergangslose Möglichkeit, in allen Distanzen zwischen dem individuellen Fern- und Nahpunkt scharf zu sehen. Relativiert werden diese Vorteile durch optische Nebenwirkungen, eine gewisse Gewöhnungsbedürftigkeit und die hohen Kosten.
Aufbau
Gleitsichtgläser sind in drei ineinander übergehende Progressionszonen aufgeteilt:
- obere Zone für Fernsicht bzw. maximale Distanz bei Nahkomfortgläsern,
- mittlere Zone für Zwischenentfernungen und
- untere Zone für Nahsicht.
Man unterscheidet zudem nach „normalen“ und „Short“-Gleitsichtgläsern. Um alle drei Zonen komfortabel nutzen zu können, benötigen diese zwei Varianten eine Mindesthöhe von der Pupillenmitte bis zum unteren Glasrand. Diese liegt im Schnitt bei normalen Gleitsichtgläsern bei 21 mm, bei Short-Gläsern um 15 mm. Bei der Wahl einer kleinen Fassung ist also darauf zu achten, dass
- Short-Gläser verwendet werden,
- die gemessene Höhe mindestens 15 mm beträgt,
- die maximale Nahaddition 2,0 dpt nicht übersteigt, da Short-Gläser bei höheren Additionen stärkere seitliche Verzerrungen (Abbildungsfehler) hervorrufen.
Die optische Wirkung zwischen Fern- und Nahteil verändert sich stufenlos. Ein abrupter Übergang, wie bei herkömmlichen Multifokalgläsern, ist hier nicht vorhanden. Ein hoher Grad an Individualisierung und Passgenauigkeit soll für eine möglichst schnelle Eingewöhnung sorgen.
Nahkomfortglas
Als sogenannte Nahkomfortgläser[1] decken Gleitsichtgläser einen erweiterten Nahbereich (ohne Fernbereich) zwischen etwa 40 und 100 cm ab und sind als solche, auch wegen der an diese Distanzen angepassten Progressionszonen, für Bildschirmtätigkeiten (Bildschirmarbeitsplatzbrille) oder ähnliche Einsatzbereiche besonders geeignet.
Vorteile
- Der gleitende Übergang zwischen den unterschiedlichen Stärken wird oft angenehmer empfunden als der harte bei Bi- oder Trifokalbrillen.
- Gleitsichtgläser ermöglichen ein scharfes Sehen auch in Zwischendistanzen.
- Gleitsichtgläser sind unauffälliger und haben einen ästhetischen Vorteil hinsichtlich ihrer Erkennbarkeit.
- Bei frühem Tragebeginn ist die Zeit der Eingewöhnung in der Regel gering.
Nachteile
- Die Gewöhnungsbedürftigkeit ist bei späterem Tragebeginn auf Grund der optischen Eigenschaften für viele Menschen deutlich höher als bei herkömmlichen Mehrstärkengläsern.
- In der Eingewöhnungsphase können unterschiedliche Beschwerden auftreten.
- Die Sehbereiche für Ferne und Nähe sind kleiner als bei einer Einzelbrille und die Progressionszonen relativ schmal.
- Linien und Ebenen können auf Grund von Schaukeleffekten besonders in den Randzonen verzerrt erscheinen.
- Das Schätzen von Entfernungen kann während der Eingewöhnungsphase erschwert sein.
- Die Kosten für Gleitsichtgläser sind deutlich höher.
Herstellung
Das erste Gleitsichtglas wurde im Jahr 1959 in Frankreich entwickelt und hatte die Bezeichnung Varilux1. So war es erstmals für Personen mit Fehlsichtigkeiten (Kurz-, Weit-, Stabsichtigkeit) und gleichzeitiger Alterssichtigkeit (Presbyopie) möglich, dies mit einer einzigen Brille auszugleichen, welche über den ganzen Tag getragen werden kann.[2] Die weltweit ersten individuellen Gleitsichtgläser, die persönliche Eigenheiten des Trägers berücksichtigen, sollen im Jahr 2000 annähernd zeitgleich von den deutschen Glasherstellern Rodenstock und Carl Zeiss auf den Markt gebracht worden sein. Die Fertigung von Gleitsichtgläsern unterliegt der DIN EN ISO 8980.
Literatur
- DIN Verlag Beuth: DIN EN ISO 8980-1, Augenoptik – Rohkantige fertige Brillengläser.
- Franz Grehn: Augenheilkunde. 30., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Springer, Heidelberg 2008, ISBN 978-3-540-75264-6, S. 344.
- Bernhard Lachenmayr, Annemarie Buser: Auge, Brille, Refraktion. Schober-Kurs: verstehen, lernen, anwenden. 4., überarbeitete Auflage. Thieme, Stuttgart u. a. 2006, ISBN 3-13-139554-0, S. 135 ff.
- Gian P. Paliaga: Die Bestimmung der Sehschärfe (= Ophthalmothek. Bd. 16). Quintessenz, München 1993, ISBN 3-86128-204-6.
- Harald Presser: Brille und Auge. Optik des Auges, Ameropien, Presbyopie, Korrektionen, Binokularsehen, Störungen und Korrektionen, Optik und Abbildung der Sehilfen, Mehrstärkengläser und Gleitsichtgläser, Auswahlkriterien für Brillengläser, Filtergläser, Oberflächenveredelung, Kontaktlinsen und Pflegemittel. CHK-Verlag, Stephanskirchen 2001.
Weblinks
Einzelnachweise
- Ilka Schwarz, Martin Zimmermann: Mehr Nähe erleben − Designtuning für Nahkomfortgläser. (Memento des Originals vom 16. Oktober 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. In: Deutsche Optikerzeitung. Heft 4, 2009, ISSN 0344-7103, S. 60–64.
- Gleitsichtglas: Herstellung. Abgerufen am 7. September 2019.