Gisela Freund
Gisela Freund (* 30. November 1920 in Solingen) ist eine urgeschichtliche Archäologin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der Ur- und Frühgeschichte, dem Paläolithikum und Pleistozän, aber auch der Steinzeit Süd- und Ostasiens. Als eigenes Forschungsprojekt leitete sie „Das Paläolithikum und Mesolithikum des Unteren Altmühltals II“ (Sesselfelsgrotte).
Akademische Laufbahn
Nach Ableistung des Reichsarbeitsdienstes von 1939 bis 1940 studierte sie bis 1944 Ur- und Frühgeschichte, Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte, Geographie und Paläontologie an den Universitäten Greifswald, Breslau und Prag und wurde von Lothar Zotz bei der Ausgrabung der Himmlerschen Organisation Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe in Dolní Vestonitse im okkupierten Reichsprotektorat Böhmen und Mähren eingesetzt. 1944 wurde sie mit dem Hauptfach Ur-, Vor- und Frühgeschichte an der Philosophischen Fakultät der Deutschen Karls-Universität Prag promoviert. Ihr Thema war Pschedmost Teil 1: der Stand der Forschung, Teil 2: Die Steingeräte. Die maschinenschriftliche Dissertation über die Ausgrabungen bei Předmostí[1] (deutsch Przedmost, bei Přerov) wurde nie gedruckt. In Prag arbeitete sie bis zu ihrer Flucht 1945 als Assistentin am Institut für Ur-, Vor- und Frühgeschichte, wobei sämtliche wissenschaftlichen Unterlagen verlorengingen.
Nach Kriegsende war sie ein Jahr ohne Beschäftigung. Ab 1946 arbeitete sie an ihrer Habilitationsschrift im Vorgeschichtlichen Seminar der Universität Marburg, erhielt jedoch bereits 1947 die Stelle einer Assistentin am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Erlangen bei Lothar Zotz, wo sie sich 1949 mit Die Blattspitzen des Paläolithikums in Europa habilitierte.
Von 1950 bis 1954 war sie Privatdozentin in Erlangen, wurde dort 1955 Wissenschaftliche Assistentin und Privatdozentin, erhielt 1956 eine Diätendozentur in Höhe von 200,- DM und im nächsten Jahr eine außerplanmäßige Professur. Ab 1962 leitete sie die von Zotz begonnene Grabung im Altmühltal. Von 1967 bis 1969 hatte sie nach dem Tod Zotz' die Vertretung des Lehrstuhls für Ur- und Frühgeschichte und die kommissarische Institutsleitung inne. 1969 erreichte sie eine Berufung auf den Lehrstuhl für Vor- und Frühgeschichte der Universität Hamburg. Diesen lehnte sie jedoch zugunsten einer Berufung auf den Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte der Universität Erlangen ab. Damit war sie in Deutschland die erste Frau, die auf eine C4-Stelle, die zu dem Zeitpunkt am höchsten dotierte Professur, berufen wurde. Sie lehrte in Erlangen bis 1987.
Die erste Frau, die überhaupt in Deutschland eine Professur im Fach erhielt, war 1899 Johanna Mestorf (1828–1909). Von 1920 bis 1969 habilitierten in der Ur- und Frühgeschichte neben Freund nur Clara Redlich (1908–1992), Elisabeth Schmid (1912–1994), mit der Freund zusammengearbeitet hatte und befreundet war, und Waldtraut Schrickel (1920–2009).[2] Erst 1991 erlangte mit Renate Rolle eine zweite, mit Amei Lang eine dritte die Besoldungsgruppe C 4.
Bereits 1951 hatte Freund die Hugo Obermaier-Gesellschaft für Erforschung des Eiszeitalters und der Steinzeit mitgegründet, war 1956 bis 1982 deren Schriftführerin, danach bis 1997 Vizepräsidentin. Ab 1971 war sie ordentliches Mitglied des Deutschen Archäologischen Instituts. Sie war fast vier Jahrzehnte lang Mitherausgeberin des Jahrbuchs Quartär (18-53/54 (1967–2006)), das Zotz 1952 gegründet hatte. Sie war Mitglied des Florentiner Istituto Italiano di Preistoria e Protostoria, Délégué de la Société Préhistorique de l’Ariège und Délégué de la Société Préhistorique Française.
Publikationen (Auswahl)
- Die Blattspitzen des Paläolithikums in Europa, Röhrscheid, Bonn 1952.
- (Hrsg.): Festschrift für Lothar Zotz. Steinzeitfragen der Alten und Neuen Welt, Röhrscheid, Bonn 1960.
- Die ältere und die mittlere Steinzeit in Bayern. In: Jahresbericht der bayerischen Bodendenkmalpflege. 4, 1963, S. 9–167 ISSN 0075-2835.
- Mikrolithen aus dem Mittelpaläolithikum der Sesselfelsgrotte im unteren Altmühltal, Ldkr. Kelheim, in: Quartär 19 (1968) 133–154 (online, PDF).
- mit Lothar F. Zotz: Die mittelpaläolithische Geröllgeräteindustrie aus der Umgebung von Kronach in Oberfranken (= Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte. 27), Lassleben, Kallmünz 1973, ISBN 3-7847-5027-3.
- Das Paläolithikum im Donaubogen südlich Regensburg (= Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte, Reihe A: Fundinventare und Ausgrabungsbefunde, 32), Lassleben, Kallmünz 1977, ISBN 3-7847-5032-X.
- Das Paläolithikum der Oberneder-Höhle (Landkreis Kelheim, Donau) (= Quartär-Bibliothek. 5 = Das Paläolithikum und Mesolithikum des Unteren Altmühltals, 1), Röhrscheid, Bonn 1987, ISBN 3-7928-0500-6.
- Économie des ressources lithiques dans le Moustérien du Sud-Ouest de la France, in: Marcel Otte (Hrsg.): L’homme de Néandertal. Actes du colloque international de Liège (4–7 déc. 1986), Bd. 6: La Subsistance (= Etudes et recherches archéologiques de l’Université de Liège, 33), Université Liège, Lüttich 1989, S. 75–97.
- Grabungsverlauf und Stratigraphie. Lothar Zotz zum Gedenken (= Sesselfelsgrotte. 1 = Forschungsprojekt „Das Paläolithikum und Mesolithikum des Unteren Altmühltals II“, 1 = Quartär-Bibliothek, 8), Saarbrücker Druckerei und Verlag, Saarbrücken 1998, ISBN 3-930843-42-0.
- mit Ludwig Reisch (Hrsg.): Prehistoric Cultures in Nepal. From the Early Palaeolithic to the Neolithic and the Quaternary Geology of the Dang-Deokhuri Dun Valleys, 2 Bde., Harrassowitz, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-447-05581-9.
- mit Ludwig Reisch (Hrsg.): Naturwissenschaftliche Untersuchungen. Wirbeltierfauna 1 (= Sesselfelsgrotte. 6 = Forschungsprojekt „Das Paläolithikum und Mesolithikum des Unteren Altmühltals II“, 6), Steiner, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-515-10603-0.
Literatur
- Andrea Bräuning: Wider das Vergessen. Professorinnen in der Archäologie (Vor- und Frühgeschichte). In: Jennifer M. Bagley, Christiana Eggl, Daniel Neumann, Michael Schefzik (Hrsg.): Alpen, Kult und Eisenzeit. Festschrift für Amei Lang zum 65. Geburtstag (= Internationale Archäologie. Studia honoraria. 30). Leidorf, Rahden 2009, ISBN 978-3-89646-430-9, S. 3–24, hier S. 11–12.
Weblinks
- Literatur von und über Gisela Freund im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Prof. Dr. Gisela Freund, Website des Instituts für Ur- und Frühgeschichte Erlangen
Anmerkungen
- Zum archäologischen Fundplatz Przedmost siehe tschechische Wikipedia cs:Předmostí u Přerova (archeologická lokalita)
- Bräuning: Wider das Vergessen. In: Bagley et al. (Hrsg.): Alpen, Kult und Eisenzeit. 2009, S. 3–24, hier S. 5.