Gerhard Rohlfs (Romanist)
Gerhard Rohlfs (* 14. Juli 1892 in Lichterfelde; † 12. September 1986 in Tübingen) war ein deutscher Romanist und Hochschullehrer an der Eberhard Karls Universität Tübingen und der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Leben
Rohlfs studierte ab 1913 Romanistik an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin und der Universität Grenoble. Er diente an der Westfront (Erster Weltkrieg). Mit einer Doktorarbeit bei Heinrich Morf wurde er 1920 zum Dr. phil. promoviert.[1] Dazu machte er Staatsexamen in Französisch, Latein und Italienisch. Nach einem sechsmonatigen Forschungsaufenthalt in Kalabrien habilitierte er sich 1922 bei Eduard Wechssler mit einer Untersuchung über Das romanische habeo-Futurum und Konditionalis und wurde beamteter Privatdozent an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.
1926 wurde Rohlfs ordentlicher Professor in Tübingen, 1938 folgte er einem Ruf auf den Lehrstuhl für Romanische Philologie nach München als Nachfolger des zwangsemeritierten Karl Vossler.[2] 1942 wurde an der Deutschen Akademie ein Arbeitsausschuss der Romanistik gebildet, den Gerhard Rohlfs leitete und zusammensetzte.[3] Zu diesem Ausschuss gehörten Friedrich Schürr, Fritz Krüger, Fritz Neubert, Walter Mönch und andere. In seiner universitären Laufbahn betreute Rohlfs eine Vielzahl von Dissertationen, u. a. von Kurt Wais, Heinrich Lausberg und Rudolf Baehr. Nach der Emeritierung 1957 zog er wieder nach Tübingen, wo er 1958 zum Honorarprofessor ernannt wurde.
Von Beginn seiner wissenschaftlichen Laufbahn an widmete er sich in besonderem Maße der Erforschung der süditalienischen Gräzität, die für ihn nicht Ergebnis einer Immigration in byzantinischer Zeit war, sondern auf ältere Wurzeln in der Magna Graecia zurückging. Neben den italo-griechischen Dialekten in Kalabrien und im Salento befasste er sich mit der Historischen Grammatik der italienischen Sprache und ihrer Dialekte. Daneben hat er Studien zum Spanischen, Altfranzösischen und Rätoromanischen veröffentlicht. Grundlegend sind seine lexikographischen Veröffentlichungen zu den süditalienischen Dialekten und zur Namenkunde Kalabriens. Im Rahmen seiner gesamtromanistischen Feldforschung veröffentlichte er bahnbrechende Studien zu Sprachgeographie und Dialektologie, daneben Sprachatlanten und Einführungen in das Studium.
Er war Mitherausgeber des Archivs für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen (1930–1954) und Herausgeber der Reihe Sammlung romanischer Übungstexte.
Ehrungen
Die Universität Pisa verlieh ihm 1964 den Premio Forte dei Marmi. Am 18. Dezember 2008 wurde in Santa Severina (Provinz Crotone), das Rohlfs mehrfach besucht hatte, eine Sekundarschule nach ihm benannt. Rohlfs’ Schüler und Freunde widmeten ihm sieben Festschriften (1952–1986).
Ehrendoktorate
Mitgliedschaften
- Bayerische Akademie der Wissenschaften (1959)
- Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften
- Akademie von Athen
- Accademia della Crusca, Florenz (1955)[4]
- Institut d’Estudis Catalans, Barcelona (1950)
- Accademia Nazionale dei Lincei, Rom (1972)
- Ehrenmitglied des Istituto Siciliano di Studi Bizantini e Neoellenici, Palermo
Nachrufe
- Rudolf Baehr, in: Italienische Studien 10, 1987.
- Heinrich Bihler, in: Iberoromania 25, 1987, S. 120–124.
- Hans Helmut Christmann, in: Zeitschrift für romanische Philologie 103, 1987, S. 698–712.
- Klaus Heitmann, in: Archiv 223, 1986, S. 241–244.
- Helmut Stimm, in: Revue de linguistique romane 51, 1987, S. 308–315.
Schriften in Auswahl
- Romanische Sprachgeographie: Geschichte und Grundlagen, Aspekte und Probleme mit dem Versuch eines Sprachatlas der romanischen Sprachen. C. H. Beck, München 1971.
- Historische Grammatik der italienischen Sprache und ihrer Mundarten, 3 Bände, Francke, Bern 1949–1954; Neubearb. unter dem Titel Grammatica storica della lingua italiana e dei suoi dialetti, 3 Bde., Einaudi, Turin 1966–1969 und mehrere Nachdrucke.
- Rätoromanisch. Die Sonderstellung des Rätoromanischen zwischen Italienisch und Französisch; eine kulturgeschichtliche und linguistische Einführung. C. H. Beck, München 1975, ISBN 3-406-05730-6.
- Sermo vulgaris Latinus. Vulgärlateinisches Lesebuch. Niemeyer, Tübingen 1951 (Sammlung kurzer Lehrbücher der romanischen Sprachen und Literaturen; Band 13).
- Lexicon graecanicum Italiae inferioris. 2., erw. u. völlig neubearb. Aufl. Niemeyer, Tübingen 1964 (1. Aufl. u.d.T.: Etymologisches Wörterbuch der unteritalienischen Gräzität).
- Nuovo dizionario dialettale della Calabria. Con repertorio italo-calabro. Nuova ed. interamente rielab., ampl. ed aggiornata, 3. rist. Longo Ravenna 1982.
- Romanische Lehnübersetzungen auf germanischer Grundlage (Materia romana, spirito germanico). München 1984 (= Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften: philosophisch-historische Klasse, 1983/4).
- Soprannomi siciliani. Palermo 1984 (Centro di Studi Filologici e Linguistici Siciliani. Lessici siciliani; Band 2).
- Gerhard Rohlfs – La Calabria contadina – Scavo linguistico e fotografie del primo Novecento, a cura di/Hrsg. Antonio Panzarella, Edizioni Scientifiche Calabresi, Rende 2006, ISBN 88-89464-10-0 (Bildband mit Fotos, die Rohlfs aufgenommenen und sprachwissenschaftlich kommentiert hat).
- Primitive Kuppelbauten in Europa. BAdW. Beck’sche Verlagsbuchhandlung München 1957 (it. Ausg. Primitive costruzioni a cupola in Europa, Firenze 1963)
Einzelnachweise
- Dissertation: Ager, Area, Atrium. Eine Studie zur romanischen Wortgeschichte (Borna/Leipzig 1920).
- Utz Maas: Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933–1945. Band 1: Dokumentation. Biobibliographische Daten A–Z. Stauffenburg Verlag, Tübingen 2010, S. 841.
- Frank-Rutger Hausmann: Auch eine nationale Wissenschaft? Die deutsche Romanistik unter dem Nationalsozialismus. In: Romanistische Zeitschrift für Literaturgeschichte. Bd. 22 (1998), S. 261–313, hier S. 289 (online; PDF; 10,7 MB).
- Mitgliederkatalog der Crusca: Grund für die Wahl war seine 1954 vorliegende Historische Grammatik der italienischen Sprache und ihrer Mundarten, die erst zwölf Jahre später auf Italienisch erscheinen sollte.
Literatur
- Hans Helmut Christmann: Gerhard Rohlfs (1892–1986). In: Eikasmós 4, 1993, S. 317–320 (Kurzinformation).
- Frank-Rutger Hausmann: Rohlfs, Gerhard. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 21, Duncker & Humblot, Berlin 2003, ISBN 3-428-11202-4, S. 768 f. (Digitalisat).
- Salvatore Gemelli: Gerhard Rohlfs (1892–1986). Una vita per l’Italia dei dialetti. Rom 1990 (mit Schriftenverzeichnis von Liselotte Bihl, S. 237–290, insgesamt 727 Titel).
- Utz Maas: Verfolgung und Auswanderung deutschsprachiger Sprachforscher 1933–1945. Eintrag zu Gerhard Rohlfs (abgerufen: 15. April 2018)
Weblinks
- Literatur von und über Gerhard Rohlfs im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Veröffentlichungen von Gerhard Rohlfs im Opac der Regesta Imperii
- Rohlfs, Gerhard im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)