Georg Schendel
Georg Wilhelm Gustav Christian Schendel (* 10. August 1885 in Lauenburg in Pommern;[1] † 9. Juni 1911 in Adlershof bei Berlin)[2][3][4][Anm. 1] war ein deutscher Ingenieur, Flugpionier und Alter Adler.
Leben
Schendel wurde als Sohn des Kaufmanns, Hoflieferanten und späteren Stadtrats Friedrich Wilhelm Tobias Schendel (1852–?) und dessen Ehefrau Sophia Margarethe (1859–1941), geborene Bethge, in Lauenburg in Pommern geboren.[1][2]
Er besuchte ab 1892 zunächst die Knabenschule in der Gerberstraße[5], dann bis Ostern 1901 das Progymnasium zu Lauenburg in Pommern in der Neuendorfer Straße[5][6] und legte zu Ostern 1904 am Realgymnasium zu Kolberg seine Reifeprüfung ab[5][7].
Nach seiner Schulzeit leistete er für ein Jahr seinen Militärdienst bei der Marine.[5]
Danach begann er sein Schiffbau-Studium in Danzig. Später hörte er Vorlesungen an der Universität Göttingen bei Professor Ludwig Prandtl und war Gasthörer an der Technischen Hochschule Aachen[Anm. 2], wo er sein Studium als Ingenieur der Luftschiffahrt abschloss.[5]
Anfang 1911 ließ Schendel sich bei der Dorner Flugzeug GmbH auf dem Flugplatz Johannisthal zum Flugzeugführer ausbilden und wurde von Hermann Dorner persönlich in der Steuerung des Eindeckers unterwiesen.[8] Anfang Februar erfüllte er bereits die Bedingungen für das Flugzeugführerzeugnis[9], welches am 17. Februar 1911 mit der Nummer 63[10] vom Deutschen Luftschiffer-Verband ausgestellt wurde. Nach seiner Ausbildung arbeitete Schendel als Fluglehrer bei Dorner.
Schendel nahm an der „Nationalen Flugwoche, 4. bis 11. Juni 1911“ in Johannisthal teil.[11] An dieser Flugwoche durften sich laut Ausschreibung ausschließlich deutsche Piloten beteiligen, die im Besitz eines Flugzeugführerzeugnisses waren und die bisher noch keinen Flugpreis von 5000 Mark und darüber gewonnen hatten.[12] Daher wurde diese Flugwoche auch als „Anfängerflugwoche“ bezeichnet.[11] Darüber hinaus durften nur in Deutschland gebaute Flugzeuge geflogen werden, ausländische Motoren waren hingegen erlaubt.[12] Schendel war bei dieser Flugwoche mit seinem Dorner Eindecker T-III mit einem 40 PS-Körting-Motor gemeldet.
Während der Flugwoche machte Schendel sich einen Namen als sogenannter „Sturmflieger“, da er trotz teils widriger Witterung und starker böiger Winde an jedem Veranstaltungstag aufstieg und manchmal als Einziger seine Runden drehte.
Am dritten Flugtag (6. Juni) griff Schendel den am Abend zuvor von Vollmoeller aufgestellten neuen deutschen Höhenrekord von 1870 m an. Er kreiste immer höher hinauf, bis ihm der Kraftstoff ausging und er im Gleitflug und mit stehendem Motor landete. Nach der Landung zeigte der mitgeführte Maximal-Barograph eine Höhe von 2010 m an, womit Schendel den Höhenrekord vom Vortag gebrochen hatte.[Anm. 3] Gegen 20 Uhr am Abend des dritten Flugtags stieg Hirth mit einem Passagier auf und erreichte mit 1580 m einen neuen Höhen-Weltrekord mit Passagier.[13]
An den folgenden beiden Flugtagen war es stürmisch mit starken böigen Winden und außer Schendel, der an beiden Tagen für jeweils zehn Minuten aufstieg[Anm. 4], flog nur Oswald Kahnt (1883–1915) am Abend des fünften Flugtages eine halbe Runde.[13]
Gegen Abend des sechsten Flugtages (9. Juni) führte Schendel zunächst zwei Passagierflüge von je fünf Minuten Dauer durch. Als gegen 19:30 der Wind etwas nachließ und Kahnt, König, Grulich (1881–1949) und Jablonsky auf dem Platz erschienen, bereitete sich Schendel zum dritten Aufstieg mit Passagier vor, um diesmal den von Hirth aufgestellten Höhen-Weltrekord anzugreifen. Schendel startete zusammen mit seinem Freund und Schüler, dem Chefmonteur der Dornerwerke August Karl Voß (* 22. November 1883 in Amberg; † 9. Juni 1911 in Adlershof)[14][15], als Passagier und stieg kreisend immer höher hinauf, bis die Maschine kaum noch zu erkennen war; dann begann ein steiler Gleitflug. In ungefähr 1000–1200 m Höhe schwankte der Eindecker, dann senkte sich das Vorderteil und das Flugzeug ging noch steiler nach unten. Einer der beiden Insassen schien sich nach vorne zu beugen, um etwas in Ordnung zu bringen, dann verschwand das Flugzeug aus dem Sichtfeld der Beobachter und zerschellte in der „Laubenkolonie am Kummersee“[2][Anm. 5] am Glienicker Weg in Adlershof, rund drei Kilometer östlich des Flugplatzes. Man fand die Leichen der beiden Insassen in und unter der Maschine eingeklemmt. Schendel war mit dem Oberkörper herausgefallen, aber seine Beine mussten erst zwischen dem Gestänge herausgezogen werden. Voß konnte nur durch Anheben der ganzen Maschine befreit werden. Der im Wrack gefundene Maximalbarograph zeigte eine Höhe von 1680 m. Damit hatten Schendel und Voß den drei Tage zuvor von Hirth aufgestellten Höhen-Weltrekord mit einem Passagier gebrochen.[13]
Durch die Bergung der Leichen und durch Schaulustige, die sich „Andenken“ von dem Flugzeug abrissen, wurde das verhältnismäßig wenig beschädigte Wrack stark zerstört. In der Nacht wurde das Wrack mit Äxten und Sägen in Stücke zerteilt und abtransportiert. Durch die starke Zerstörung des Flugzeugwracks wurde die Ermittlung der Unfallursache erheblich erschwert und man war vorwiegend auf Zeugenaussagen angewiesen. Am Ende konnte die Ursache nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Als wahrscheinlichste Unfallursachen wurden genannt:[16][17]
- Versagen der Höhensteuerung wegen Drahtbruches oder dergleichen. Diese mögliche Ursache wurde aufgrund des Vorhandenseins von doppelten getrennten Steuerzügen und daher erforderlichen doppelten Drahtbruchs von der Dorner Flugzeug Gesellschaft bestritten.
- körperliches Versagen oder Steuerungsfehler des Flugzeugführers,
- starke „Luftwirbel“ (Turbulenzen) aufgrund des böigen Windes.
Schendel erhielt für die mit 214 Minuten dritthöchste Gesamtflugzeit an allen Flugtagen ein Preisgeld in Höhe von 2378,72 Mark, sowie den Zusatzpreis vom 1000 Mark für die zweitlängste Gesamtflugzeit mit Passagier (146 Minuten) und den Zusatzpreis von 2000 Mark für die größte Höhe (2010 m) posthum zuerkannt.[18] Die Preisgelder wurden an seine Eltern ausgezahlt.
Georg Schendel wurde am 14. Juni 1911 auf dem evangelischen Kirchhof in Lauenburg in Pommern beigesetzt.[5]
Publikationen
In den Jahren 1910 und 1911 veröffentlichte Schendel Aufsätze in der Zeitschrift für Flugtechnik und Motorluftschiffahrt über Umlaufmotoren und speziell über den Bucherermotor des Ingenieurs Max Bucherer aus Köln-Lindental.
- Umlauf-Motoren. In: Ansbert Vorreiter (Hrsg.): Zeitschrift für Flugtechnik und Motorluftschiffahrt. Hefte Nr. 19, 21, 23. R. Oldenbourg, 1910, ZDB-ID 243597-4, S. 250–252, 273–276, 300–302.
- Umlauf-Motoren. In: Ansbert Vorreiter (Hrsg.): Zeitschrift für Flugtechnik und Motorluftschiffahrt. Hefte Nr. 1, 2. R. Oldenbourg, 1911, ZDB-ID 243597-4, S. 5–9, 23–24.
- Umlauf-Motoren. Der Bucherer Motor. In: Ansbert Vorreiter (Hrsg.): Zeitschrift für Flugtechnik und Motorluftschiffahrt. Hefte Nr. 5, 6, 7. R. Oldenbourg, 1911, ZDB-ID 243597-4, S. 64–66, 76–77, 86–88.
Würdigung
Nach Georg Schendel ist seit dem 11. September 2002 die Georg-Schendel-Straße in Berlin auf dem Gebiet des ehemaligen Flugplatz Johannisthal im Bezirk Treptow-Köpenick benannt.[19]
Einzelnachweise
- Urkunde Nr. 154, Geburts-Register, Haupt-Register, Standesamt Lauenburg in Pommern, 1885–1887. (JPG) In: Materiały zdigitalizowane/Digitalisierte Materialien. Archiwum Państwowe w Koszalinie/Staatsarchiv in Koszalin, abgerufen am 29. August 2019.
- Urkunde Nr. 67, Sterbebuch, Standesamt Adlershof, Kreis Teltow, 1911, Band 1, Nr. 1 bis 153 im Landesarchiv Berlin; Berlin, Deutschland; Personenstandsregister Sterberegister
- Namensverzeichnis zum Sterberegister 1905–1928, Standesamt Adlershof, Bestand: P Rep. 641, lfd. Nr. 116. (PDF; 284 MB) In: Standesamtsabfrage. Landesarchiv Berlin, S. 208, abgerufen am 29. August 2019.
- Aufstellung der Flugzeugführer 1909–1914 mit Deutscher Flugzeuglizenz (PDF; 71 kB), abgerufen am 12. Mai 2013
- Alexander Kauther: "Mach mir den Brummer fertig!"; Aus dem Leben des Flugzeugführers Georg Schendel (1885–1911) und seinem Freund und Schüler, Obermonteur August Voß (1881–1911) (= Dokumentationsreihe über den Flugplatz Berlin-Johannisthal 1909–1914. Nr. 6). GRIN, ohne Ortsangabe 2011, ISBN 978-3-656-06036-9 (Leseprobe [abgerufen am 29. August 2019] Das im Untertitel für Voß angegebene Geburtsjahr ist falsch.).
- Direktor Sommerfeldt: Sechsundzwanzigster Jahresbericht des Progymnasiums zu Lauenburg in Pommern, Schuljahr 1901. Liste der Prüflinge, die Ostern 1901 das Zeugnis der Reife für Obersekunda erhielten. In: Digitale Sammlungen. Universitäts und Landesbibliothek Düsseldorf, abgerufen am 29. August 2019.
- Direktor Dr. Johannes Becker: Königl. Domgymnasium und Königl. Realgymnasium zu Kolberg 1904; Schulnachrichten über das Jahr 1903–1904. Reifeprüfungen am Realgymnasium Ostern 1904. In: Digitale Sammlungen. Universitäts und Landesbibliothek Düsseldorf, abgerufen am 29. August 2019.
- Ortsgruppe Kiel des Vereins für Motorluftschiffahrt in der Nordmark (Hrsg.): Nationales Wettfliegen Kiel 1911. Programmheft. L. Handorff, Graphische Kunstanstalt, Kiel 1911, Biographien der Flieger, S. 32 (Schendel war als Teilnehmer am Deutschen Rundflug 1911 mit der Startnummer 10 und als Teilnehmer der Kieler Flugwoche 1911 gemeldet, an denen er aufgrund seines Absturzes nicht mehr teilnahm.): „Georg Schendel, Dornerpilot und Fluglehrer der Dorner-Flugzeugwerke, ist von Dorner selbst in der Steuerung seines Eindeckers unterwiesen worden. In letzter Zeit hat er auf dem Johannisthaler Flugfeld sehr gute Flugleistungen erzielt.“
- Johannisthaler Statistik. In: Deutscher Luftschiffer-Verband (Hrsg.): Deutsche Zeitschrift für Luftschiffahrt. Nr. 3. Braunbeck & Gutenberg-Druckerei, Berlin 8. Februar 1911, DNB 011265957, Verschiedenes, S. 32.
- Flugführerzeugnisse. In: Deutscher Luftschiffer-Verband (Hrsg.): Deutsche Zeitschrift für Luftschiffahrt. Nr. 4. Braunbeck & Gutenberg-Dr., Berlin 22. Februar 1911, DNB 011265957, Amtliche Mitteilungen des Deutschen Luftschiffer-Verbandes, S. 1.
- Die diesjährige nationale Flugwoche Berlin-Johannisthal. In: Oskar Ursinus (Hrsg.): Flugsport. Nr. 11. Verlag für Flugsport, Frankfurt a. M. 17. Mai 1911, DNB 011239654, Flugkonkurrenzen., S. 380.
- Die Nationale Flugwoche Johannisthal. In: Oskar Ursinus (Hrsg.): Flugsport. Nr. 13. Verlag für Flugsport, Frankfurt a. M. 14. Juni 1911, DNB 011239654, Flugtechnische Rundschau, Inland., S. 462–464.
- Johannisthal. In: Deutsche Zeitschrift für Luftschiffahrt; Illustrierte Aeronautische Mitteilungen. Nr. 12. Braunbeck & Gutenberg-Dr., Berlin 14. Juni 1911, DNB 011265957, Deutscher Flugmonat 1911., S. 8.
- Urkunde Nr. 68, Sterbebuch, Standesamt Adlershof, Kreis Teltow, 1911, Band 1, Nr. 1 bis 153 im Landesarchiv Berlin; Berlin, Deutschland; Personenstandsregister Sterberegister
- Namensverzeichnis zum Sterberegister 1905–1928, Standesamt Adlershof, Bestand: P Rep. 641, lfd. Nr. 116. (PDF; 284 MB) In: Standesamtsabfrage. Landesarchiv Berlin, S. 237, abgerufen am 29. August 2019.
- F. Bendemann: Bericht über die Ursachen des Sturzes von Schendel und Voss am 9. Juni 1911 in Johannisthal. In: Deutsche Zeitschrift für Luftschiffahrt; Illustrierte Aeronautische Mitteilungen. Nr. 13. Braunbeck & Gutenberg-Dr., Berlin 28. Juni 1911, DNB 011265957, S. 18–20.
- Dorner Flugzeug-Gesellschaft: Berichtigung. In: Oskar Ursinus (Hrsg.): Flugsport. Nr. 14. Verlag für Flugsport, Frankfurt a. M. 28. Juni 1911, DNB 011239654, Zuschriften an die Redaktion, S. 511.
- Ergebnisse der Johannisthaler Nationalen Flugwoche. In: Deutsche Zeitschrift für Luftschiffahrt; Illustrierte Aeronautische Mitteilungen. Nr. 13. Braunbeck & Gutenberg-Dr., Berlin 28. Juni 1911, DNB 011265957, S. 22.
- Georg-Schendel-Straße in Berlin. In: Kauperts Straßenführer durch Berlin. kaupert media, abgerufen am 29. August 2019.
Anmerkungen
- Die Sterbeurkunde gibt ein falsches Alter von 24 Jahren an. Auf der linken Seite trägt die Urkunde einen mit Bleistift geschriebenen Randvermerk „10./8. 1885“, die das korrekte Geburtsdatum angibt. Schendel war zum Zeitpunkt seines Todes 25 Jahre und 10 Monate alt.
- In seinem Flugzeugführerzeugnis wird als Wohnanschrift „Aachen, Monheimsallee 37“ angegeben.
- Dieser Höhenrekord wurde von Hirth am 20. Juni 1911 auf der Kieler Flugwoche mit 2200 m übertroffen.
- Am fünften Flugtag (8. Juni) zwang ihn in 150 m Höhe ein Zündaussetzer eines Zylinders seines Motors zur Landung.
- Das Gelände der Laubenkolonie am Kummersee lag auf einem Gebiet, das durch die Handjerystraße im Südwesten, den Büchnerweg (damals Auguste-Viktoria-Straße) im Nordwesten bis zur Zinsgutstraße (damals Kaiser-Friedrich-Straße), dann weiter in einem leicht nach Süden geschwungenen Bogen bis etwa zur Eisenbahnbrücke des Berliner Außenrings über die Glienicker Straße (nahe der Pestalozzistraße) und durch die Glienicker Straße im Südosten begrenzt wird. Der heute nicht mehr vorhandene Kummersee (eigentlich „Comer See“) lag ungefähr hier . Das Gelände der Laubenkolonie wurde Anfang der 1920er Jahre bebaut. Ein kleiner Rest des ehemaligen Geländes existiert heute noch in der südöstlichen Ecke der Kleingartenanlage „Lange Gurke“.