Friedrich Keutgen
Friedrich Wilhelm Eduard Keutgen (* 28. Juli 1861 in Bremen; † 30. September 1936 in Hamburg) war ein deutscher Historiker. Keutgen lehrte von 1919 bis 1933 als Professor für Mittlere und Neuere Geschichte an der Universität Hamburg.
Leben und Wirken
Keutgens Vater Carl Theodor Keutgen war als Kaufmann im Englandhandel tätig. Dadurch wurde Keutgen abwechselnd auf Bremer Schulen und in Manchester durch Hauslehrer unterrichtet. Keutgen besuchte das Gymnasium von 1875 bis 1879. Die Schule verließ er jedoch ohne Abitur und wurde Kaufmann. Von 1879 bis 1887 war er als Kaufmann in Manchester tätig. Dort lernte er Annie Wilkinson kennen, die er 1897 ehelichte. Keutgen holte das Abitur nach. Seit dem Sommersemester 1887 studierte er Geschichte in Gießen, Göttingen und Straßburg. In Straßburg begegnete er den Studenten Karl Brandi, Aby Warburg und Hans Nirrnheim. Dort wurde er im März 1890 mit einer Arbeit über die Beziehungen der Hanse zu England im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts promoviert. In Jena erfolgte 1895 die Habilitation mit Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Stadtverfassung. Im Jahre 1900 wurde er außerordentlicher Professor. 1904/05 lehrte er als Gastdozent an der Johns Hopkins University in Baltimore. Eine Professur lehnte er dort ab, da er im deutschsprachigen Raum bleiben wollte. Ebenso wies er einen Ruf nach Utrecht zurück.[1] Seine Hoffnungen auf Berufungen nach Tübingen oder Freiburg erfüllten sich nicht. Keutgen wurde im Sommersemester 1910 Nachfolger von Adalbert Wahl am Hamburger Kolonialinstitut und unterrichtete dort hauptsächlich britische Expansionsgeschichte. Im Dezember 1913 beantragte Keutgen bei der Oberschulbehörde die Einrichtung einer kolonialgeschichtlichen Abteilung, in der Hoffnung auf ein stärkeres Interesse an den Kolonien und eine breite Zustimmung für die Kolonialpolitik. Senat und Bürgerschaft stellten dafür 10.000 Mark zur Verfügung. Durch den Kriegsausbruch verzögerte sich das Vorhaben aber erheblich.[2] Im Oktober 1914 unterzeichnete Keutgen die „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“. Bedingt durch den Kriegsverlauf verfasste Keutgen den Beitrag Britische Reichsprobleme und der Krieg.
Keutgen setzte sich für die Gründung einer Universität in Hamburg ein. Im Wintersemester 1918/19 wurde er zum Vorsitzenden des Professorenkonvents des Hamburgischen Vorlesungswesens und des Professorenrates des Kolonialinstituts gewählt.[3] An der 1919 errichteten Hamburger Universität übernahm er den Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte II. Keutgen fungierte als Erst- und Zweitgutachter bei 28 Doktorarbeiten, musste aber deshalb weitere Forschungen und Publikationen vollständig einstellen. Angesichts der Bedeutung Keutgens für die akademische Lehre und Hochschulverwaltung wurde sein Eintritt in den Ruhestand zwei Mal verschoben. Am 30. September 1933 wurde er mit 72 Jahren emeritiert. Ohne reguläres Berufungsverfahren wurde als Keutgens Nachfolger mit Otto Westphal ein „Vertreter NS-affizierter Geschichtsschreibung“ berufen.[4] Mit keinem anderen Gelehrten führte Keutgen in seiner akademischen Laufbahn so einen intensiven Austausch wie mit Georg von Below. Ihm widmete er sein Buch Der deutsche Staat des Mittelalters (1918).[5] Im Ruhestand arbeitete er über seinen Freund und Kollegen an einer biografischen Darstellung, die er nicht mehr abschließen konnte. Im Jahr 1936 starb Keutgen an einem Herzinfarkt.
In bewusster Auseinandersetzung zu den Ansichten von Werner Sombart hob Keutgen zunächst bis zu seiner Berufung im Jahr 1910 die Bedeutung der hansischen Groß- und Fernhandelskaufleute für die wirtschaftliche Entwicklung hervor. Nach 1910 wandte er sich dann der deutschen Reichsverfassung zu. Keutgen veröffentlichte 1899 und 1901 die beiden Bände der Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte. Außerdem legte er Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Stadtverfassung (1895), Ämter und Zünfte (1903) und Der deutsche Staat des Mittelalters (1918) vor. In den 1920er Jahren waren seine Schwerpunkte die Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters. Allerdings hielt Keutgen bis zum Wintersemester 1926/27 regelmäßig Vorlesungen zur „Allgemeinen Kolonialgeschichte“.[6] Zusammen mit Georg von Below war Keutgen Herausgeber einer Editionsreihe zu Urkunden der deutschen Verfassungsgeschichte. Nach Ernst Pitz hat Keutgen „als erster den Vorgang der gemeinen und öffentlichen politischen Willensbildung zum Ausgangspunkt der Verfassungsgeschichte gemacht und damit die Frage nach den Regeln aufgeworfen, denen dieser Vorgang unterlag.“[7]
Keutgen war von 1912 bis 1935 Vorstandsmitglied im Verein für Hamburgische Geschichte. Ebenfalls war er ab 1913 Mitglied im Verein für Lübeckische Geschichte. Für seine Forschungen wurden Keutgen zahlreiche wissenschaftliche Ehrungen und Mitgliedschaften zugesprochen. Keutgen wurde 1913 in die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen aufgenommen und 1924 korrespondierendes Mitglied der philologisch-historischen Klasse in der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen.[8]
Schriften (Auswahl)
- Der deutsche Staat des Mittelalters. Fischer, Jena 1918 (Neudruck Aalen 1963).
- Hansische Handelsgesellschaften, vornehmlich des 14. Jahrhunderts. Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 4 (1906), S. 278–324.
- Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Stadtverfassung. Duncker & Humblot, Leipzig 1895 (Zugleich: Jena, Univ., Habilitations-Schrift, 1894).
- Die Beziehungen der Hanse zu England im letzten Drittel des vierzehnten Jahrhunderts. Ricker, Giessen 1890 (Strassburg, Universität, Dissertation, 1890).
Literatur
- Ludwig Beutin: Friedrich Keutgen † In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 30 (1937), S. 95–98.
- Paul Koschaker: Germanistische Chronik. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 57 (1937), S. 746.
- Rainer Nicolaysen, Axel Schildt (Hrsg.): 100 Jahre Geschichtswissenschaft in Hamburg (= Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte. Band 18). Reimer, Berlin u. a. 2011, ISBN 978-3-496-02838-3.
- Gunnar B. Zimmermann: Keutgen, Friedrich. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 6. Wallstein, Göttingen 2012, ISBN 978-3-8353-1025-4, S. 157–158.
- Jens Ruppenthal: Kolonialismus als „Wissenschaft und Technik“. Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919 (= Historische Mitteilungen. Band 66). Steiner, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-515-09004-9 (Zugleich: Kiel, Universität, Dissertation, 2006).
Weblinks
Anmerkungen
- Ludwig Beutin: Friedrich Keutgen † In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 30 (1937), S. 95–98, hier: S. 97.
- Jens Ruppenthal: Kolonialismus als „Wissenschaft und Technik“. Das Hamburgische Kolonialinstitut 1908 bis 1919. Stuttgart 2007, S. 227–231.
- Ludwig Beutin: Friedrich Keutgen † In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 30 (1937), S. 95–98, hier: S. 98.
- So Bernd Faulenbach: Westphal, Otto. In: Historikerlexikon. Von der Antike bis zur Gegenwart. Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Rainer A. Müller. 2. Auflage. München 2002, S. 356f. Vgl. auch: Hans-Werner Goetz: Geschichtswissenschaft in Hamburg im „Dritten Reich.“ In: Rainer Nicolaysen, Axel Schildt (Hrsg.): 100 Jahre Geschichtswissenschaft in Hamburg. Berlin u. a. 2011, S. 103–160, hier: S. 113.
- Ludwig Beutin: Friedrich Keutgen † In: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 30 (1937), S. 95–98, hier: S. 96.
- Andreas Eckert: Von der Kolonial- und Überseegeschichte zur modernen außereuropäischen Geschichte. In: Rainer Nicolaysen, Axel Schildt (Hrsg.): 100 Jahre Geschichtswissenschaft in Hamburg. Berlin u. a. 2011, S. 83–102, hier: S. 85.
- Ernst Pitz: Verfassungslehre und Einführung in die deutsche Verfassungsgeschichte des Mittelalters. Berlin 200, S. 45f.
- Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Bd. 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Bd. 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 131.