Frauengesundheitsinitiative
Die US-amerikanische Frauengesundheitsinitiative (engl. Women's Health Initiative, abgekürzt WHI) wurde im Jahr 1991 von den National Institutes of Health ins Leben gerufen. Ziel der Initiative war die Durchführung medizinischer Forschung in den Kernbereichen gesundheitlicher Probleme älterer Frauen. Hierfür wurde drei klinische Testreihen für Präventivmaßnahmen und eine große Beobachtungsstudie konzipiert und finanziert. Schwerpunkt der Forschung waren Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs und Osteoporose. Insgesamt wurden 625 Millionen US-Dollar aufgewendet und 160.000 Frauen als Studienteilnehmerinnen rekrutiert. Die Estrogen plus Progestin Study (E+P) wurde 2002 vorzeitig gestoppt, da die Risiken den Nutzen der postmenopausalen Therapie überschritten, insbesondere zeigte sich ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen und Brustkrebs.[1]
Wissenschaftlicher Hintergrund
Seit den 1950er Jahren nutzte die medizinische Forschung – vor allem in den USA – epidemiologische Erhebungen, also große Kohortenstudien, um Zusammenhänge zwischen Lebensstilfaktoren und häufigen Erkrankungen zu entdecken. Wegbereitend waren hier die Sieben-Länder-Studie, die Nurses’ Health Study (NHS) und die Framingham-Herz-Studie. Da diese Studien aber nur Männer (Sieben-Länder-Studie, Framingham-Studie) oder aber nur Frauen einer bestimmten Berufsgruppe (NHS, Krankenschwestern) untersuchten, gab es für Frauen kaum aussagekräftige Daten. Zudem waren ethnische Minderheiten kaum in bisherigen Studien repräsentiert. Die Frauengesundheitsinitiative sollte diese Lücken füllen.
Aus Vorläuferstudien in den 1980er Jahren war hervorgegangen, dass Frauen vor allem durch Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs und Osteoporose in ihrer Überlebensprognose und Lebensqualität bedroht waren.[2] Östrogenmangel als Merkmal der Menopause wurde als Risikofaktor, vor allem für Osteoporose erkannt. Kleinere Studien zeigten einen Nutzen der Hormonersatztherapie.[3][4][5]
Durchführung
Ab 1993 wurden für das Projekt Frauen zwischen 50 und 79 Jahren in zunächst 16, später insgesamt 40 Studienzentren in den USA rekrutiert. 20 % der Teilnehmerinnen sollten ethnischen Minderheiten entstammen. Vorrangiges Ziel der Rekrutierung waren die drei Interventionsstudien; alle Interessentinnen, die für diese Studien nicht geeignet waren oder daran nicht teilnehmen wollten, konnten zumindest an der Beobachtungsstudie (Kohortenstudie) teilnehmen.[6]
93.676 Frauen waren Teilnehmerinnen der Kohortenstudie, 48.835 Teilnehmerinnen wurden mit diätetischen Maßnahmen behandelt, 27.347 Frauen erhielten eine Hormonersatztherapie und 36.282 Frauen wurden dahingehend untersucht, ob eine Supplementation mit Calcium und Vitamin D nützlich ist.[7]
Ergebnisse
Die Kohortenstudie ermittelte zahlreiche Risikofaktoren für Brustkrebs: Hormonersatztherapie, Aktiv- und Passivrauchen, übermäßiger Alkoholkonsum. Kardiovaskuläre Erkrankungen wurden u. a. mit Schlafstörungen, Feinstaub und mangelnder körperlicher Aktivität in Zusammenhang gebracht. Verzehr von Vollkornprodukten war mit einem geringen Risiko für Typ-2-Diabetes vergesellschaftet, Multivitaminpräparate zeigten keinerlei Schutzwirkung vor Krebs, Herzerkrankungen oder frühzeitigem Tod.
Die Interventionsstudien zeigten keinen Nutzen der Hormonersatz-Behandlung auf das kardiovaskuläre Risiko,[8] aber ein gesteigertes Risiko für Brustkrebs durch Östrogen-Progesteron-Präparate.[9] Östrogen-Präparate senkten das Brustkrebsrisiko.[10] Ernährungsumstellung auf eine fettarme, pflanzlich betonte Nahrungszufuhr senkte zwar kardiovaskuläre Risikofaktoren ab,[11] beeinflusste aber nicht das tatsächliche Auftreten von kardiovaskulären Erkrankungen,[12][13] Brust- oder Darmkrebs.[14] Eine präventive Behandlung mit Calcium und Vitamin D senkte weder das Risiko für Darmkrebs, noch für Frakturen.[15][16][17]
Daten der Frauengesundheitsinitiative wurden in mehr als 2000 Publikationen veröffentlicht, sie gehört damit zu den wichtigsten Studien der Medizingeschichte.[18]
Folgeprojekte
Das Studienprojekt wurde im Verlauf deutlich erweitert, hierzu wurden Teilnehmerinnen aus allen Studienarmen in bislang drei jeweils fünfjährigen Ergänzungsstufen (zuletzt 2015–2020) erneut zu Untersuchungen eingeladen. Zusätzliche Studienprojekte untersuchten Faktoren für Langlebigkeit oder die Wirksamkeit bestimmter Nahrungsergänzungsmittel.[19]
Kritik
Die epidemiologische Studie unterliegt den üblichen Limitationen von Kohortenstudien; Korrelationen geben nicht zwingend einen Hinweis auf Kausalbeziehungen. Dies zeigt sich in der Diskrepanz zwischen vielen Ergebnissen der Beobachtungsstudie und der Interventionsstudien. Hinzukommt für die Frauengesundheitsinitiative die relativ geringe Therapietreue und hohe Abbruchrate der Teilnehmerinnen. Das Durchschnittsalter der Frauen lag zudem bei 63 Jahren. Präventivbehandlungen von Wechseljahresbeschwerden würden aber 10 bis 15 Jahre früher eingesetzt werden. Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, dass ein wesentlicher Therapieanreiz der Behandlungen, nämlich die Linderung von Symptomen bei Wechseljahresbeschwerden, nicht erfasst wurde.[20][21]
Weblinks
- Website der Initiative (englisch)
Literatur
- Tara Parker-Pope: The Women’s Health Initiative and the Body Politic. In: The New York Times. 9. April 2011.
Einzelnachweise
- G. Heiss, R. Wallace, G. L. Anderson, A. Aragaki, S. A. Beresford, R. Brzyski, R. T. Chlebowski, M. Gass, A. LaCroix, J. E. Manson, R. L. Prentice, J. Rossouw, M. L. Stefanick: Health risks and benefits 3 years after stopping randomized treatment with estrogen and progestin. In: JAMA : the journal of the American Medical Association. Band 299, Nummer 9, März 2008, S. 1036–1045, ISSN 1538-3598. doi:10.1001/jama.299.9.1036. PMID 18319414.
- D. M. Black, S. R. Cummings, H. K. Genant, M. C. Nevitt, L. Palermo: Axial and Appendicular Bone Density Predict Fractures in Older Women. Juni 1992, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- Effects of Estrogen or Estrogen/Progestin Regimens on Heart Disease Risk Factors in Postmenopausal Women. The Postmenopausal Estrogen/Progestin Interventions (PEPI) Trial. The Writing Group for the PEPI Trial. 18. Januar 1995, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- S. Johnson, I. Mebane-Sims, P. E. Hogan, D. B. Stoy: Recruitment of Postmenopausal Women in the PEPI Trial. Postmenopausal Estrogen/Progestin Interventions. August 1995, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- E. Barrett-Connor, S. Slone, G. Greendale, D. Kritz-Silverstein, M. Espeland: The Postmenopausal Estrogen/Progestin Interventions Study: Primary Outcomes in Adherent Women. Juli 1997, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- J. Hays, J. R. Hunt, F. A. Hubbell, G. L. Anderson, M. Limacher: The Women's Health Initiative Recruitment Methods and Results. Oktober 2003, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- Prentice R. L., Anderson G. L.: The Women's Health Initiative: Lessons Learned. 2008, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- M. J. Stampfer, G. A. Colditz: Estrogen Replacement Therapy and Coronary Heart Disease: A Quantitative Assessment of the Epidemiologic Evidence. Januar 1991, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- W. D. Dupont, D. L. Page: Menopausal Estrogen Replacement Therapy and Breast Cancer. Januar 1991, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- K. K. Steinberg, S. B. Thacker, S. J. Smith, D. F. Stroup, M. M. Zack: A Meta-Analysis of the Effect of Estrogen Replacement Therapy on the Risk of Breast Cancer. 17. April 1991, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- K. Oh, F. B. Hu, J. E. Manson, M. J. Stampfer, W. C. Willett: Dietary Fat Intake and Risk of Coronary Heart Disease in Women: 20 Years of Follow-Up of the Nurses' Health Study. 1. April 2005, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- S. Liu, M. J. Stampfer, F. B. Hu, E. Giovannucci, E. Rimm: Whole-grain Consumption and Risk of Coronary Heart Disease: Results From the Nurses' Health Study. September 1999, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- T. T. Fung, M. J. Stampfer, J. E. Manson, K. M. Rexrode, W. C. Willett: Prospective Study of Major Dietary Patterns and Stroke Risk in Women. September 2004, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- S. Liu, J. E. Manson, I. M. Lee, S. R. Cole, C. H. Hennekens: Fruit and Vegetable Intake and Risk of Cardiovascular Disease: The Women's Health Study. Oktober 2000, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- T. Chevalley, R. Rizzoli, V. Nydegger, D. Slosman, C. H. Rapin: Effects of Calcium Supplements on Femoral Bone Mineral Density and Vertebral Fracture Rate in vitamin-D-replete Elderly Patients. September 1994, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- H. A. Bischoff-Ferrari, W. C. Willett, J. B. Wong, E. Giovannucci, T. Dietrich: Fracture Prevention With Vitamin D Supplementation: A Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. 11. Mai 2005, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- M. L. McCullough, A. S. Robertson, C. Rodriguez, E. J. Jacobs, A. Chao: Calcium, Vitamin D, Dairy Products, and Risk of Colorectal Cancer in the Cancer Prevention Study II Nutrition Cohort (United States). Februar 2003, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- Bibliography - Publications and Paper Proposals (Excel). Abgerufen am 11. Mai 2020.
- WHI - COcoa Supplement and Multivitamin Outcomes Study (COSMOS) Trial. Abgerufen am 11. Mai 2020.
- R. L. Prentice, J. E. Manson, R. D. Langer, G. L. Anderson, M. Pettinger: Benefits and Risks of Postmenopausal Hormone Therapy When It Is Initiated Soon After Menopause. 1. Juli 2009, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).
- E. Banks, K. Canfell: Invited Commentary: Hormone Therapy Risks and benefits--The Women's Health Initiative Findings and the Postmenopausal Estrogen Timing Hypothesis. 1. Juli 2009, abgerufen am 11. Mai 2020 (englisch).