Fragen eines lesenden Arbeiters
Fragen eines lesenden Arbeiters ist ein Gedicht des deutschen Dichters und Dramatikers Bertolt Brecht. Es ist Bestandteil der Sammlung Svendborger Gedichte.
Entstehung
Brecht schrieb das Gedicht 1935 im Exil in Dänemark. Es wurde erstmals 1936 in der Zeitschrift Das Wort in Moskau veröffentlicht. Der Autor fügte es in zwei weitere Zusammenstellungen ein: einmal 1944 in Gedichte im Exil in den USA, dann 1949 in die Kalendergeschichten. Die verschiedenen Versionen sind fast identisch.
Inhalt
Das Gedicht leitet in der Sammlung Svendborger Gedichte den Teil III, Chroniken ein. Es ist in vier Abschnitte untergliedert (die hier gewählten Überschriften stammen nicht von Brecht):
- Historische Ereignisse (Vers 2–14) Vordergründig werden bekannte historische Tatsachen abgefragt („Wer baute das siebentorige Theben?“), doch bereits in Zeile drei wird deutlich, worauf es dem Autor ankommt: die etablierte Geschichtsschreibung, nämlich Geschichte nur aus der Sicht der Herrschenden zu betrachten, zu hinterfragen.
- Eroberungen (Vers 15–22) Das Schema von schnell aufeinanderfolgender These und Frage wird beibehalten, um die Aussage zu verstärken: Den einfachen Menschen sei in der bisherigen Geschichtsschreibung nicht der ihnen gebührende Platz eingeräumt worden. Bei der Tendenz zur Kürze und Spruchhaftigkeit ist bemerkenswert, dass trotz „aller Leichtigkeit des Tons eine agitatorische Leidenschaft nicht fehlt“.[1]
- Zusammenfassung (Vers 23–26) Hier wird komprimiert und die Folgen werden thematisiert: „Wer bezahlte die Spesen?“
- Quintessenz (Vers 27–28) Am Ende formuliert Brecht noch einmal direkt die These, es sei notwendig, die historischen Berichte durch Hinterfragen neu zu bewerten.[2]
Überlieferte Diskussionen Brechts mit dem Maler Hans Tombrock belegen, dass der Autor sich über das Gedicht hinaus mit der Figur des „lesenden Arbeiters“ beschäftigte. In der Nachkriegszeit stand für Brecht dann mehr der „lernende Arbeiter“ im Vordergrund: „jetzt beginnen die Proleten […] Ihr Erbe ist das Zerstörte“.[3] Die Autoren des Brecht Lexikons meinen, die Brecht-Forschung habe es bislang versäumt, einer anderen Frage nachzugehen: ob Brecht nicht auch nahelegen wollte, dass man den Arbeitern neben den Großtaten auch die Gräueltaten in der Geschichte zurechnen müsse.[4]
Anregungen für sein Gedicht fand Brecht unter anderem bei B. Traven. In dessen Roman Das Totenschiff heißt es:
„Was würde Cäsar mit seinen Armeen machen, wenn er keine Unteroffiziere hätte?“
... und in den „Fragen eines lesenden Arbeiters“:
„Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“
Rezeption
Die Partei DIE LINKE hat das Gedicht ihrem auf dem Erfurter Parteitag am 23. Oktober 2011 beschlossenen Grundsatzprogramm vorangestellt.[5] Diese Verwendung geht auf einen Vorschlag Oskar Lafontaines zurück.[6] Der rheinland-pfälzische Landesverband der Linksjugend Solid nahm das Gedicht bereits im August 2011 in sein eigenes Grundsatzprogramm auf.[7]
Weblinks
- Fragen eines lesenden Arbeiters im erläuternden Artikel Zur Ethik, Wissenschaft und Repräsentanz der Geschichtsschreibung auf www.sgipt.org (abgerufen am 15. März 2014)
Einzelnachweise
- Franz Norbert Mennemeier: Bertolt Brechts Lyrik : Aspekte, Tendenzen. 1. Auflage. Bagel, Düsseldorf 1982, ISBN 3-590-02421-6, S. 167.
- Brecht Handbuch : Gedichte. In: Jan Knopf (Hrsg.): Brecht Handbuch. Band 2. J.B. Metzler, Stuttgart 2001, ISBN 3-476-01828-8, S. 281 f.
- Briefe 3. In: Klaus-Detlef Müller, Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei (Hrsg.): Bertolt Brecht. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe. 1. Auflage. Band 30. Suhrkamp, Berlin 1998, ISBN 978-3-518-40030-2, S. 11.
- Ana Kugli, Michael Opitz (Hrsg.): Brecht Lexikon. J.B. Metzler, Stuttgart 2006, ISBN 3-476-02091-6, S. 121.
- Programm: DIE LINKE. In: Die-Linke.de. Abgerufen am 6. Oktober 2020.
- http://www.die-linke.de/programm/archiv/programmkonvent/reden/diegrundsatzfragestellen/
- Freiheit, Gleichheit, Solidarität – oder: Was will die Linksjugend [‘solid] Rheinland-Pfalz? In: Linksjugend ['solid] Rheinland-Pfalz. August 2011, abgerufen am 6. Oktober 2020.