Elsa Gindler
Elsa Gindler (* 19. Juni 1885 in Berlin; † 8. Januar 1961 in Berlin) war eine deutsche Gymnastiklehrerin, und Begründerin einer Form der Gymnastik und Bewegungstherapie. Da sie ihrer Schule weder einen theoretischen Überbau noch einen zugkräftigen Namen gab, wird heute häufig von „Gindler-Arbeit“ oder „Therapie nach Gindler“ gesprochen. Hauptmerkmal dieser Arbeit ist die behutsame Förderung der Selbsterfahrung und der Entfaltung der natürlichen Anlagen. Ihre Ansätze wurden von der Körpertherapie bzw. Körperpsychotherapie aufgenommen.
Leben
Elsa Gindler wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Berlin auf. Ihre kaufmännische Ausbildung musste sie sich selbst als Hilfsarbeiterin in einer Fabrik, als Haushaltshilfe und durch Schneiderarbeiten finanzieren. Ab 1906 arbeitete sie als Buchhalterin in einer Möbeltischlerei. Neben ihrem Beruf besuchte sie abends allgemeinbildende Kurse und engagierte sich in der Lebensreform-Bewegung. Gindler sagte von sich selbst einmal, sie sei eine … eifrige Pionierin für die Körperbildung der Frau gewesen.
1911 lernte Gindler die Gymnastiklehrerin Hedwig Kallmeyer kennen, die in Amerika bei Genevieve Stebbins ausgebildet worden war, und ließ sich bei ihr in „Harmonischer Gymnastik“ ausbilden. Schon ab dem Herbst 1912 war Gindler als selbstständige Gymnastiklehrerin tätig und begann im Jahr 1917 mit ihrer ersten Ausbildungsgruppe die Arbeit. Sie bildete bis zur Mitte der 1920er Jahre etwa 60 Gymnastiklehrerinnen aus. Franz Hilker gründete 1925 gemeinsam mit Gindler und anderen Gymnastikschulen den Deutschen Gymnastikbund. Gindler war bis 1933 stellvertretende Vorsitzende.[1]
1924 begegnete Gindler dem Musikpädagogen Heinrich Jacoby, der über die Bedeutung von Verhalten und Zustand für Wahrnehmungs-, Gestaltungs- und Äußerungsvorgänge forschte und seine Erkenntnisse in Kursen für die Allgemeinheit lehrte. Elsa Gindler und Heinrich Jacoby gaben in der folgenden Zeit auch gemeinsame Kurse, in denen sie sich „… Fragen der Entfaltung und Nachentfaltung menschlicher Möglichkeiten“ widmeten. In einem Vortrag mit dem Titel „Die Gymnastik des Berufsmenschen“ führte Elsa Gindler 1926 aus, dass nur Konzentration zu einer verbesserten Leistung führe, nicht aber das Erlernen bestimmter Bewegungen.[2]
Heinrich Jacoby musste 1933 emigrieren, sodass die Zusammenarbeit zwischen ihm und Elsa Gindler bis 1939 nur noch in Ferienkursen in der Schweiz und in Italien stattfinden konnte.
Elsa Gindler blieb in Deutschland. Sie lehnte jedoch den Nationalsozialismus entschieden ab und half politisch und rassisch Verfolgten, womit sie sich selbst in Gefahr brachte. In Berlin konnte sie weiterhin ihre Seminare abhalten. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurden ihre Arbeitsräume durch Bomben zerstört, wobei ihre Aufzeichnungen, die ihre Arbeit dokumentiert hatten, weitgehend vernichtet wurden. Nach Kriegsende gelang es Elsa Gindler, erneut eine Gymnastikschule in Berlin-Dahlem aufzubauen, in der sie bis zu ihrem Tod 1961 wirkte. Ein Jahr nach ihrem Tod wurde in Israel ein Hain gepflanzt „zum Ausdruck unserer Dankbarkeit und unserer Verehrung für Elsa Gindler und für ihr Wirken“.
Rezeption
Elsa Gindler und Heinrich Jacoby gaben ihrer Arbeit zu ganzheitlicher körperlicher Wahrnehmung und zu den Ausdrucksformen nie einen formellen Namen. Gindlers Arbeit („die Arbeit“) beeinflusste jedoch stark die Entwicklung der sogenannten Körperpsychotherapie und Körperarbeit.[3] Anfang der 1930er Jahre arbeiteten etwa Elsa Lindenberg, die damalige Freundin/Partnerin (Reich war noch mit Annie Pink verheiratet) von Wilhelm Reich, und Laura Perls, die Frau von Fritz Perls, aber auch Ruth Cohn bei Elsa Gindler. Vermittelt durch sie gingen deren Erfahrungen in die Konzepte der Vegetotherapie und der Gestalttherapie ein[4] und über ihre Schülerinnen Lily Ehrenfried und Charlot Selver auch in die Integrative Bewegungstherapie von Hilarion Petzold[5].
Durch die erzwungene Emigration etlicher von Gindlers Schülerinnen fand weitere internationale Verbreitung statt. Insbesondere führte Charlotte Selver, die 1938 in die USA emigrierte, „die Arbeit“ dort unter dem Namen Sensory Awareness ein und erreichte namhafte Schüler und Schülerinnen der linken (emigrierten) Psychotherapeutenszene und Vertreter der Human Potential Bewegung.[6] Selver beeinflusste so neben vielen anderen auch maßgeblich die Esalen-Massage. Lily Ehrenfried verbreitete die Lehren Elsa Gindlers in ihrer heilgymnastischen Praxis in Paris weiter als „Gymnastique holistique“. Grundelemente wurden auch bestimmend für die Arbeiten von u. a. Moshé Feldenkrais und Elaine Summers. Die in Deutschland verbliebenen Gindler-Schülerinnen führten ihre persönliche Ausgestaltung „der Arbeit“ weiter. Die einflussreichsten waren Sophie Ludwig, Elfriede Hengstenberg und Frieda Goralewski. Letztere gab auch Ausbildungen in ihrer Arbeit.
Literatur
- Edith von Arps-Aubert: Das Arbeitskonzept von Elsa Gindler (1885-1961), dargestellt im Rahmen der Gymnastik der Reformpädagogik. Diss. Marburg. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2010, ISBN 978-3-8300-5233-3.
- Alice Aginsky: Rééducation fonctionelle guidée à partir du Chemin de la détente. Paris 2000.
- Charles V.W. Brooks: Erleben durch die Sinne (Sensory Awareness) in der deutschen Bearbeitung von Charlotte Selver. Innovative Psychotherapie und Humanwissenschaft Bd. 7, hrsg. von Petzold Hilarion, Paderborn 1997.
- Heinrich Dauber: Gindlertradition und Gestaltpädagogik. In: Integrative Bewegungstherapie. Nr. 1, (2003), S. 4ff.
- Hilarion G. Petzold (2005m): Materialien zur Geschichte der Körperpsychotherapie. In: Integrative Bewegungstherapie 1, S. 28–42.
- Edith de Jaco-Stebler: Gindler und Jacoby im gymnasialen Sportunterricht. In: Ehrhardt, Johannes (Hrsg.): Wege der Achtsamkeit, Ausprägungen und Weiterentwicklungen der Gindler-Impulse. CALE Papers Nr. 13, Universität Hannover, 2001.
- Jutta Emde-Mosebach: Leben und Werk von Elsa Gindler 1885–1961, Magisterarbeit, Kassel 2001.
- Lily Ehrenfried: Atmen, Bewegen, Erkennen. unveränderte Neuauflage des 1957 in Berlin erschienenen Werkes mit dem Titel, Körperliche Erziehung zum seelischen Gleichgewicht. Goralewski-Gesellschaft e.V., Berlin 1986.
- Gabriele M. Franzen: Reagierbereit werden nach innen und nach außen. Die Arbeit von Elsa Gindler. Untertitel: Nachentfaltung als ganzheitliches Anliegen zwischen den Feldern von Bewegungsforschung, Pädagogik und Therapie sowie Meditation. In: Lernen in Bewegung. Band zum 2. Europäischen Feldenkrais-Kongress, 2006. Hrsg.: Feldenkrais-Verband Deutschland, S. 243–261.
- Marianne Haag und Birgit Rohloff (Hrsg.): Arbeiten bei Elsa Gindler - Notizen Elsa Gindlers und Berichte einer Teilnehmerin. Schriftenreihe der Heinrich Jacoby-Elsa Gindler-Stiftung Bd. 2/3. Berlin 2006.
- Norbert Klinkenberg: Achtsamkeit in der Körperverhaltenstherapie. Ein Arbeitsbuch mit 20 Probiersituationen aus der Jacoby/Gindler-Arbeit. Stuttgart 2007.
- Sophie Ludwig: Elsa Gindler - von ihrem Leben und Wirken. Wahrnehmen, was wir empfinden. Christians, Hamburg 2002, ISBN 3-7672-1398-2.
- Peggy Zeitler: (Hrsg.): Erinnerungen an Elsa Gindler, aus den Schriften der Sensory Awareness Foundation. München 1991.
Weblinks
Einzelnachweise
- Arnd Krüger: Geschichte der Bewegungstherapie, in: Präventivmedizin. Springer, Heidelberg Loseblatt Sammlung 1999, 07.06, S. 1–22.
- Die Gymnastik des Berufsmenschen (pdf; 111 kB)
- vgl. Gabriele M. Franzen: Gora im Umfeld der Arbeit von Elsa Gindler -Unter dem Gesichtspunkt der Entfaltung moderner Körper- und Psychotherapien. In Auf dem roten Teppich. Berlin: Goralewski-Gesellschaft 2003, S. 121ff
- vgl. Bernd Bocian: Fritz Perls in Berlin 1893-1933. Wuppertal: Verlag Peter Hammer 2007, S. 253f
- Hilarion G. Petzold: Materialien zur Geschichte der Körperpsychotherapie. Hrsg.: Integrative Bewegungstherapie. Band 1, 2005, S. 28–42.
- http://judythweaver.com/writings/the-influence-of-elsa-gindler-ancestor-of-sensory-awareness/