Einheitliches Patentgericht
Das Einheitliche Patentgericht (EPG) ist ein geplanter Gerichtshof mit zwei Instanzen für Streitigkeiten, die das europäische Einheitspatent betreffen. Dieses Gericht wird grundsätzlich (vorbehaltlich der Möglichkeit des opt-out) für Nichtigkeitsklagen gegen Europäische Patente einschließlich der Einheitspatente, für Klagen wegen deren Verletzung und für Klagen gegen das Europäische Patentamt wegen der Zurückweisung des Antrags auf Registrierung des einheitlichen Patentschutzes zuständig sein. Die Möglichkeit des Einspruchs gegen das Europäische Patent innerhalb von neun Monaten nach dessen Erteilung bleibt hiervon unberührt.
Aufgrund des Brexit und der inzwischen abgeschlossenen Verfahren vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht war die Zukunft des EPG unklar.[1] Wegen des Brexit fällt der Standort im Vereinigten Königreich (London) weg.
Damit das Gericht die Arbeit aufnehmen kann, muss das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ)[2] von 13 Staaten der EU, darunter Deutschland, Frankreich und (bis zum Brexit) das Vereinigte Königreich, ratifiziert werden. Bislang liegen 16 Ratifizierungen vor.[3] Von den notwendigen Ratifizierungen steht lediglich noch die der Bundesrepublik Deutschland aus. Das Vereinigte Königreich verkündete jedoch am 27. Februar 2020, dass es trotz Ratifizierung nicht am Einheitspatent-System und dem Einheitlichen Patentgericht teilnehmen wird[4] und widerrief die Ratifikation formell am 20. Juli 2020.[5]
Rechtsgrundlagen
- Das Übereinkommen über das Einheitliche Patentgericht. Veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union („C 175“) vom 20. Juni 2013.[2]
- Das Protocol to the Agreement on a Unified Patent Court on provisional application (PPA) ‚Protokoll zur vorläufigen Anwendung des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (PVA)‘[6][7]
- in der Bundesrepublik Deutschland:
- Gesetz zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform vom 20. August 2021, BGBl. 2021 I 3914 (insbesondere Einfügung von Art. II §§ 15–20 IntPatÜG).
- in der Republik Österreich:
- Vgl. das Protokoll zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht betreffend die vorläufige Anwendung[8].
Aufbau des Gerichts
Das Gericht soll umfassen
- ein Gericht erster Instanz, mit
- einer Zentralkammer in Paris mit je einer Abteilung in London (entfällt infolge des Brexit) und München
- bis zu vier Lokalkammern je Vertragsmitgliedstaat
- Regionalkammern für zwei oder mehr Vertragsmitgliedstaaten, die an unterschiedlichen Orten tagen können
- ein Berufungsgericht (Sitz: Luxemburg) und
- eine Kanzlei (Sitz: Luxemburg).
Die Lokalkammern und Regionalkammern werden auf Antrag der jeweiligen Vertragsmitgliedstaaten eingerichtet.
Inkrafttreten des Übereinkommens
Artikel 89 Absatz 1 des Übereinkommens regelt sein Inkrafttreten am 1. Januar 2014 „oder am ersten Tag des vierten Monats nach Hinterlegung der dreizehnten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde gemäß Artikel 84, einschließlich der Hinterlegung durch die drei Mitgliedstaaten, in denen es im Jahr vor dem Jahr der Unterzeichnung des Übereinkommens die meisten geltenden europäischen Patente gab, oder am ersten Tag des vierten Monats nach dem Inkrafttreten der Änderungen der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012,[9] die das Verhältnis zwischen jener Verordnung und diesem Übereinkommen betreffen, je nachdem, welcher Zeitpunkt der späteste ist.“
Die Mitgliedsstaaten mit den meisten geltenden Europäischen Patenten im Jahr vor der Unterzeichnung des Übereinkommens waren die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und das Vereinigte Königreich.
Frankreich hat seine Ratifizierung am 14. März 2014 hinterlegt. Am 26. April 2018 ratifizierte das Vereinigte Königreich das Übereinkommen,[10] widerrief die Ratifizierung jedoch aufgrund des Brexits am 20. Juli 2020.[5] Die Ratifizierung in Deutschland ist nach der Aufhebung des Zustimmungsgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht zurzeit in der Schwebe. Zudem werden in Italien Forderungen erhoben, dass das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs und damit des Standortes in London eine Änderung des Vertrages notwendig machen würde.[11]
Protokoll zur vorläufigen Anwendung des Übereinkommens
Das Protokoll zur vorläufigen Anwendung des Übereinkommens schafft die rechtliche Grundlage dafür, dass institutionelle, finanzielle und administrative Bestimmungen des Übereinkommen über das Einheitliche Patentgericht bereits anwendbar werden, bevor das Übereinkommen in Kraft tritt. Die Phase der vorläufigen Anwendbarkeit soll ca. 6 Monate dauern. In ihr können bereits Richter ernannt und die IT-Systeme erprobt werden. Damit wird sichergestellt werden, dass das Einheitliche Patentgericht vom ersten Tag des Inkrafttretens des Übereinkommens an tätig werden kann.
Damit das Protokoll in Kraft treten kann, sind die Ratifikationen oder vergleichbare Hinterlegungen von 13 teilnehmenden Mitgliedsstaaten erforderlich, darunter der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und Großbritanniens. Anfang Juni 2018 war das Protokoll noch nicht von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert.[12]
Sunrise Period
In den drei Monaten vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens – der sogenannten „Sunrise Period“ – wird es erstmals möglich sein, bis dahin erteilte Europäische Patente durch ein sogenanntes „Opt-out“ aus der Zuständigkeit des Einheitlichen Patentgerichts zu nehmen.
Umsetzung in Deutschland
Zustimmungsgesetz
Das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht wurde durch das Gesetz zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform zur Anwendung gebracht. Ein entsprechender Referentenentwurf wurde am 27. Mai 2016 von der Bundesregierung beschlossen. Die Zustimmungen erfolgten am 10. März 2017 einstimmig im Bundestag und am 10. Februar und 21. März 2017 im Bundesrat.[13] Zur Entscheidung im Bundestag waren allerdings nur 35 Mitglieder anwesend,[14] wobei sämtliche Reden nur zu Protokoll gegeben worden sind.[15]
Demnach wird das Gesetz über internationale Patentübereinkommen (IntPatÜG) folgendermaßen angepasst:[16]
- Mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilte Europäische Patente können nur dann durch ein deutsches Gericht für nichtig erklärt werden, wenn das Einheitliche Patentgericht nicht zuständig ist.
- Während ein nationales deutsches Patent durch ein Europäisches Patent für Deutschland auf die gleiche Erfindung des gleichen Inhabers wirkungslos wird, können ein nationales deutsches Patent und ein entsprechendes Einheitspatent nebeneinander bestehen. Jedoch hat der Patentinhaber beider Schutzrechte im Falle der Verletzung eines seiner Patente vorab festzulegen, aus welchem Patent er gegen den Verletzer vorgehen möchte.
- Damit Entscheidungen und Anordnungen des Einheitlichen Patentgerichts ohne Schwierigkeiten im Inland vollstreckt werden können, wird es eine neue zwangsvollstreckungsrechtliche Vorschrift geben.
- Die Justizbeitreibungsordnung wird für die Beitreibung bestimmter Ansprüche des Einheitlichen Patentgerichts für entsprechend anwendbar erklärt, und es werden in diesem Zusammenhang die Aufgaben des Bundesamts für Justiz (BfJ) erweitert.
- Wichtige Änderungen im Zusammenhang mit dem neuen europäischen Patentsystem sind im Bundesgesetzblatt bekanntzumachen.
Verfassungsbeschwerde
Nach Eingang einer Verfassungsbeschwerde, mit der vor allem der Verstoß gegen Art. 92 GG und Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG i. V. m. Art. 92 GG und Art. 79 Abs. 2 GG gerügt wird, hat der Bundespräsident auf Bitten des Bundesverfassungsgerichts zunächst die Ausfertigung der Gesetze ausgesetzt.[17] Mit Beschluss vom 13. Februar 2020 erklärte das Bundesverfassungsgericht den Art. 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes für verfassungswidrig und nichtig, da es sich der Sache nach um eine Änderung des Grundgesetzes handelt, für die aber die notwendige Zweidrittelmehrheit im Bundestag nicht zustande gekommen ist.[18] Bundesjustizministerin Christine Lambrecht kündigte daraufhin an, dass noch in der laufenden Legislaturperiode erneut abgestimmt werden soll.
Erneute Verabschiedung und Verkündung des Zustimmungsgesetzes
Das Zustimmungsgesetz wurde vom Bundestag am 26. November 2020 erneut verabschiedet und hat am 16. Dezember 2020 auch den Bundesrat passiert. Jedoch sind wiederum zwei Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht eingelegt worden (Az. 2 BvR 2216/20 und 2 BvR 2217/20).[19] Diese sind erfolglos geblieben (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juni 2021[20]). Die Veröffentlichung des Zustimmungsgesetzes ist daraufhin am 20. August 2021 erfolgt.[21] Jedoch hat die Bundesrepublik Deutschland die Ratifikationsurkunde bisher nicht hinterlegt (Stand: 13. Januar 2022).
Position der AfD
Die Fraktion der AfD hat im Bundestag am 15. März 2018 den Antrag gestellt, das Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein einheitliches Patentgericht und das Gesetz zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften aufgrund der europäischen Patentreform noch vor dem Inkrafttreten wieder aufheben zu lassen. Nach einer Debatte von 45 Minuten überwies der Bundestag den Antrag zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss.[22]
Einzelnachweise
- Thorsten Bausch: German UPCA Ratification – Now We Have The Salad. In: Kluwer patent blog. 5. März 2021, abgerufen am 23. März 2021 (englisch).
- Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht, abgerufen am 25. Dezember 2016. In: Amtsblatt der Europäischen Union. C 175, 2013, S. 1–40.
- Agreement on a Unified Patent Court (UPC). In: consilium.europa.eu. Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union, abgerufen am 24. März 2021 (Status der Ratifizierungen).
- UK confirms that it will not become a member of the Unitary Patent and Unified Patent Court. Mayer Brown, 4. März 2020, abgerufen am 24. März 2021 (englisch).
- UK Withdrawal from the UPCA. Unified Patent Court, 20. Juli 2020, abgerufen am 23. Juli 2020 (englisch).
- Protocol to the Agreement on a Unified Patent Court on provisional application (PPA). (PDF) Unified Patent Court, abgerufen am 24. März 2021 (englisch).
- Protocol to the Agreement on a Unified Patent Court on provisional application (PPA). In: consilium.europa.eu. Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union, abgerufen am 24. März 2021 (Status der Ratifizierungen).
- abrufbar unter https://ris.bka.gv.at/Dokumente/RegV/REGV_COO_2026_100_2_1876101/COO_2026_100_2_1879087.pdf
- Verordnung (EU) Nr. 1215/2012
- Webseite der Kanzlei Bristows: „UK ratifies the UPC Agreement“, abgerufen am 26. April 2018
- Documento di Posizione – Candidatura di Milano ad ospitare una sezione della Divisione Centrale del Tribunale Unificato dei Brevetti. International Association for the Protection of Intellectual Property, Sektion Italien, 11. Juni 2020, abgerufen am 23. Juli 2020 (italienisch).
- Protocol on provisional application of the Unified Patent Court Agreement (PPA) – Ratification Details, abgerufen am 25. März 2018
- Gesetz zu dem Übereinkommen vom 19. Februar 2013 über ein Einheitliches Patentgericht, abgerufen am 14. März 2018
- Aufhebungsantrag in BT-Drucksache 19/1180, abgerufen am 14. März 2018
- Plenarprotokoll der 221. Sitzung, abgerufen am 14. März 2018
- Gesetz zur Anpassung patentrechtlicher Vorschriften auf Grund der europäischen Patentreform, abgerufen am 9. Januar 2017
- BVerfG stoppt EU-Patent. In: LTO. 12. Juni 2017, abgerufen am 14. März 2018.
- BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2020, AZ 2 BvR 739/17
- Hierzu Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz des Bundestags vom 13. Januar 2021 Bundestagsdrucksache BT-Drs. 19/25829
- abgedruckt u. a. in GRUR 2021, 1157–1162
- BGBl. 2021 I 3914
- AfD will Gesetze zum europäischen Patentrecht aufheben, abgerufen am 30. April 2018