Ehrbarkeit
Ehrbarkeit bezeichnet eine Gesellschaftsschicht, die sich im ausgehenden Mittelalter und der frühen Neuzeit herausbildete.
Sie stellte die städtische Oberschicht dar, die sich durch berufsständische (Patrizier, Großkaufleute und Gelehrte), besitzständische (Reichtum) und geburtsständische (Adel) Kriterien von den anderen sozialen Schichten abhob.[1] Zu unterscheiden ist zwischen einer Ehrbarkeit der Familien und einer individuellen Ehrbarkeit, die durch Bildung, wirtschaftliche oder andere Verdienste erworben wurde. Auch Ausburger (Pfahlburger), Ministeriale und selbst freie Bauern konnten ursprünglich zur Ehrbarkeit aufsteigen. Faktoren für die Erreichung der Ehrbarkeit waren der Grad des Reichtums, die Stiftungsfreudigkeit (gegenüber der Stadt), Verdienste um die Stadt, die Bekleidung bzw. Berufung in ein Ehrenamt, kaiserliche Wappenverleihung etc.[2] Doch während Sprösslinge aus Patrizier- und Adelsgeschlechtern automatisch in die Ehrbarkeit hineingeboren wurden, herrschte unter den Söhnen von Bürgern, welche die individuelle Ehrbarkeit erlangt hatten, ein harter Konkurrenzkampf, durch Bildung, Beziehungen oder wirtschaftliche Leistung in diesen elitären Kreis zu gelangen.[3] Und auch unter den Ehrbaren gab es Hierarchien: so waren nicht alle ehrbaren Bürger „ratsfähig“.[4]
Württembergische Ehrbarkeit
Die württembergische Ehrbarkeit besaß eine besondere Qualität, da der Adel im Herzogtum Württemberg durch die Hinwendung zum Protestantismus von Herzog Ulrich 1534 praktisch verschwand, und bürgerliche Institutionen in der württembergischen Landschaft an seine Stelle traten.
Von 1538 an bestand die „Landschaft“ nur mehr aus evangelischen Mitgliedern. Nachdem sich die Mehrheit der katholischen Pfarrer geweigert hatte zu konvertieren und das Land verließ, war es nicht mehr möglich, alle Pfarrstellen zu besetzen. Daher wurde vom Land ein Bildungssystem ins Leben gerufen, das auf den drei Stufen Lateinschule – Klosterschule – Evangelisches Stift Tübingen basierte und für den Nachwuchs evangelischer Geistlicher sorgte.
Das bestandene Landexamen, das jeder württembergische Absolvent der Klosterschule ablegen durfte, berechtigte nach erfolgreichem Abschluss zur Aufnahme und Weiterbildung ins Tübinger Stift, zum Studium der evangelisch-lutherischen Theologie. Nach dem Abschluss des Theologiestudiums öffnete sich für die Absolventen der Aufstieg in die „Ehrbarkeit“. Diese Möglichkeit, eine profunde Ausbildung zu erhalten, war allgemein von Eltern angestrebt, da das Herzogtum die Ausbildung kostenlos für jedes württembergische Kind ermöglichte und damit im Anschluss der Aufstieg in die Ehrbarkeit auch den ärmsten Kindern des Landes durch hervorragende Bildung ermöglicht wurde.
Weitere Bedeutungen
Mit der Entwicklung der neuzeitlichen Ständeordnung erfuhr die Bezeichnung „ehrbar“ eine Ausweitung und die städtischen Patrizier bildeten bald eine eigene Gesellschaftsschicht zwischen dem „gemeinen“ Stand und dem „edlen“ oder adligen Stand. Als sogenannter „Geldadel“ war sie noch im 19. Jahrhundert in den Hansestädten Hamburg, Bremen und Lübeck vorhanden und wurde beispielsweise 1901 in Thomas Manns Familienroman Buddenbrooks: Verfall einer Familie erwähnt. Grundvoraussetzung für Ehrbarkeit war die Freiheit der Familie sowie das Recht auf das Führen eines eigenen Wappens. Von ihr ist auch die „Ehrbarkeit“ als allgemeine ethisch-moralische oder juristisch-politische Eigenschaft einer Person oder Personengruppe abgeleitet.
Sprachlich erhalten hat sich die Eigenschaft „ehrbar“ in der heute scherzhaften Aussage, jemand sei ein „ehrbarer Bürger“, wobei aber der Hintergrund des ehemaligen eigenen Standes verloren ging.
Eine andere Form von Ehrbarkeit bezieht sich auf die Verhaltensnormen innerhalb der Gesellschaft, oder innerhalb von Zünften, wo sie im Gegensatz zu auf der Wanderschaft befindlichen Gesellen (den „Fremdgeschrieben“) steht. In diesem Sinne meint Ehrbarkeit eigentlich die „Wohlanständigkeit“. Bei schweren Verstößen kam es in den Zünften zur Verhängung einer Ehrenstrafe.
Literatur
- Otto K. Deutelmoser: Die Ehrbarbeit und andere württembergischen Eliten.Hohenheim Verlag Stuttgart, Leipzig 2010, ISBN 978-3-89850-201-6
- Gabriele Haug-Moritz: Die württembergische Ehrbarkeit. Annäherungen an eine bürgerliche Machtelite der frühen Neuzeit. Thorbecke, Ostfildern 2009, ISBN 978-3-7995-5513-5.
- Berndt Hamm: Lazarus Spengler (1479–1534): der Nürnberger Ratsschreiber im Spannungsfeld von Humanismus und Reformation, Politik und Glaube. Mohr Siebeck, Tübingen 2004, ISBN 978-3-16-148249-6, S. 8–17 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Hansmartin Decker-Hauff: Die Entstehung der altwürttembergischen Ehrbarkeit. Dissertation, Wien 1946
Weblinks
- Gert Egle: Württemberg zur Zeit Carl Eugens (1728–1793): Fürst und Land – Der Dualismus von Herrschaft und Land in Württemberg. In: teachSam Bildungsserver. Eigene Webseite, 8. Juli 2012, abgerufen am 17. Februar 2014.
Einzelnachweise
- Vgl. Hamm, S. 17
- Vgl. Hamm S. 14
- Werner Birkenmaier: Mentalität der Württemberger. Die schwäbische Ehrbarkeit. Stuttgarter Zeitung, 17. März 2016, S. 1 f., abgerufen am 3. September 2017.
- Vgl. Hamm, S. 13 f.