Die Grasharfe
Die Grasharfe (Originaltitel: The Grass Harp) ist ein 1951 veröffentlichter Roman von Truman Capote.
Handlung
Eine Kleinstadt im Alabama der 1930er-Jahre: Nach dem Tod seiner Eltern muss der elfjährige Collin Fenwick bei den charakterlich sehr unterschiedlichen Cousinen seines Vaters unterkommen. Die jüngere Schwester Verena ist eine geschäftstüchtige Frau und gilt als reichste Person der Stadt, ist allerdings zugleich vereinsamt und wenig umgänglich; die ältere Schwester Dolly steht im Ruf, ein wenig verrückt und lebensfremd zu sein, ist aber sanft und freundlich. Bei den Schwestern ist seit vielen Jahrzehnten auch die afroamerikanische Haushälterin Catherine, die mit Dolly eng befreundet ist, aber gegen Verena eine heftige Abneigung hegt und sie immer nur als die da bezeichnet.
Tante Dolly sammelt Kräuter und Wurzeln, die sie gemeinsam mit Catherine zu Arzneimitteln verarbeitet und an einen kleinen, aber treuen Kundenstamm verschickt. Verena beginnt sich zunehmend für die Beschäftigung ihrer Schwester zu interessieren und erkennt darin eine neue Einnahmequelle für sich. Zusammen mit Doktor Morris Ritz, einem windigen Geschäftsmann aus Chicago, will sie Dollys Arznei innerhalb einer Fabrik als Massenware produzieren. Es wird im Dorf darüber spekuliert, ob Verena mit dem deutlich jüngeren Juden Ritz ein Verhältnis pflegt. Dolly, die ihr Geheimrezept vor langer Zeit von einer alten Zigeunerin aus Dank für eine freundliche Tat bekommen hat, weigert sich, das Rezept zu verraten. Es kommt erstmals zu einem offenen Streit zwischen den Schwestern, woraufhin Dolly gemeinsam mit Catherine und dem inzwischen 16-jährigen Collin in ein Baumhaus auf einem Paternosterbaum zieht.
Verena holt sich die Autoritäten der Stadt zur Hilfe, darunter den Sheriff Junius Candle und den Reverend Buster, um die Gruppe wieder aus ihrem Baumhaus herauszuholen. Dolly, Catherine und Collin verteidigen das Baumhaus, wobei unter anderem die Frau des Reverends versehentlich mit Dollys Limonadenkrug getroffen wird und sich eine Beule holt. Unverhoffte Hilfe erhalten sie durch den alten, freigeistigen Richter Charlie Cool – der keinen Zugang zu seinen spießigen Söhnen mehr findet und sich im Ruhestand langweilt – sowie von dem Jugendlichen Riley Henderson, der alleine seine jüngeren Schwestern aufziehen muss und zugleich ein ungestümes, rebellisches Leben führt, wofür Collin ihn bewundert. Die beiden schließen sich der Gruppe auf dem Baumhaus an. Nach und nach befreunden sich die Außenseiter untereinander und vertrauen sich Geheimnisse an. Im Morgengrauen schwimmen Riley und Collin im nahen Fluss, doch als sie zurückkommen, müssen sie beobachten, wie Catherine von den Männern des Sheriffs auf brutale Weise weggezerrt und dann ins Gefängnis gesperrt wird. Collin kann zwar einen Mann des Sheriffs niederschlagen, aber letztlich auch nichts ausrichten.
Dolly und Richter Cool hatten sich noch rechtzeitig in der Baumkrone verstecken können und setzen ihren Widerstand fort. Riley hat sich unterdessen in der Kleinstadt aufgehalten und berichtet den anderen, dass Morris Ritz abgereist sei und zuvor Verena um eine große Summe bestohlen habe. Die Gruppe auf dem Baumhaus erhält Zuwachs von Schwester Ida, einer Wanderpredigerin ohne Mann und mit 15 Kindern, die nach einer Intrige von Reverend Buster der Stadt verwiesen werden soll. Riley steht der Schwester zunächst feindselig gegenüber, wird aber freundlicher, als er von Ida ihre Lebensgeschichte voller Entbehrungen hört. Als der Sheriff mit seinen Männern, diesmal in Begleitung von Verena, wieder anrückt, werfen Idas Kinder aus der Baumkrone mit Steinen auf die Angreifer. Einer der Männer des Sheriffs schießt Riley an, der an der Schulter getroffen wird, aus dem Baum fällt und verletzt weggetragen werden muss. Verena bittet Dolly schließlich persönlich, nach Hause zurückzukehren, und gesteht dabei auch, dass sie immer neidisch auf ihre verträumte Schwester war. Daraufhin lenkt Dolly ein. Der Richter, der sich in Dolly verliebt und ihr einen Heiratsantrag gemacht hat, muss sie ziehen lassen.
Der erwachsene Collin, der aus der Ich-Perspektive die Geschichte erzählt, bemerkt, dass die wenigen Herbsttage im Paternosterbaum ein Meilenstein für alle Beteiligten waren. Bald nach ihrer Rückkehr bekommt Dolly eine Lungenentzündung und muss das Bett hüten. Täglich wird sie von Richter Cool besucht. Kaum halbwegs genesen, macht sie sich an die Herstellung eines Halloween-Kostümes für Collin, und stirbt dabei an einem Schlaganfall. Nach dem Tod ihrer besten Freundin zieht sich Catherine von den Menschen zurück. Verena ist durch die Ereignisse verletzlicher, aber auch menschlicher und sanfter geworden. Der inzwischen wieder genesene Riley Henderson wird zu einem aufstrebenden Geschäftsmann und heiratet die im Geigenspielen talentierte Maude Riordan, in die sich auch Collin verliebt hatte. Dennoch zerbricht die Freundschaft der beiden daran nicht.
Collin verlässt die Stadt, um sein Jurastudium aufzunehmen, macht aber zuvor noch mit Richter Cool einen Spaziergang. Sie gehen zum Grasfeld nahe dem Friedhof, von dem Dolly immer erzählte, dass es die Geschichten der Verstorbenen bewahrt und erzähle, wenn der Wind über das Gras streicht: „Und da wünschte ich mir, dass der Richter wüsste, was Dolly mir einst erzählt hatte: Dieses, die Grasharfe war es, die alles bewahrte, die alles erzählte, die Harfe der Stimmen, die uns alles ins Gedächtnis rief. Wir lauschten.“
Figuren
- Collin Fenwick, ein Waisenjunge, der bei den Cousinen seines Vaters aufwächst
- Tante Dolly Talbo, die ältere Schwester, welche Arzneimittel herstellt
- Tante Verena Talbo, die jüngere Schwester, eine erfolgreiche Geschäftsfrau
- Catherine Creek, die afroamerikanische Haushälterin der Talbos und Dollys Freundin
- Richter Charlie Cool, ein kluger alter Richter und Harvard-Absolvent, Witwer mit zwei Söhnen
- Riley Henderson, ein rebellischer Jugendlicher, der sich mit Collin befreundet
- Schwester Ida, eine verwitwete Erweckungspredigerin mit 15 Kindern
- Doktor Morris Ritz, ein zwielichtiger jüdischer Geschäftsmann aus Chicago, der Verena umwirbt
- Sheriff Junius Candle, der noch junge und unter dem Einfluss von Verena stehende Sheriff
- Reverend Buster, der sittenstrenge und moralische Pfarrer der Kleinstadt
- Maude Riordan, eine talentierte Geigenspielerin, die von Collin und Riley umworben wird
- Elizabeth Henderson, die ältere der beiden jüngeren Schwestern von Riley und eine Freundin von Maude
- Amos Legrand, der effiminierte Friseur, in dessen Salon die Lästereien der Stadt zusammenlaufen
- Mr. und Mrs. County, Besitzer des Lebensmittelladens der Stadt
- Collins verstorbene Eltern, ein Kühlschrankvertreter und eine Hausfrau, er stirbt kurz nach seiner Frau, als sein Auto von einer Klippe stürzt
Hintergrund
Truman Capote arbeitete an The Grass Harp zwischen Juni 1950 und Mai 1951, er stellte den Roman während seines Urlaubs im sizilianischen Taormina fertig. Truman Capote wollte dem Buch ursprünglich den Titel Music of the Sawgrass (zu deutsch etwa: „Musik des Sauergrases“) geben. Sein Verleger Bob Linscott entschied sich allerdings für den Titel The Grass Harp. Der Roman erschien am 1. Oktober 1951 bei Random House und entwickelte sich zu einem Verkaufserfolg, die deutsche Erstausgabe erschien schon im folgenden Jahr. Übersetzt wurde der Roman aus dem Amerikanischen von Annemarie Seidel und Friedrich Podszus, in neueren Fassungen wurde diese Übersetzung von Birgit Krückels durchgesehen.
Der Roman ist von Erinnerungen aus Capotes Kindheit im Alabama der frühen 1930er-Jahre geprägt. Ähnlich wie seine Hauptfigur wuchs Capote teilweise bei Verwandten auf, da seine Eltern ihn vernachlässtigten.[1] Eine Cousine von ihm besaß hinter ihrem Haus ein großes Baumhaus in einem Walnussbaum inklusive Treppe, Dach sowie einem Sofa im Inneren des Baumhauses. Hier verbrachte Capote mit seinen Kindheitsfreunden wie Harper Lee viel Zeit. Eine weitere Cousine von ihm, Sook Faulk, diente als Vorbild für die Figur der Dolly: Die exzentrische Sook machte jährlich eine geheimnisvolle Medizin gegen Ödeme, deren Rezept sie ins Grab nahm. Ihre Schwester machte Sook den Vorschlag, die Medizin zu patentieren und daraus ein Geschäft zu machen, was sie aber ablehnte. Über die Arbeit am Roman schrieb Capote von Italien an seinen Verleger bei Random House:
„Zufriedenstellend wie es ist, hält es mich in einem schmerzvollen emotionalen Zustand: Erinnerungen brechen immer mein Herz. Ich weine – es ist seltsam, ich scheine keine Kontrolle über mich und was ich mache zu haben.“
Capote erschaffe in dem Roman eine „nostalgische Meditation über Selbsterkenntnis und Liebe“, darüber hinaus werfe der Roman aber auch einen Blick auf den Materialismus, die Zwänge gesellschaftlicher Konformität und der Suche nach Freiheit. Auf dem Baumhaus entkommen die Figuren, wie in vielen Werken Capotes Außenseiter, der Gesellschaft für kurze Zeit und öffnen sich, indem sie einander Geheimnisse erzählen. Dass Tante Dolly den Heiratsantrag des Richters zurückweist und Riley zum Geschäftsmann wird, zeigt zugleich, dass das Erlebnis auf dem Baumhaus nur temporär ist.[3] Im Vergleich zu seinem düsteren Vorgängerbuch Andere Stimmen, andere Räume, in dem er ebenfalls seine Jugend in den Südstaaten verarbeitete, schlägt Capote hier auch komödiantische und verspielte Töne an.[4]
Adaptionen
Nach dem Erfolg seines Buches verarbeitete Capote The Grass Harp im Auftrag des Broadway-Produzenten Saint Subber zu einem Stück. Es feierte am 27. März 1952 im Martin Beck Theatre seine Premiere, unter anderem mit Mildred Natwick als Tante Dolly und Jonathan Harris als Morris Ritz.[5] Später entstand eine Musicalversion des Stückes, welche am 2. November 1971 seine Premiere im Martin Beck Theatre hatte. Es spielten unter anderem Barbara Cook als Dolly Talbo und Ruth Ford als Verena Talbo.[6] Für Musik und Texte bei der Musicalversion waren Kenward Elmslie und Claibe Richardson verantwortlich.
1953 entstand beim Nordwestdeutschen Rundfunk eine Hörspielfassung mit einer Länger von 81 Minuten unter Regie von Fritz Schröder-Jahn. Der Text wurde von Friedrich Forster bearbeitet, als Sprecher sind unter anderem Wolfgang Wahl, Gisela von Collande und Inge Meysel zu hören.[7]
1995 erschien der Kinofilm Die Grasharfe unter Regie von Charles Matthau, dessen Vater Walter die Rolle des Richters übernahm.[8] Zu den weiteren prominenten Schauspielern des Films gehören Jack Lemmon, Piper Laurie, Sissy Spacek, Edward Furlong und Mary Steenburgen.
Ausgaben
- Die Grasharfe. Suhrkamp, 1952, 232 Seiten (deutsche Erstausgabe)
- Die Grasharfe. Übersetzung von Annemarie Seidel und Friedrich Podszus. suhrkamp taschenbuch (Band 3135), 1990. 208 Seiten, ISBN 978-3-518-38296-7
- Die Grasharfe. Hrsg. von Anuschka Roshani: Kein & Aber Zürich, 2006, 168 Seiten, ISBN 978-3-0369-5160-7
Einzelnachweise
- Thomas Fahy: Understanding Truman Capote. Univ of South Carolina Press, 2014, ISBN 978-1-61117-342-0 (google.de [abgerufen am 13. April 2019]).
- Thomas Fahy: Understanding Truman Capote. Univ of South Carolina Press, 2014, ISBN 978-1-61117-342-0 (google.de [abgerufen am 13. April 2019]).
- Thomas Fahy: Understanding Truman Capote. Univ of South Carolina Press, 2014, ISBN 978-1-61117-342-0 (google.de [abgerufen am 13. April 2019]).
- Robert Emmet Long: Truman Capote-Enfant Terrible. A&C Black, 2008, ISBN 978-0-8264-2763-2 (google.de [abgerufen am 13. April 2019]).
- The Grass Harp (1952) in der Internet Broadway Database (englisch)
- The Grass Harp (1971) in der Internet Broadway Database (englisch)
- Die Grasharfe beim Deutschlandradio
- Die Grasharfe. Internet Movie Database, abgerufen am 19. Februar 2021 (englisch).