Deutsche Betonung altgriechischer Eigennamen
Die deutsche Betonung altgriechischer Eigennamen, aber auch wissenschaftlicher Fachbegriffe aus dem Griechischen, ruft Unsicherheit hervor, da sie meist von der Betonung des altgriechischen Originals abweicht. Sie richtet sich nach der Betonung der lateinischen Transkription.
Problemstellung
Wir sagen 'Sokrates und nicht griechisch So'krates, Aris'toteles statt Aristo'teles. Was aus dem Griechischen ins Deutsche übernommen wurde, ist lateinisch geprägt und nach den für das Lateinische geltenden Regeln auszusprechen.[1] Gegen die richtige Aussprache wird häufig verstoßen, zumal dafür Griechisch- und Lateinkenntnisse erforderlich sind.
Historischer Hintergrund
In der Renaissance sprang Latein in seiner Vermittlerfunktion zu den modernen Sprachen dem Griechischen bei und bot eine eindeutige Orientierung an.[2]
Die Humanisten der Renaissance kommunizierten in Latein, Griechisch war für sie nurmehr ein Objekt der Untersuchung und der Nachahmung. Sie benutzten für die griechischen Eigennamen die Betonung der lateinischen Übertragung, die dann auch im Deutschen üblich wurde, und bei dieser deutsch-lateinischen Betonung ist es bis heute geblieben.[3]
Regeln
Für die Betonung der griechischen Namen wird die lateinische Pänultimaregel angewandt, die keine Ausnahmen zulässt und Sicherheit für ein korrekte Betonung bietet. Zweisilbige Namen werden konsequent auf der ersten Silbe betont, Beispiel: die Hetäre Λαΐς = Lā'ïs – beachte das Trema – wird lateinisch-deutsch zu 'La-ïs. Für Namen ab drei Silben ist die Länge der vorletzten Silbe entscheidend. Ist sie lang, wird sie betont, ist sie kurz, wird die drittletzte betont. Die Länge der vorletzten Silbe lässt sich eindeutig bestimmen, siehe dazu die lateinischen Hauptregeln der Betonung.
Beispiele
- Homer: altgriechisch Ὅμηρος = Hó-mē-ros, griechische Betonung auf der ersten Silbe, gekennzeichnet durch den Akzent (Ὅ/Hó); das Makron über dem ē (= η) zeigt in der Transkription einen langen Vokal, somit eine lange Silbe an. Letzteres ist entscheidend für die lateinische Betonung. Nach der Pänultimaregel ist die vorletzte Silbe (μη/mē) lang und wird deshalb – jetzt unabhängig vom Griechischen – betont, somit lateinisch Ho'mē-rus; also nach Abfall der Endsilbe -us auch auf Deutsch: Ho'mēr. Vergleiche zum Unterschied das englische 'Ho-mer, dessen Betonung das griechische Original übernimmt.
- Aristoteles: altgriechisch Ἀριστοτέλης = Aristo-té-lēs, Betonung der vorletzten Silbe mit Akzent (τέ/té); deutsch-lateinisch Aris'to-te-les, da die vorletzte Silbe (τέ/te) kurz ist und somit die drittletzte (to) zu betonen ist.
- Peloponnes: altgriechisch Πελοπόννησος = Pelo-pón-nē-sos; lateinisch Pelopon'ne-sos, da vorletzte Silbe (νη/nē) lang; also nach Abfall der Endsilbe (os) auch deutsch Pelopon'nes.
Literatur
- Rolf Kussel: Wir sprechen alle Griechisch, in: Rolf Kussel (Herausgeber): Lateinische Lektüre in der Mittelstufe, Band 42 in der Reihe: Dialog Schule und Wissenschaft, Speyer 2008, Seite 249–258; Darstellung der Übernahme und Einbürgerung griechischer Wörter in das Deutsche.
- Oskar Weise: Die Aussprache und Schreibart griechischer Eigennamen, Zeitschrift für den deutschen Unterricht, Heft 4, 1897, Seite 243–250; argumentiert gegen die Einführung einer Sprach- und Schreibweise, die sich am griechischen Original orientieren will. Online abrufbar auf archive.org
- Hans Poeschel: Die griechische Sprache, Heimeran, München 1950; Seite 344–352 zur deutschen Betonung und Aussprache der griechischen Namen, Lehn- und Fremdwörter; Seite 344: „Der deutsche Sprachgebrauch wendet ... bei griechischen Wörtern die Betonungsregeln des Lateinischen an ... Im letzten Grunde steht ... hinter dieser Gepflogenheit die große Kulturtatsache, dass Rom, das Weltreich, dem ganzen Abendland griechische Kultur vermittelt hat.“
Siehe auch
Einzelnachweise
- „Denn die Betonung der Wörter ist lateinisch und muß es nach allgemeinem Zugeständnis bleiben.“ Siehe Literatur: Weise, Seite 248.
- „Das antike griechische Spracherbe wurde ... in der Regel nicht auf direktem Weg an das Deutsche weitergegeben, sondern meist über das Lateinische ... Als im Zuge der von Italien ausgehenden geistigen Bewegung der Renaissance die Werke der antiken Autoren wiederentdeckt, ediert und in Druckform verbreitet wurden, beschäftigten sich gerade deutsche Humanisten seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert intensiv mit der im westlichen Abendland jahrhundertelang unbekannten griechischen Sprache und Literatur.“ Siehe Literatur: Kussel, Seite 256–257.
- „Denn die Betonung klassischer Ausdrücke nach lateinischen Accentuationsgesetzen hat sich seit althochdeutscher Zeit unter dem mächtigen Einflusse der römischen Gesittung in unserer Sprache festgesetzt und ist namentlich durch die humanistischen Bestrebungen völlig eingebürgert, sodaß sie sich nur schwer wieder wird beseitigen lassen.“ Siehe Literatur: Weise, Seite 243–244.