Deskriptive Linguistik
Deskriptive Linguistik (auch Deskriptivismus) im weiteren Sinn (beschreibende Linguistik) ist ein Synonym für moderne Linguistik (Sprachwissenschaft), das verdeutlicht, dass die moderne Linguistik – im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der meisten Gelehrten und Sprachwissenschaftler in früheren Jahrhunderten – Einzelsprachen, Sprachsysteme und Sprachwandel wertungsfrei beschreibt und analysiert. Der Begriff ist also insofern tautologisch, als alle modernen Wissenschaften deskriptiv statt präskriptiv sind, das heißt keine Vorschriften und Normen aufstellen.
Diachrone und historische Gesichtspunkte werden jedoch in der deskriptiven Linguistik oft nicht berücksichtigt. Der genauen Beschreibung der Daten (Beobachtungsadäquatheit) wird in der deskriptiven Linguistik viel mehr Raum zugemessen als möglichen Erklärungen für die beschriebenen Phänomene.
Im engeren Sinne wird die deskriptive Linguistik dem amerikanischen Strukturalismus in der Tradition von L. Bloomfield zugerechnet.
Wesentliche Elemente
Linguistische Beschreibungen enthalten im Wesentlichen:
- Beschreibungen der Phonologie der Sprache,
- Beschreibungen beziehungsweise Aufstellung der Orthografie der Sprache,
- Beschreibungen der Morphologie der Wörter,
- Beschreibungen der Syntax von Sätzen,
- Beschreibungen lexikalischer Ableitungen,
- Wörterbücher mit zumindest wichtigen Einträgen,
- einige originale Texte.
Verhältnis zu und Entstehung aus präskriptiven Sprachbeschreibungen
Präskriptive Schriften über Sprachgebrauch werden heutzutage von Wissenschaftlern weitestgehend als unwissenschaftlich abgelehnt, aber sie sind sehr beliebt in der allgemeinen Bevölkerung und werden sogar zu Bestsellern, wie zum Beispiel Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod (siehe Sprachverfall und Zwiebelfisch).
Bis in die jüngste Vergangenheit haben jedoch auch Sprachwissenschaftler (normative) Sprachratgeber und normative Handbücher (Grammatiken und Wörterbücher) herausgegeben, besonders im deutschen Sprachraum. Selbst die neuesten Ausgaben deutscher Wörterbücher sind weiterhin hauptsächlich präskriptiv und beschreiben nur wenige Abweichungen der tatsächlich gesprochenen Sprache von der in der Schule unterrichteten Standardsprache (Standarddeutsch). Genauer gesagt bestand die Sprachwissenschaft jahrhundertelang überwiegend aus präskriptiven Sprachbeschreibungen. Englische Wörterbücher sind schon seit längerer Zeit weitgehend deskriptiv, obwohl auch diese noch Warnungen vor weniger angesehenen oder nicht standardsprachlichen Formen enthalten.
Moderne normativ orientierte Arbeiten, die dennoch als wissenschaftliche angesehen werden, sind im Sinne von applied linguistics zu verstehen, aber solche Arbeiten nehmen im akademischen Bereich nur wenig Raum ein. Gerade in Bezug auf normative Schlussfolgerungen herrschen hier zum Teil sehr kontroverse Ansichten. Beispielsweise wird immer wieder heftig debattiert, inwieweit Sprachkritik überhaupt ein Gegenstand linguistischer Forschung sein beziehungsweise von Linguisten betrieben werden kann und soll, weil sie ja entweder leicht eine werthaltige Norm des Gebrauchs von Sprache mit einfließen lässt oder oft gleichzeitig auch Gesellschaftskritik darstellt. Präskriptive Arbeiten werden – mit wenigen Ausnahmen wie etwa Sprachentwicklungstests, die den Sprachstand eines Kindes gemessen an einer ermittelten Entwicklungsnorm festlegen – weitestgehend nicht in der akademischen Forschung und Lehre behandelt, sondern meist von wirtschaftlicher oder privater Seite erstellt.
Beispiele einer Gegenüberstellung von präskriptiven und deskriptiven Arbeiten aus denselben Bereichen sind etwa folgende:
präskriptiv | deskriptiv |
---|---|
Lexikografie: Rechtschreibungswörterbuch | |
Psycholinguistik / Klinische Linguistik: medizinische Sprachtests | Sprachentwicklungsforschung |
Soziolinguistik: Anweisungen für geschlechtsneutralen Sprachgebrauch | Beschreibung geschlechtsspezifischen Sprachgebrauchs |
Literatur
- Michael Dürr, Peter Schlobinski: Deskriptive Linguistik. Grundlagen und Methoden. 3. Auflage, Göttingen 2006