Deliktsfähigkeit
Deliktsfähigkeit bezeichnet in Deutschland die Fähigkeit einer Person, für einen Schaden, den sie einem anderen zufügt, deliktsrechtlich verantwortlich und zum Schadensersatz verpflichtet zu sein. Abzugrenzen davon ist die Frage nach der strafrechtlichen Schuldfähigkeit.
Deliktsfähigkeit
Volljährige
Wer vorsätzlich oder fahrlässig ein Rechtsgut eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen grundsätzlich zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet (§ 823 Abs. 1 BGB).
Sowohl Bewusstlosigkeit als auch psychische Krankheiten (einschl. schwere geistige Behinderungen und Hirnabbauprozesse, wie beim Korsakow-Syndrom) führen bei Volljährigen jedoch zur Deliktsunfähigkeit (§ 827 BGB). „Lichte Momente“ (lucida intervalla) machen einen ansonsten voll Geschäftsunfähigen deliktsfähig. Selbst verursachte Rauschzustände führen wiederum anders als bei der Geschäftsfähigkeit (siehe § 105 BGB) nicht zur Deliktsunfähigkeit.
Personen, die unter rechtlicher Betreuung (§§ 1896 ff. BGB) stehen, sind dadurch nicht in der Deliktsfähigkeit beschränkt (Parallele zur Geschäftsfähigkeit laut § 104 BGB).
Die Geschäftsfähigkeit wird durch den Einwilligungsvorbehalt durch den Verweis auf die §§ 108 ff. BGB eingeschränkt, nicht jedoch die Deliktsfähigkeit. Hier kommt es ausschließlich auf den konkreten psychischen Zustand zum Zeitpunkt der Schadensverursachung an.
Dagegen konnte bis 30. Juni 2018 ein nach früherem österreichischem Recht unter Sachwalterschaft stehender Geschäftsunfähiger trotz eines lucidum intervallum kein rechtswirksames Geschäft abschließen.
Minderjährige
Die Frage der Delikts(un)fähigkeit von Minderjährigen wird in Deutschland in § 828 BGB geregelt.
Eine Person, die das siebte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist für einen Schaden, den sie einem anderen zufügt, nicht verantwortlich (§ 828 Abs. 1 BGB). Sie ist also für einen fahrlässig oder vorsätzlich angerichteten Schaden nicht zum Schadensersatz verpflichtet.
Wer das siebte, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für einen fahrlässig verursachten Schaden nicht verantwortlich, den er bei einem Unfall anrichtet, an dem ein Kraftfahrzeug, eine Schienenbahn oder eine Schwebebahn beteiligt ist (§ 828 Abs. 2 BGB). Die Rechtsprechung nimmt nach Sinn und Zweck des § 828 Abs. 2 jedoch eine teleologische Reduktion vor. Die Verantwortlichkeit des Kindes ist nur dann ausgeschlossen, wenn sich in dem Unfall eine dem motorisierten Verkehr eigene Gefährdungssituation realisiert, die ein Kind dieses Alters typischerweise überfordert. Im ruhenden Verkehr – etwa wenn das Kind ein parkendes Auto beschädigt – tritt der Haftungsausschluss daher in der Regel nicht ein.[1][2]
Wer das 7. bzw. 10., aber noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er einem anderen zugefügt hat, nicht verantwortlich, wenn er beim Begehen der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hatte (§ 828 Abs. 3 BGB).
Zusammenfassung
Deliktsfähig sind alle Personen, die nicht deliktsunfähig oder nur bedingt deliktsfähig sind:
Deliktsunfähig sind
- Kinder bis zum 7. vollendeten Lebensjahr (§ 828 Abs. 1 BGB),
- Kinder bis zum 10. vollendeten Lebensjahr, wenn sie bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einen Schaden verursachen und nicht vorsätzlich handeln (§ 828 Abs. 2 BGB),
- bewusstlose und psychisch erkrankte Menschen, sofern sie einen vorübergehenden Zustand solcher Art nicht selbstverschuldet verursacht haben (bspw. durch Drogen- oder übermäßigen Alkoholkonsum) (§ 827 BGB).
Bedingt deliktsfähig sind
- Kinder und Jugendliche vom 8. bis zum 18. Lebensjahr (§ 828 Abs. 3 BGB)
Die beschränkte Deliktsfähigkeit Taubstummer wurde zum 1. August 2002 abgeschafft.[3][4]
Feststellung der Deliktsfähigkeit
Ob bei einem über 7-Jährigen (bzw. bei Verkehrsdelikten bei einem über 10-Jährigen) die nötige Verantwortungsreife im Sinne des § 828 BGB vorliegt und ob die Verantwortung wegen Bewusstlosigkeit oder psychischen Störungen ausgeschlossen ist, ist im Streitfall durch den zuständigen Richter des Amts- oder Landgerichtes zu klären. Denn die Frage der Deliktsfähigkeit ist ebenso wie die der Geschäftsfähigkeit letztlich eine juristische Feststellung, obwohl ihr medizinische oder entwicklungspsychologische Fragen zu Grunde liegen, die gegebenenfalls durch ein vom Gericht einzuholendes Sachverständigengutachten zu ermitteln ist.
Haftung trotz Deliktsunfähigkeit
Nach § 829 BGB besteht eine verschuldensunabhängige Schadensersatzpflicht Deliktsunfähiger, wenn dies die Billigkeit erfordert. Maßgeblich sind die Verhältnisse der Beteiligten. Dem Schädiger dürfen durch den Schadensersatz nicht die Mittel entzogen werden, deren er zum angemessenen Unterhalt sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf. Mit anderen Worten: der Schädiger, der so reich ist, dass er durch die Leistung des Schadensersatzes nicht wesentlich beeinträchtigt wird, muss für den Schaden ganz oder teilweise aufkommen. Daher wird § 829 BGB gelegentlich auch „Millionärsparagraph“ genannt.[5]
Die Billigkeitshaftung des Deliktsunfähigen ist ausgeschlossen, sofern der Ersatz des Schadens von einem aufsichtspflichtigen Dritten wegen Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 832 BGB erlangt werden kann.
Wenn ein Deliktsunfähiger einen Schaden verursacht, muss auch seine (private) Haftpflichtversicherung für den angerichteten Schaden nicht aufkommen.
Siehe auch
Literatur
- Stephan Loheit: Die Deliktsfähigkeit Minderjähriger. Insbesondere das Verhältnis von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit. Verlag Dr. Kovac, Hamburg 2008, ISBN 978-3-8300-3714-9.
Einzelnachweise
- Alexander Stephens: Die Haftung des Aufsichtspflichtigen für Minderjährige. Voraussetzungen zur Haftung Aufsichtspflichtiger mit aktueller Rechtsprechung zur Haftung bei Schäden im Straßenverkehr. KiTa Recht 2010, S. 93–96.
- Andreas Möller: Auch Minderjährige können haften IWW-Institut, 26. August 2010.
- § 828 BGB - Fassung gültig bis zum 31.12.2001. Abgerufen am 30. Juni 2021.
- § 828 BGB - Fassung vom 3.1.2002. Abgerufen am 30. Juni 2021.
- vgl. beispielsweise BGH, Urteil vom 29. November 2016 - VI ZR 606/15