Cross-Race-Effect
Der Cross-Race-Effect (auch Cross-Race-Bias, Other-Race-Bias oder Cross-Race-Identification-Bias) beschreibt die schlechtere Wiedererkennensleistung von Gesichtern, die nicht der eigenen Ethnie entstammen (von so genannten Fremd-Gruppen-Gesichtern) im Vergleich mit Gesichtern der eigenen Ethnie.[1] Diese Beeinträchtigung der Gesichtserkennung hat u. a. zur Folge, dass Menschen auch Emotionen, die sich im Gesicht abzeichnen, bei Menschen fremder Ethnien weniger gut erkennen können als bei Menschen der eigenen Ethnie. Der Cross-Race-Effect ist Gegenstand der Forschung sowohl im Gebiet der Humanethologie als auch im Gebiet der Sozialpsychologie.
Für die englischen Bezeichnungen Cross-Race-Effect bzw. Cross-Race-Bias gibt es keine gängige deutsche Entsprechung; sie bedeuten sinngemäß „Wahrnehmungsverzerrungen in Bezug auf andere Rassen“, wobei anzumerken ist, dass race im Englischen auch im Sinne von Ethnie verwendet wird.
Forschung zum Cross-Race-Effect
Eine Analyse über viele Studien zur Emotionserkennung in Gesichtern[2] offenbarte, dass Menschen innerhalb einer Kultur besser die Emotionen von eigenen Gruppenmitgliedern erkennen können als Außenstehende. Dies wurde speziell für Angehörige innerhalb eines ethnischen Kulturkreises sehr gut dokumentiert.[3] Der Grund dafür liegt in der unterschiedlichen Form der Gesichter eines Kulturkreises, was dazu führt, dass unterschiedliche Details der Mimik genutzt werden, um die Emotionen eines Gesichtes zu dekodieren.[4][5] Werden diese mimischen Besonderheiten im anderen Kulturkreis nicht benutzt, hat man schnell das Gefühl, das Gesicht nicht „lesen“ zu können. Jeder, der schon einmal in einer ganz anderen Kultur gelebt hat (z. B. als Westeuropäer in China), weiß, wie schwierig es in der ersten Zeit ist, sich Gesichter überhaupt nur zu merken; die Mitglieder des fremden Landes scheinen am Anfang alle gleich auszusehen. Mit der Zeit gewöhnt sich das Gehirn jedoch an die andere Form der Gesichter sowie an deren mimische Besonderheiten. Vergleichbar hierzu ist, dass man beispielsweise zu dekodieren lernt, ob Lachen ein Zeichen von Freude ist oder ein Zeichen von Verlegenheit.
Laut einer Studie[6] der Kent State University fällt es weißen Menschen schwerer, die Gesichter von schwarzen Menschen korrekt zuzuordnen als von anderen Weißen. Dies sei darauf zurückzuführen, dass bei Gesichtern fremder Ethnien mehr auf die speziell ethnischen Unterschiede und nicht auf die individuellen Merkmale geachtet werde. So wird das „schwarze Gesicht“ als wesentliches Merkmal wahrgenommen, nicht jedoch Details wie Mundform, Bartwuchs und Ähnliches. Personen fremder Gruppen werden demnach klassifiziert und nicht individualisiert wahrgenommen.[7]
Der Vorteil der In-group resultiert auch daher, dass die angeborene Motivation („cross-race bias“), im Gesicht einer fremden Kultur „zu lesen“, eher gering ist. Hess, Senecal & Kirouac[8] konnten 1996 nachweisen, dass die Motivation zur Emotionserkennung in dem Moment nachließ, als die Probanden erkannten, dass das Gesicht zu einer fremden Kultur gehört.
Um zu erörtern, ob sich der Cross-Race-Effect oder der Cross-Race-Bias beeinflussen lassen, sei folgende wichtige Studie von Paul Ekman, einem der führenden Forscher auf diesem Gebiet, aufgezeigt: Ekman und Friesen konnten schon 1976 zeigen, dass allein der Kontakt mit einer fremden Kultur schon die emotionale Erkennungsrate erhöhen kann. Sie führten einem Stamm aus Neuguinea Bilder von Amerikanern vor, die entweder lächelten, sich ärgerten oder traurig schauten. Die Stammesbewohner, die schon Kontakt mit Amerikanern gehabt hatten, konnten signifikant besser die Emotionen in den Gesichtern der Amerikaner lesen. Dieser Versuch wurde von Ducci, Arcuri, Georgis und Sineshaw 1982 wiederholt. Diesmal fuhren sie nach Äthiopien und verglichen die Erkennungsleistung von Äthiopiern, die in entlegenen Dörfern wohnten, mit derjenigen von Äthiopiern in Städten, wo der Kontakt zu Amerikanern groß war.
Diese Ergebnisse wie auch die Ergebnisse der Metaanalyse von Elfenbein und Ambady aus dem Jahre 2002 zeigen, dass es so etwas wie „kulturelles Emotionslernen“ gibt. Wichtige Faktoren dieses kulturellen Emotionslernen sind die Dauer und die Häufigkeit des Kontaktes mit anderen Kulturen. Dieses Emotionslernen geschieht auch schon dann von selbst, wenn man einfach in einer anderen Kultur lebt und ihr in ihrer Andersartigkeit ausgesetzt ist. Das Gehirn lernt dabei automatisch die Informationen, die im Gesicht der anderen Kultur enthalten sind, besser zu verarbeiten und zu dekodieren.[4][5]
Wirtschaftliche Folgen des Cross-Race-Effect
In einer globalisierten Welt, in der täglich tausende Menschen unterschiedlicher Ethnien miteinander über Verträge, Lizenzen, politische Vereinbarungen und internationale Kooperationen kommunizieren, zeigen sich die negativen Auswirkungen des Cross-Race-Effect deutlich. Alexander Thomas vom Lehrstuhl für interkulturelle Kommunikation in Regensburg (2003) geht davon aus, dass mindestens 50 % der Verhandlungen zwischen Deutschen und Chinesen scheitern. Selbst eine erfolgreich abgeschlossene Vertragsverhandlung führe zu 60 bis 70 % zu suboptimalen Abschlüssen. 30 % der gescheiterten Verhandlungen können laut „Trends in Managing Mobility 2007“[9] indirekt auf den Cross-Race-Effect zurückgeführt werden. Auswirkungen des Cross-Race-Effect sind z. B. geringe emotionale Intelligenz, schlechte Kommunikationsfähigkeit, fehlende Empathie und falsche Einschätzungen des Kommunikationspartners des fremden Landes.
In-Group-Advantage
Aus Sicht der Sozialpsychologie der Cross-Race-Effect eine spezielle Form des In-Group-Advantage – nämlich eingegrenzt auf interkulturelle oder interethnische Aspekte.
In-Group-Advantage bedeutet, dass Menschen Angehörige ihrer eigenen Gruppe als besser bewerten und darstellen als Menschen, die nicht zu ihrer Gruppe gehören (Out-Group-Disadvantage). Dabei kann die Bezeichnung Gruppe von Familienangehörigen bis hin zur gesamten Menschheit alles bedeuten. Wichtig ist nur, dass man sich durch diese Gruppe von anderen abgrenzt, z. B. durch die Gruppe „eigene Familie“ von anderen Familien oder durch die Zugehörigkeit zur Gruppe „Mensch“ von den Tieren.
Allerdings zeigte ein amerikanisch-chinesisches Forscherteam, dass 35 % der individuellen Unterschiede in der Gesichtererkennung auf genetische Faktoren zurückzuführen sind, also die grundlegende Begabung zur Gesichtserkennung auch teilweise vererbt ist. Und Nancy Kanwisher vom Massachusetts Institute of Technology konnte als Erste zeigen, dass sich im Gehirn des Menschen mit dem Gyrus fusiformis ein spezialisiertes Gebiet für die Gesichtserkennung befindet. Der Gyrus fusiformis reagiert aber nur bei menschlichen Gesichtern, nicht bei Bildern von Tieren – sie werden vom Gehirn wie Bilder von Gegenständen verarbeitet.[10]
Sozialpsychologen konnten zeigen,[11] dass schon Annahmen, dass die andere Person demselben Fußballverein angehört oder denselben Musikgeschmack hat wie man selbst, einen In-Group-Advantage auslösen können. Wenn als Faktor der Gruppenbildung die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur gewählt wird, wird vom Cross-Race-Effect gesprochen.
Einzelnachweise
- „Die sehen ja alle gleich aus!“ Einflussfaktoren der unterschiedlichen Wiedererkennensleistung von Gesichtern der eigenen Ethnie und Gesichtern anderer Ethnien (Cross-Race-Bias). (Memento vom 17. Dezember 2005 im Internet Archive) Dissertation (2005).
- Hillary Anger Elfenbein, Nalini Ambady: On the universality and cultural specificity of emotion recognition: A meta-analysis. In: Psychological Bulletin. Band 128, Nr. 2, 2002. doi:10.1037//0033-2909.128.2.203, Volltext (PDF), S. 203–235
- T. Anthony, C. Cooper, B. Mullen: Cross-racial facial identification: A social cognitive integration. In: Personality and Social Psychology Bulletin. Band 18, 1992. S. 296–301
- S. L. Sporer: Recognizing Faces of Other Ethnic Groups. In: Public Policy and Law. Band 7(1), 2001. S. 36–97.
- S. L. Sporer: The Cross-Race Effect. In: Psychology, Public Policy, and Law. Band 7(1), 2001. S. 170–200.
- Daniel T. Levin, Ph.D.: Journal of Experimental Psychology: General. (Vol. 129, No. 4): Race as a Visual Feature: Using Visual Search and Perceptual Discrimination Tasks to Understand Face Categories and the Cross-Race Recognition Deficit (PDF-Datei; 1,13 MB).
- People Are Poor at Cross-Race Facial Recognition Because They Concentrate on Racial Features Rather than Individual Features, According to New Study. American Psychological Association, abgerufen am 21. Juni 2010.
- U. Hess, A. Kappas, R. Bause: The intensity of facial expression is determined by underlying affective states and social situations. In: Journal of Personality and Social Psychology. Band 69(2), 1995. S. 280–288
- ECA International (2007): Trends in Managing Mobility 2007
- Fanny Jiménez: Warum wir Gesichter blitzschnell erkennen können. Auf: welt.de vom 10. Dezember 2011.
- beispielsweise M. Beaupre: An Ingroup Advantage for Confidence in Emotion Recognition Judgments: The Moderating Effect of Familiarity With the Expressions of Outgroup Members. In: Personality and Social Psychology Bulletin. Band 32, Nr. 1, 2006. S. 16–26.