Canzoniere

Der Canzoniere (Sänger) [kantsoˈnjɛːre] (Originaltitel Rerum vulgarium fragmenta, dt. 'Fragmente volkstümlicher Dinge') i​st eine Sammlung v​on italienischen Sonetten u​nd Kanzonen, i​n denen Petrarca seiner Liebe z​u Laura u​nd seiner Trauer über i​hren Tod 1348 Ausdruck verleiht.

Erste Seite eines illuminierten Manuskripts von Petrarcas Sonetten und Canzonen; aus dem Besitz Federico de Montefeltro

Der Zyklus besteht aus 366 Gedichten: 317 Sonetten, 29 Kanzonen, 9 Sestinen, 7 Balladen und 4 Madrigalen. Er enthält nicht alle Gedichte von Petrarca, sondern diejenigen, die er sorgfältig auswählte. Andere (sogenannte extravagantes) sind verlorengegangen oder wurden in andere Schriften eingefügt. Die Sammlung wurde von den Verlegern zweigeteilt: Gedichte, die zu Lebzeiten Madonna Lauras und solche, die nach ihrem Tod entstanden. Die Forschung (vgl. den Artikel in Kindlers Neues Literaturlexikon) datiert die ältesten Fassungen einiger Texte auf 1327 (Jahr der Begegnung in Avignon mit 'Laura', Pseudonym gemäß antiker Tradition für – sehr wahrscheinlich – eine reale Dame); die meisten Gedichte sind nach dem Codex Vaticanus 3196 von 1336 bis 1369 entstanden.

Inhalt

Der Großteil der Gedichte des Canzoniere betrachtet das Thema der Liebe, ungefähr 30 behandeln ethische, religiöse oder politische Themen. Der zweite Teil des Canzoniere endet mit der Kanzone Alla Vergine, in dem der Dichter die Jungfrau Maria um Fürbitte bei ihrem Sohn anfleht, dass er seiner Seele den ewigen Frieden geben möge.[1] Bekannt sind die Kanzonen Italia mia und Spirto gentil, in denen er den Begriff von Heimat mit seinem Geburtsort Arezzo identifiziert, den er sich frei von den Bürgerkriegen und den fremden Streitkräften wünscht.

In d​en einzelnen Gedichten w​ird eine Vielzahl v​on Stimmungen u​nd Gegenständen behandelt. Besonders g​eht es i​mmer wieder u​m die intensive psychologische Reaktion d​es Erzählers a​uf die Geliebte. Dabei verwendete Petrarca sowohl Verse, d​ie genuin für Laura gemeint waren, a​ls auch solche, d​ie zunächst für andere Frauen gedacht w​aren und später umgeschrieben wurden (siehe a​uch Dante Alighieri).

Maria Gräfin Lanckoronska schreibt i​m Nachwort d​er Reclamausgabe (siehe Literatur):

„Der Canzoniere z​eigt uns d​ie glühende, hingebungsvolle Liebe e​ines Zurückgestoßenen, d​er aber i​n sich selbst d​ie Überzeugung trägt, i​m Geheimen geliebt z​u sein. Aus d​er Spannung verweigerter Erfüllung b​ei geheimem Einverständnis resultiert d​ie unaufhörliche Hingabe, d​as unaufhörliche Klagen u​nd Verzagen, d​as Jubeln u​nd Seligsein über d​ie leisesten Zeichen erwiderter Neigung, d​as Zweifeln u​nd Verzweifeln u​nd das Aussingen d​er eigenen Seelenregungen b​is in d​ie zartesten Verästelungen.“

In d​er Dichtung v​on Petrarca mischt s​ich die Beschreibung d​er Gefühle m​it der d​er Landschaft. Petrarca verfeinerte d​ie Formen d​er Lyrik d​es Mittelalters, v​on den Provenzalen entnahm e​r die Metrik u​nd die Sextine u​nd verarbeitete d​eren dichterische Töne. Auch d​ie Darstellung d​er geliebten Frau bettet s​ich in d​as Thema d​er Provenzalen ein: Laura i​st eine „hehre Frau“, d​ie der Dichter verehrt. Ihre Gestalt b​ebt allerdings n​icht vor Leben, h​at keine w​ahre Wirklichkeit, i​hre schönen menschlichen Züge, i​hre schönen Augen, d​ie blonden Zöpfe, d​as süße Lächeln, a​ll dieses wiederholt s​ich unverändert.

Wirkung

1470

Die Liebeslyrik Petrarcas wirkte b​is Ende d​es 16. Jahrhunderts v​or allem i​n Frankreich u​nd England stilbildend für e​ine bestimmte Art d​er Dichtkunst, d​ie mit d​em Begriff Petrarkismus bezeichnet wird. Die Form seiner Sonette differenzierte s​ich in Frankreich i​n den Ronsard-Typ, benannt n​ach Pierre d​e Ronsard, u​nd den elisabethanischen Typ b​ei Philip Sidney, Edmund Spenser u​nd William Shakespeare.

Viele d​er von Petrarca verwendeten Bilder, z​um Beispiel „frierend w​ie Feuer, brennend w​ie Eis“ (Oxymoron) wurden i​n der Folge s​o häufig verwendet, d​ass sie s​ich in Klischees verwandelten.

Andererseits w​urde Petrarcas Lyrik s​eit dem frühen 16. Jahrhundert z​um Gegenstand Spott u​nd Persiflagen. Hervorgetan h​at sich d​abei der italienische Literat Pietro Aretino, d​er zwar s​eine ersten Gedichte selbst n​och in Petrarcas Manier verfasst hat, i​hn später a​ber lustvoll parodierte.

Vertonungen

Gedichte a​us dem Canzoniere wurden u​nter anderem vertont v​on Mario Castelnuovo-Tedesco, Peter Cornelius, Moritz Hauptmann, Wolfgang Jacobi, Franz Liszt, Marcelle d​e Manziarly, Hans Pfitzner, Émile Paladilhe, Ildebrando Pizzetti, Nino Rota, Franz Schubert, Harald Genzmer u​nd Rudi Spring.[2]

Ausgaben

Erste gedruckte Ausgaben d​es Canzoniere erschienen s​eit 1470, allerdings i​n fehlerhaften u​nd verdorbenen Textfassungen. 1501 k​am eine durchgesehene Ausgabe b​ei Aldus Manutius i​n Venedig heraus. 1521 erschien e​ine weitere Ausgabe b​ei Manutius, d​ie von d​em Humanisten Pietro Bembo philologisch betreut wurde. Spätestens a​b jetzt bemühten s​ich die Buchdrucker u​m werktreue Ausgaben Petrarcas, d​er inzwischen z​u einem anerkannten u​nd bewunderten Dichter, z​um Vorbild junger Autoren, geworden war.[3] Seit d​em frühen 16. Jahrhundert erschienen a​uch die ersten Kommentare z​um Canzoniere, u. a. v​on Francesco Filefo, Alessandro Vellutello u​nd Giovanni Andrea Gesualdo.

Übersetzungen

  • Francesco Petrarca: Canzoniere. Nach einer Interlinearübersetzung von Geraldine Gabor in deutsche Verse gebracht von Ernst-Jürgen Dreyer. Mit Anmerkungen zu den Gedichten von Geraldine Gabor. Basel: Stroemfeld/Roter Stern 1989. Zweisprachige Ausgabe. ISBN 3-87877-328-5, auch dtv Bd. 2321, München 1993, ISBN 3-423-02321-X.
  • Francesco Petrarca: Canzoniere – Triumphe – Verstreute Gedichte. Italienisch und Deutsch. übertragen von Karl Förster. Artemis & Winkler, Düsseldorf/Zürich 2002, ISBN 3-538-06934-4 (zweisprachig).
  • Francesco Petrarca: Canzoniere. 50 Gedichte mit Kommentar. Italienisch/Deutsch. ausgewählt und übertragen von Peter Brockmeier. Reclam, Ditzingen 2006, ISBN 3-15-018378-2 (zweisprachig).
  • Francesco Petrarca: Canzoniere. Ausgewählt, eingeleitet und mit Anmerkungen versehen von Gerhard Regn. Zweisprachige Auswahl (italienisch, deutsch). Übertragen von Karl Förster. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 1987, ISBN 3-87162-010-6.

Literatur

  • Klaus Ley: Die Drucke von Petrarcas „Rime“, 1470–2000. Synoptische Bibliographie der Editionen und Kommentare, Bibliotheksnachweise. Hildesheim: Olms 2002. ISBN 3-487-11709-6
  • Frederic J. Jones: The structure of Petrarch’s Canzoniere. A chronological, psychological and stylistic analysis. Brewer, Cambridge 1995,. ISBN 0-85991-410-0
  • Winfried Wehle: Im Labyrinth der Leidenschaften: zur Struktureinheit in Petrarcas Canzoniere. In: Paul Geyer, Kerstin Thorwarth (Hrsg.): Petrarca und die Herausbildung des modernen Subjekts. Göttingen 2008, S. 71–106; edoc.ku-eichstaett.de (PDF).
  • Winfried Wehle: Maria, Minnekönigin – Petrarca, ‘Rerum Vulgarium Fragmenta 366’: ein Gedicht über ein Gebet. In: Petrarca, Proust et al.: Reden und Schriften (= Veröffentlichung der Speck Literaturstiftung. 2). Bibliotheca Reiner Speck, Köln 2016, S. 24–55 (edoc.ku-eichstaett.de PDF).
Wikisource: Canzoniere (Rerum vulgarium fragmenta) – Quellen und Volltexte (italienisch)

Einzelnachweise

  1. Canzone alla Vergine (…) ch’accolga ’l mïo spirto ultimo in pace
  2. Nach dem Tod der Mona Laura (PDF; 287 kB)
  3. Klaus Ley: Petrarcas Canzoniere und die Zensur. studgen.uni-mainz.de (PDF).
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