Byzantinische Literatur
Der Begriff byzantinische Literatur bezeichnet die griechischsprachige Literatur des oströmisch/byzantinischen Reiches, die sich von der Spätantike bis 1453 erstreckt. Der Name leitet sich ab von der alten dorischen Kolonie Byzantion am Bosporus, die der römische Kaiser Konstantin der Große im Jahr 330 zur zweiten Hauptstadt des Römischen Reichs erhob und die sich rasch zur geistigen Metropole des Reichs entwickelte. In dem Maße, in dem das Lateinische seine beherrschende Stellung als Reichssprache verlor, entwickelte sich das Griechische, das von knapp einem Drittel der Einwohner des Ostreiches als Muttersprache gesprochen wurde, zur bevorzugten Sprache aller Gebildeten und wurde 629 auch zur offiziellen Staatssprache. Freilich wurden aus dem Lateinischen viele Lehnworte übernommen.
Historischer und kultureller Hintergrund
Nach dem Zerfall des westlichen Reichsteils wurde Byzanz zur Erbin der römischen Reichskultur, die schon seit der römischen Kaiserzeit durch eine beispiellose Vermischung philosophischer Richtungen und religiöser Kulte gekennzeichnet war. Mit dem raschen Erstarken eines innerlich vereinten Christentums (nach dem Ersten Konzil von Nicäa 325) entstand die Notwendigkeit, dieses in die Struktur und Gedankenwelt des Reichs zu integrieren und zur Staatsreligion zu erheben. So wurden auch die christliche Lehre und damit die patristische Literatur in die römische Gedankenwelt integriert und erlangten eine Monopolstellung, während die (ost-)römischen Kaiser als irdische Stellvertreter Gottes theokratisch agierten und richtungsbestimmend in allen Bereichen von Kunst und Literatur wurden. Byzanz zog durch diese Synthese politischer und geistlicher Macht rasch alle schöpferischen Kräfte an. Andere intellektuelle Zentren wie Alexandreia und Antiocheia, später auch Athen, verloren demgegenüber rasch an Bedeutung, ganz zu schweigen vom geistigen Leben in den Provinzen.
Die byzantinische Sprachform des Griechischen seit ca. 600 wird auch Mittelgriechisch genannt. Dessen Kennzeichen ist die veränderte Metrik. Während sich die gesprochene Volkssprache jedoch seit dem 11. oder 12. Jahrhundert kontinuierlich zum heutigen Neugriechisch entwickelte, wurden die gelehrten Schriften weiterhin in einer breiten Kreisen oft unverständlichen Kunstsprache verfasst. Dieser Sprachdualismus prägte die gesamte byzantinische Periode, auch wenn gelehrte Autoren zunehmend Zugeständnisse in Form der Verwendung volkssprachlicher Elemente machten.[1]
Genres
Die byzantinische Literatur lässt sich in drei Hauptgenres aufteilen:
- die hochsprachliche Geschichtsschreibung in attizistischem Griechisch (basierend auf dem klassischen Attisch);
- die wissenschaftliche Literatur, vor allem theologisch-dogmatisch, später zunehmend populärtheologische Schriften;
- Poesie, teils durch klassische Erzählungen und Genres inspiriert, teils als Volkserzählung und in neueren Formen verfasst; auch die religiöse Dichtkunst hielt an der attizistischen Erzählform und dem klassischen Genre fest, wobei die Metrik der alten Formen meist nicht mehr durch den Kontrast langer und kurzer Silben, die sprachlich nicht mehr unterschieden wurden, sondern durch die Wortakzente dargestellt wurde.
Seit dem 7. Jahrhundert wurden die liturgischen Dichtungen gesungen; die Melodien wurden seit Ende des 10. Jahrhunderts in einer Art Notenschrift fixiert.
Die Historiographie: Geschichtsschreibung und Chronikliteratur
- Die Geschichtsschreibung gilt als bedeutendste Leistung der byzantinischen Literatur (siehe Byzantinische Geschichtsschreibung). Die Historiker waren zumeist hohe Beamte oder Offiziere. Sie schrieben für ein gebildetes Publikum; ihr Stil ist gehoben und elegant, aber gekünstelt. Sie imitierten in ihrem Werk möglichst die klassisch-griechische (attische) Grammatik und Literatur; darum weicht ihre Sprache stark ab von der Sprechweise ihrer Zeit (anders jedoch die zahlreichen Chroniken, die nicht in der Hochsprache verfasst waren). Bedeutende Historiker waren:
- Prokopios (6. Jahrhundert; daran jeweils anschließend Agathias, Menander Protektor sowie Theophylaktos Simokates),
- Kaiser Konstantin Porphyrogénnetos mit dem Werk De Administrando Imperio, griech.: Προς τον ίδιον υιόν Ρωμανόν, das auch Informationen über die Nachbarvölker enthält,
- Leon Diakonos (10. Jahrhundert),
- Michael Psellos (Philosoph und Universalgelehrter des 11. Jahrhunderts, Vertreter einer byzantinischen „humanistischen Renaissance“ der Antike),
- Anna Komnena (12. Jahrhundert), Johannes Kinnamos sowie Michael und Niketas Choniates (12. und 13. Jahrhundert)
- Georgios Gemistos Plethon († 1453, neuplatonischer Kritiker des Christentums)
- Georgios Phrantzes und Laonikos Chalkokondyles, die den Fall von Konstantinopel 1453 beschrieben.
- Die Hagiographie: Biographien christlicher Heiliger und populäre Genres der byzantinischen Zeit
- Später bediente die Chronikliteratur sich mehr bei der mündlichen griechischen Sprache.
- Chronisten – darunter zahlreiche Mönche – waren Johannes Malalas (6. Jahrhundert), Theophanes (8. Jahrhundert), Georgios Monachos (9. Jahrhundert), Johannes Skylitzes (11. Jahrhundert), Johannes Zonaras und Kedrenos (um 1200).
- Aus der Umgebung des byzantinischen Reichs kommen bedeutende Chroniken von Machaeras und Boustrónios hinzu, die die Geschichte Zyperns unter dem Haus Lusignan beschreiben, sowie die Chronik von Morea, welche das Fürstentum Achaia beschreibt.
Die Poesie
- Einzelne Autoren in der Anthologia Palatina:
- Die Epik:
- Digenis Akritas und die Akritischen Lieder
- Melische Dichtung (liturgische Hymnen)
- Romanos Melodos, Andreas von Kreta, Johannes von Damaskus, Kosmas von Jerusalem
- Panegyrische Dichtung
Die Theologie
Nach dem Fall Konstantinopels
Nach dem Fall Konstantinopels entstanden immer weniger Werke in attizistischem Griechisch, während die Volksliteratur in gesprochener Sprache verfasst wurde. Im Allgemeinen wird das 15./16. Jahrhundert als Übergangszeit zwischen byzantinischer und neugriechischer Literatur angesehen. An den Fürstenhöfen der Donaufürstentümer (im heutigen Rumänien) wurde das byzantinische Erbe bis in die Epoche der europäischen Aufklärung jedoch weiter gepflegt. In Westeuropa waren nach dem Fall Konstantinopels nach Italien und Frankreich emigrierte griechische Gelehrte wie Demetrios Chalkokondyles und Janos Laskaris an der Bewahrung und Renaissance griechischer Literatur beteiligt.
Literatur
- Franz Dölger: Die Byzantinische Literatur. In: Walter Jens (Hrsg.): Kindlers neues Literatur-Lexikon. Band 19, München 1996, S. 961–965.
- Roderick Beaton: From Byzantium to Modern Greece: Medieval Literature and its Modern Reception (Farnham: Ashgate 2008), ISBN 978-0-7546-5969-3.
- Hans-Georg Beck: Geschichte der byzantinischen Volksliteratur (Byzantinisches Handbuch II.3 [HdAW XII.2.3]), München 1971.
- Hans-Georg Beck: Kirche und theologische Literatur im byzantinischen Reich. München 1959.
- Herbert Hunger: Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, 2 Bände, 1978.
- Marc D. Lauxtermann: Byzantine Poetry from Pisides to Geometres: Texts and Contexts (= Wiener byzantinische Studien. Band 24). 2 Teilbände, Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2003/2019, ISBN 978-3-7001-3150-2 und ISBN 978-3-7001-8126-2 (Band 1 online).
- Jan Olof Rosenqvist: Die byzantinische Literatur. Vom 6. Jahrhundert bis zum Fall Konstantinopels 1453. de Gruyter, Berlin/New York 2007, ISBN 3-11-018878-3.
Siehe auch
Weblinks
- Byzantinische Literatur. In Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 3. Leipzig 1905, S. 673–674.
Einzelnachweise
- Franz Dölger: Die Byzantinische Literatur. In: Walter Jens (Hrsg.): Kindlers neues Literatur-Lexikon. Band 19, München 1996, S. 961 f.