Brake-by-Wire
Brake-by-Wire (wörtlich: Bremsen per Kabel) umschreibt ein Bremssystem, in dem die Betätigungs- und Stelleinrichtungen voneinander mechanisch entkoppelt sind. Im konventionellen hydraulischen Bremssystem ist die Betätigungseinrichtung das Bremspedal und die Übertragungs- und Stelleinrichtung die Hydraulik. Hierbei wird zwischen der elektrohydraulischen Bremse, elektropneumatischen Bremse (bei LKW) und der elektromechanischen Bremse unterschieden. In Brake-by-Wire Systemen wird die Kopplung zwischen Betätigungseinrichtung und Bremse durch eine Signalübertragung hergestellt.
Erst der Verzicht auf die Hydraulik oder Pneumatik macht die Bremse zu einer echten, sogenannten „trockenen“ Brake-by-Wire-Anwendung, da hier keinerlei fluidtechnische Systeme mehr eingesetzt werden. Siemens VDO Automotive präsentierte auf der IAA 2005 eine auf der Keiltechnik basierte PKW-Bremse, die bis 2010 in Serie gehen sollte. Bis 2020 gab es jedoch keinen Serieneinsatz.
Beworben wurde der künftige Einsatz dieser Technologie vor allem mit der Trägheit derzeit verwendeter Medien im Bremssystem. Mithilfe ausschließlich elektromechanischer Lösungen ließen sich demnach kürzere Ansprechzeiten ermöglichen, wobei sich dies auch in den erreichbaren Bremswegen widerspiegeln sollte. In Aussicht gestellt wurde auch eine weitaus günstigere Herstellbarkeit der Brake-by-Wire-Technologie, da bei hydraulischen Systemen im Einsatz befindliche Komponenten wie Hauptbremszylinder, Bremskraftverstärker und ABS vergleichsweise aufwändig gefertigt werden müssen. Künftig seien alle Funktionen des Bremssystems per Software realisierbar.
Ein sichtlicher Nachteil ist die gesetzliche Vorschrift einer Rückfallebene, so dass im Falle eines Fehlers der Elektronik trotzdem die Bremsen betätigt werden können. Das bedeutet bei der elektrohydraulischen Bremse lediglich ein zusätzliches Ventil, das unbestromt geöffnet ist und die Kopplung zwischen Bremspedal und einem Hydraulikkreis (vorzugsweise dem der Vorderachse) wiederherstellt. Bei der elektromechanischen Bremse müssten eine zweite Batterie zur Verfügung gestellt werden und redundante Signalleitungen verlegt werden. Eine zweite Batterie stellt aber unter anderem einen erheblichen Gewichtsunterschied dar und ist somit nicht praktikabel.
Mit dem als IBS1 bezeichneten Integriertem Bremssystem der ersten Generation wurde im Jahr 2010 durch die Firma LSP Innovative Automotive Systems GmbH erstmals als Weltpremiere ein elektrohydraulisches Brake-by-Wire Bremssystem vorgestellt, das die Funktionen Bremsbetätigung, Bremskraftverstärkung und ABS/ESP-Funktion, erste Funktionen von autonomen Fahren (Notbremsfunktion AEB) sowie uneingeschränktes regeneratives Bremsen mit Generatoren in einer kompakten Einheit vereinte.
Revolutionär beim IBS1 war zum einen der kompakte Aufbau der Bremsanlage sowie die zum damaligen Zeitpunkt nicht vorstellbare Präzision der Bremsdruckregelung durch ein elektrohydraulisches System. Dies wurde realisiert, indem der Bremsdruck durch ein über einen bürstenlosen Elektromotor angetriebenes Kolben-Zylinder-System erzeugt wurde und in mehreren Radbremsen über Magnetventile verteilt wurde. Durch einen Wegsimulator konnte der Fahrer komplett vom Systemdruck der Bremsanlage entkoppelt werden, wodurch schon damals der Grundstein für erste autonome Fahrfunktionen wie die elektrische Notbremsung geschaffen wurde. Ferner konnte eine vollvariable Pedalcharakteristik realisiert werden, d. h. ein Systemdruck konnte unabhängig von einer Pedalbetätigung frei variabel und unter Berücksichtigung einer Bremswirkung eines Generators oder rekuperativ wirkenden Elektromotors eines E-Fahrzeuges präzise geregelt oder gesteuert werden. Kern der präzisen Druckregelung war sowohl die hochpräzise Positions- und Drehzahlregelung mittels eines bürstenlosen Elektromotors mit drei Strängen sowie eine sehr genaue Modellbildung des Zusammenhangs zwischen Bremsmoment, Bremsdruck und Drehmoment des Elektromotors. Die Signale Strom des Elektromotors, Kolbenposition und Druck in der Kolben-Zylinder-Einheit waren dabei essentielle Bestandteile bei der Modellbildung. So war eine Bremsdruckregelung nur durch die Stromregelung des Elektromotors, Kernbestandteil von heutigen Redundanzfunktionen, erstmals möglich. Die ABS-Funktion und das Geräuschniveau auf Schnee, Eis und µ-Split konnte sogar verbessert werden und definierte eine neue Messlatte für Bremsregelung in kritischen Fahrsituationen.
Seit 2014 wird Brake-by-Wire in der Formel-1-Weltmeisterschaft eingesetzt, wo das System die Bremskraft elektronisch zwischen der Rekuperationsbremse und der mechanischen Bremsanlage an der Hinterachse des Fahrzeuges verteilt.
Seit 2018 wird Brake-by-Wire in der Formula-E-Weltmeisterschaft eingesetzt, wo ausschließlich Elektromotoren an der Hinterachse das Rennfahrzeug antreiben und für eine starke Rekuperation genutzt werden. Das als IBSe bezeichnete Brake-by-Wire Bremssystem ermöglicht im Vergleich zur Formel-1 nicht nur das rekuperative Bremsen durch das Zusammenwirken von hydraulischem Bremssystem und Elektromotor, es kann aufgrund des leistungsstarken Elektromotors auch bei geringeren Geschwindigkeiten ausschließlich über den Elektromotor verzögert und rekuperiert werden. Eine intelligente Fahrweise und Rekuperationsstrategie kann in der Formula E für den Rennsieg entscheidend sein, da die Reichweite durch die Energiespeicherkapazität der Batterie begrenzt ist.
Literatur
- Karl-Heinz Dietsche, Thomas Jäger, Robert Bosch GmbH: Kraftfahrtechnisches Taschenbuch. 25. Auflage. Friedr. Vieweg & Sohn Verlag, Wiesbaden 2003, ISBN 3-528-23876-3.
- Bremsenhandbuch (B. Breuer, K. H. Bill (Hrsg.)): 4. Auflage; Dr. Hans-Jörg Feigel, Dr. Anton van Zanten, Heinz Leiber, Dr. Thomas Leiber, Christian Köglsperger, Valentin Unterfrauner: Integrierte Bremssysteme, ISBN 978-3-658-15488-2
- Dr. Thomas Leiber, Christian Köglsperger, Valentin Unterfrauner: "Modulare Bremssystem mit integrierten Funktionen", Automobiltechnische Zeitschrift, Ausgabe 6/2011
- Christian Köglsperger, Valentin Unterfrauner, Simon Zollisch: "Zukunftsthema Brake-by-Wire: Von der Formel E in die Vorentwicklung neuer Antriebsarchitekturen", Automobiltechnische Zeitschrift, Ausgabe 2/2020