Besonderes öffentliches Interesse
Im Strafgesetzbuch (Deutschland) sind Delikte ausgewiesen, die außer auf Antrag auch bei Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses verfolgt werden können. Das besondere öffentliche Interesse ersetzt regelmäßig die Antragserfordernis für zahlreiche Bagatelldelikte (wie fahrlässige Körperverletzung, Diebstahl geringwertiger Sachen u. a.).
Nach herrschender Ansicht ist das besondere öffentliche Interesse eine Beurteilungsfrage im Ermessen der Staatsanwaltschaft. Diese Ermessensentscheidung soll danach der Überprüfung durch das Gericht entzogen sein.[1][2][3] Dem wird entgegnet, die Staatsanwaltschaft sei dann Herrin des Verfahrens, denn sie könnte noch in der Revisionsinstanz das besondere öffentliche Interesse bejahen oder auch verneinen, was zum Konflikt mit § 156 StPO führe.[4] Die Ermessensentscheidung der Staatsanwaltschaft zum besonderen öffentlichen Interesse sei daher nach anderer Ansicht auf Ermessensfehler überprüfbar; entweder vom mit dem Strafverfahren befassten Gericht[5] oder beispielsweise nach den Vorschriften der §§ 23 ff. EGGVG.
Jedenfalls sofern die Entscheidung der Staatsanwaltschaft frei von Willkür ist, ist die Beschränkung der Entscheidungsüberprüfung nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1979[6] verfassungsgemäß.
Vom besonderen öffentlichen Interesse ist das (einfache) öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu unterscheiden. Das öffentliche Interesse kann nach § 153a StPO durch Erfüllung einer Zahlungsauflage, durch einen Täter-Opfer-Ausgleich, durch Wiedergutmachung, durch ein Aufbauseminar u. Ä. beseitigt werden, sodass das Verfahren endgültig eingestellt wird.
Betroffene Deliktsarten im Strafgesetzbuch (Deutschland)
Paragraphen des StGB, die Bestimmungen zur Feststellung des besonderen öffentlichen Interesses beinhalten:
- § 182 Abs. 5 StGB Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
- § 183 StGB Exhibitionistische Handlungen
- § 184i StGB Sexuelle Belästigung
- § 201 StGB - § 205 StGB Verletzung des persönlichen Lebens- und Geheimbereichs
- § 230 StGB Strafantrag bei vorsätzlicher (§ 223 StGB) oder fahrlässiger (§ 229 StGB) Körperverletzung
- § 235 StGB Entziehung Minderjähriger
- § 238 Abs. 1 StGB Nachstellung
- § 248a StGB Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen
- § 301 StGB Strafantrag (bei § 299 StGB Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr)
- § 303c StGB Strafantrag (bei § 303 StGB Sachbeschädigung, § 303a StGB Datenveränderung und § 303b StGB Computersabotage)
Siehe auch
Einzelnachweise
- Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. Mai 1961, Aktenzeichen 2 StR 40/61 = NJW 1961, 2120, beck-online.
- Bayerisches Oberstes Landesgericht, Urteil vom 29. November 1990, Aktenzeichen RReg. 3 St 168/90 = NJW 1991, 1765, beck-online.
- Kristian Kühl in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Auflage 2018, § 230 Rn. 5
- Detlev Sternberg-Lieben in: Schönke/Schröder Strafgesetzbuch, 30. Auflage 2019, § 230 Rn. 3.
- Bernhard Hardtung in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage 2017, § 230 Rn. 51–52.
- Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. Mai 1979, Aktenzeichen 2 BvR 782/78 = NJW 1979, 1591, beck-online, Zitat: „Ob die Annahme eines besonderen öffentlichen Interesses durch die Strafverfolgungsbehörde ausnahmsweise dann richterlicher Kontrolle unterliegt, wenn sie sich angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalles als objektiv willkürlich erweist, bedarf hier keiner Entscheidung.“.