Behaghelsche Gesetze
Die Behaghelschen Gesetze beschreiben Grundprinzipien der Stellung von Wörtern und Satzgliedern im Satz, welche vom Deutschen ausgehend sprachübergreifend anwendbar sind[1]. Sie wurden von dem deutschen Linguisten Otto Behaghel im letzten Band seines vierbändigen Werks Deutsche Syntax: Eine geschichtliche Darstellung (erschienen 1923–1932) formuliert. (Frühere Präsentation: Behaghel 1909)
Die Behaghelschen Gesetze
Es handelt sich dabei um folgende Grundsätze, die auch als häufig beobachtete Regularitäten bezeichnet werden können:
- Geistig eng Zusammengehöriges wird auch eng zusammengestellt. (Erstes Behaghelsches Gesetz)
- Das Unwichtigere (dem Hörer schon Bekannte) steht vor dem Wichtigen. (Zweites Behaghelsches Gesetz)
- Das unterscheidende Satzglied geht dem unterschiedenen voraus.
- Von zwei Satzgliedern geht, wenn möglich, das kürzere dem längeren voraus. (Gesetz der wachsenden Glieder)
- Das Tongewicht kann die Wortstellung in verschiedener Weise beeinflussen. Das Deutsche hat das Streben, stärker und schwächer betonte Glieder abwechseln zu lassen.[2]
Das erste und zweite Gesetz werden hierbei im Zusammenhang mit der Informationsstruktur gesehen, da sich aus den Behaghelschen Gesetzen die späteren Theorien zum sprachlichen Fokus (Thema-Rhema-Gliederung; Topic vs. Comment) entwickelten. Im Allgemeinen wurden Behaghels Überlegungen so verstanden, dass die Informationen so verpackt sind, dass sie den unmittelbaren kommunikativen Bedürfnissen des Gesprächspartners folgen[3]. Sie dienten zusammen mit einigen anderen seiner Themen als Anregungen für Forschungen in der Quantitativen Linguistik.
John Hawkins (1994: 119) sieht das von ihm formulierte Verarbeitungsprinzip Early Immediate Constituents (EIC) als Verallgemeinerung der ersten beiden Behaghelschen Gesetze. Dies besagt, dass der menschliche Parser Strukturen bevorzugt, welche die unmittelbaren Konstituenten eines Mutterknotens möglichst schnell identifiziert. (siehe dazu Hawkins 1994: 69–83)[4]
Das fünfte Gesetz, das des Tongewichts, wurde bereits 1907 von John Ries in einem vergleichbaren Prinzip festgehalten. So formulierte er:
„[…] rhythmischer Wohllaut eines Satzes kann weder durch unvermittelte Nebeneinanderstellung mehrerer starkbetonter Worte erzeugt werden, noch verträgt er sich mit der Zusammenhäufung vieler unbetonter, er beruht vielmehr in erster Linie auf der Abwechslung[5].“
Mit sprachlichen Mitteln wird so gesichert, dass sich die dem Sprecher wichtigen Aussagen im Gedächtnis des Hörers festsetzen, indem sie sich am Ende des Satzes befinden. (siehe zweites Gesetz)
Behaghel wies des Öfteren darauf hin, dass diese Gesetze miteinander wechselwirken[6]. Sie können sich entweder ergänzen oder sich entgegenarbeiten[7]. Das erste und zweite Behaghelsche Gesetz beispielsweise weisen Pronomina in der sogenannten Wackernagelposition auf. Diese haben einerseits eine enge Beziehung zum Vorhergehenden, andererseits sind sie aber auch eng mit dem Verb verbunden.
Beispiele für Konflikte zwischen den Behaghelschen Gesetzen
Konflikt zwischen dem ersten und zweiten Gesetz
Er hatte sich jetzt mit dem größten Heerführer seiner Zeit gemessen (Schiller)
- Das erste Gesetz ist verletzt (weil „sich“ zum Verb gehört), das zweite Gesetz ist erfüllt.
Er kann durch die Kraft seines Willens aus dem Zustande der Bedrückung sich reißen (Schiller)
- Das erste Gesetz ist erfüllt, das zweite Gesetz ist verletzt (da das Unwichtigere vor dem Wichtigen steht)
Konflikt zwischen dem ersten und vierten Gesetz
weil sie schöpferische Kraft ist eines primitiven Menschentums
- Hierbei stellt sich das Kopulaverb „ist“ zwischen das Kopfnomen und das Genitivattribut, was einen Konflikt zwischen den Gesetzen auslöst.
Aus diesen Gesetzen schließt sich also der normale (deutsche) Satzbau.
„In diesen mehr oder weniger fest überlieferten Regeln hat eine ganz ruhig, gleichmäßig dahinfließende Rede ihre stets wiederkehrende Gestalt gefunden.“[8]
Literatur
- Otto Behaghel: Beziehungen zwischen Umfang und Reihenfolge von Satzgliedern. In: Indogermanische Forschungen 25, 1909, S. 110–142.
- Otto Behaghel: Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Bd. 1 (1923), Bd. 2 (1924), Bd. 3 (1928), Bd. 4 (1932). Heidelberg: Carl Winter Universitätsverlag.
- Manfred Krifka: Basic notions of information structure. In: Caroline Féry, Gisbert Fanselow und Manfred Krifka (Hgg.): The notions of information structure, 2007, Potsdam: Universitätsverlag Potsdam, 13–55.
- John Hawkins: A performance theory of order and constituency. (1994), Cambridge University Press.
- John Ries: Die Wortstellung im Beowulf. (1907) Halle a. d. Saale: Niemeyer.
- Otto Behaghel: Zur Wortstellung des Deutschen. In: Language Monograph No. 7: Curme Volume of Linguistic Studies (1930) : 29–33.
- Robert Plath: Behaghelsches Gesetz. In: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd. 2 (1997), Sp. 544 f.
- Karl-Heinz Best: Otto Behaghel (1854–1936). In: Glottometrics 14, 2007, S. 80–86 (PDF Volltext).
Weblinks
Einzelnachweise
- Otto Behaghel: Beziehungen zwischen Umfang und Reihenfolge von Satzgliedern. Indogermanische Forschungen 25. S. 110–142.
- Otto Behaghel: Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Band 1-4. Carl Winter Universitätsverlag, 1932.
- Manfred Krifka: Basic notions of information structure. In: Caroline Féry, Gisbert Fanselow und Manfred Krifka (Hgg.): The notions of information structure. Universitätsverlag Potsdam.
- John Hawkins: A performance theory of order and constituency. (Cambridge studies in linguistics; 73). Cambridge 1994.
- John Ries: Die Wortstellung im Beowulf. 1907, S. 91–92.
- Otto Behaghel: Zur Wortstellung des Deutschen. In: Language Monograph No. 7: Curme Volume of Linguistic Studies. 1930.
- Otto Behaghel: Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Band 4. Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg 1932.
- Otto Behaghel: Deutsche Syntax. Eine geschichtliche Darstellung. Band 4. Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg 1932.