Architekturkritik
Architekturkritik ist ein Teilaspekt der Kunstkritik und beschäftigt sich mit der Beurteilung von Architektur. Besonders die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Architektur ist ein Wesensmerkmal der Architekturkritik.
Inhalte
Ein Ziel der Architekturkritik ist, die Ursachen der Fehlleistungen von Architektur aufzuzeigen.[1]
Architekturkritik ist eine Methode der Auseinandersetzung. Unter dem Aspekt von "Unterscheiden und Infragestellen" wird die gebaute Umwelt beurteilt.
Philosophisch gesehen erfolgt die Kritik :
1. subjektiv, nach persönlichem Geschmack und Empfinden und wird
2. objektiv begründet durch Anwendung gesicherter, messbarer Prinzipien um den Wert (oder Unwert) einer Bauform zu erkennen.
Ziel ist es also, aufgrund dieser beiden Möglichkeiten eine argumentative Position zu finden. Die zeitgenössische Architekturkritik ist meist dogmatisch und belehrend, da der Kritiker durch seine Stellungnahme immer Partei ergreift -bedingt durch seine ästhetischen Auffassungen aus der Kulturepoche der er entstammt. Der Architekturkritiker exponiert sich, indem er zwischen Bauwerk und Betrachter steht und glaubt es – stets von seinem Standpunkt getragen –, "es besser zu wissen" als andere. Die Kritik ist auch Kritik an der Person des Architekten (in seiner Rolle als "Baukünstler"), wenn er mit seinem Werk schockiert und provoziert oder ermüdet und langweilt.
Zur Architekturkritik gehört auch der Blick auf einschlägige Texte aus sprachlicher, vor allem linguistischer Sicht. Jan Büchsenschuß spricht dabei von einer "Tendenz zur Sprachentstellung" und zeigt dies an zahlreichen Beispielen, etwa an Phrasen wie "Das Haus ist gut orientiert", "fließender Wohnraum", "homöopathisch gebrochen", "hochgradig abstrakte, modernistische Umgebung", "die schmutzigen Brüche innerhalb der städtebaulichen Typologien", "Aluminium-Glas-Rasterfassade", "rigorose Treppen", "bei gezielter Injektion von Gegenwart".[2]
Kriterien
Die Kriterien der Architekturkritik werden von der Architekturtheorie formuliert. Nach Vitruv sind die drei Hauptanforderungen an die Architektur: Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit). Dabei muss allen drei Kategorien gleichermaßen und gleichwertig Rechnung getragen werden.[3]
- Siehe auch: Abschnitt Wichtige Themen des Lemmas Architektur
Geschichte
Historische Repräsentationsarchitektur, wie zum Beispiel der Parthenon oder gotische Kathedralen, wurde von Baumeistern und anonymen Handwerkern geschaffen.
Mit dem Humanismus taucht eine neue Konzeption der Architektur als "Freie Kunst" auf und bildet einen neuen Typus: Der Architekt als Künstler, der mit seinem Bauentwurf ästhetischer Mittler für die Wünsche seiner Bauherrschaft wird. Geschichtlich gesehen vertraten Architekt und Bauherr dieselben Wertvorstellungen und damit die Grundlagen der gesamten Repräsentations-Architektur. Wer durch Geburt und (oder) Vermögen privilegiert war, vergrößerte sein Ansehen durch das des Architekten. Umgekehrt bedeutete es – da die Anerkennung eines Kunstwerkes allein von den Herrschenden abhing – für den Architekten gesellschaftlichen Aufstieg, Erfolg und weitere Aufträge. Dieser Kontext bildete die Basis für das Mäzenatentum. Kritik war hier völlig überflüssig, denn man war entweder "in" oder "out".
Im 19. Jahrhundert wandelte sich die Architektur durch den technischen Fortschritt und die Ingenieurwissenschaften: die Spaltung von Entwurf und Bautechnik. Die meisten Architekten schufen weiter Szenarien für den großbürgerlichen Zeitgeschmack, unfähig zur Synthese, setzten sie alles daran, die neuen Eisenkonstruktionen hinter monumentalen Fassaden zu verbergen und reduzierten sich so auf die angreifbare Funktion eines "Stylisten". Die Theorie des "Schönen" wurde auf ein System von Regeln reduziert und wer dem nicht entsprach, war kritisierbar.
Bekannte Architekturkritiker
Siehe auch: Comité Internacional de Críticos de Arquitectura
- Wolfgang Bachmann (* 1951), Baumeister (Zeitschrift)
- Dieter Bartetzko (1949–2015), Frankfurter Allgemeine Zeitung
- Ulrich Conrads (1923–2013), Bauwelt (Zeitschrift)
- Ingeborg Flagge (* 1942), der architekt
- Ada Louise Huxtable (1921–2013), The New York Times
- Jane Jacobs (1916–2006)
- Léon Krier (* 1946)
- Karin Leydecker (1954–2020)
- Gerhard Matzig (* 1963), Süddeutsche Zeitung
- Annette Menting (* 1965)
- Vera Purtscher (* 1961), Die Presse
- Hanno Rauterberg (* 1967), Die Zeit
- Manfred Sack (1928–2014), Die Zeit
- Nikos Salingaros (* 1952)
Auszeichnungen
Siehe auch
- Architekturtheorie, Architekturgeschichte
- Liste von Architekturzeitschriften
- Themenheft der Internet-Architekturzeitschrift Wolkenkuckucksheim: Eine Kritik der Architekturkritik Buch im Waxmann Verlag erschienen: ISBN 3-8309-1304-4.
- Themenheft der Architekturzeitschrift Archithese zum Thema Architekturkritik
Literatur
- Adolf Behne: Architekturkritik in der Zeit und über die Zeit hinaus: Texte 1913–1946. (Herausgegeben von Haila Ochs.) Basel, Boston, Berlin: Birkhäuser, 1994.
- Jan Büchsenschuß: Die Blüten des Extravaganten. Über die Tendenz zur Sprachentstellung in zeitgenössischen Architekturkritiken. Marburg: Tectum, 2016, ISBN 978-3-8288-3819-2.
- Ulrich Conrads: Umwelt Stadt. Argumente und Lehrbeispiele für eine humane Architektur. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1974, ISBN 3-499-16885-5.
- Ulrich Conrads, Eduard Führ, Christian Gänshirt (Hrsg.): Zur Sprache bringen. Kritik der Architekturkritik. Münster: Waxmann, 2003, ISBN 3-8309-1304-4.
- Ingeborg Flagge (Hrsg.): Streiten für die menschliche Stadt. Texte zur Architekturkritik. Hamburg: Junius, 1997, ISBN 3-88506-276-3.
- Wilfried Dechau (Hrsg.): Mit spitzem Stift. Architektur in der deutschen Tagespresse. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart, 1998, ISBN 3-421-03171-1.
- Georg Franck, Dorothea Franck: Architektonische Qualität. München: Hanser-Verlag, 2008
- Klaus Jan Philipp: Vom Dilettantismus zur Zensur. Zur Geschichte der Architekturkritik. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1996, ISBN 3-421-03121-5.
- Manfred Sack: Architektur in der Zeit. Kritiken und Reportagen über Häuser, Städte und Projekte. C. J. Bucher, Luzern/Frankfurt am Main, 1979, ISBN 978-3-7658-0289-8.
- Manfred Sack: Götter und Schafe: Über Häuser, Städte, Architekten – Kritiken und Reportagen. Birkhäuser, Basel, 2000, ISBN 978-3-7643-6141-9.
- Manfred Sack: Verlockungen der Architektur. Kritische Beobachtungen und Bemerkungen über Häuser und Städte, Plätze und Gärten. Quart-Verlag, Luzern, 2003, ISBN 978-3-907631-22-5.
- Fred F. Stuber: Zur Problematik der Architekturkritik. Theoretische Diplomarbeit. Erster Teil.;Versuch einer umfassenden Publikation eines Bauwerkes. Theoretische Diplomarbeit. Zweiter Teil. Hochschule für Gestaltung, Ulm 1967.
- Jürgen Tietz: Was ist gute Architektur? 21 Antworten. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 2006, ISBN 3-421-03466-4.
Einzelnachweise
- Günther Binding: Bilderwörterbuch der Architektur. Kröner, 1999, ISBN 3-520-19403-1.
- Jan Büchsenschuß: Die Blüten des Extravaganten. Über die Tendenz zur Sprachentstellung in zeitgenössischen Architekturkritiken. Marburg: Tectum 2016, ISBN 978-3-8288-3819-2, S. 9, 10, 26, 42.
- Vitruv: Zehn Bücher über Architektur. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Dr. Curt Fensterbusch. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1964, ISBN 3-534-01121-X, S. 45.