Weltraumbahnhof
Als Weltraumbahnhof (englisch Spaceport, wörtlich „Raumhafen“) bezeichnet man einen Startplatz, von dem aus Trägerraketen mit Raumfahrzeugen in eine Umlaufbahn um den Planeten Erde starten. Bei den beförderten Nutzlasten handelt es sich um Satelliten, Raumsonden oder Raumschiffe. Häufig befinden sich auf demselben Gelände auch Startplätze für Höhenforschungsraketen und/oder für militärische Raketen. Weltraumbahnhöfe auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und in China werden als Kosmodrom (von Kosmos) bezeichnet.
Standortbedingungen
Für Starts in äquatoriale oder äquatornahe Umlaufbahnen sollte der Startplatz möglichst nahe am Äquator liegen: Durch die Erdrotation hat die Rakete dort bereits die auf der Erdoberfläche maximal vermittelte Grundgeschwindigkeit und muss weniger beschleunigen, um insgesamt auf die im Orbit notwendige Geschwindigkeit zu kommen. Zudem erleichtert die Lage das Erreichen der gewünschten Umlaufbahn. Für Starts in polare Umlaufbahnen sind hingegen polnahe Standorte günstiger, wie zum Beispiel beim Kosmodrom Plessezk in Russland und dem Pacific Spaceport Complex – Alaska.
Ein Weltraumbahnhof sollte sich in einem politisch stabilen Staat befinden, da sein Aufbau mit großen Investitionen verbunden ist. Er sollte abseits von dicht besiedeltem Gebiet liegen und in östlicher, nördlicher und/oder südlicher Richtung an einen Ozean oder ein möglichst dünn besiedeltes Gebiet grenzen, denn Raketenstarts erfolgen (aus dem oben genannten Grund) immer in eine dieser Richtungen. Ansonsten könnten Menschen im näheren Umkreis bei Fehlstarts durch niederstürzende Trümmer und giftige Treibstoffreste gefährdet werden, in größerer Entfernung auch durch planmäßig abgetrennte Booster und Erststufen. Häufig befinden sich im Bereich eines Weltraumbahnhofs ausgedehnte Schutzgebiete oder militärische Sperrgebiete und Verbotszonen für zivilen Luftverkehr.
Beispiel: Russische Kosmodrome
Die russischen Kosmodrome sind durch ihre weit nördliche Lage besonders bei Starts in äquatoriale Umlaufbahnen im Nachteil, da zusätzlicher Treibstoff für Manöver zur Zielumlaufbahn aufgewendet werden muss. Auch kann die Erddrehung nicht so gut wie näher am Äquator ausgenutzt werden. Daher erfolgen die meisten russischen Raketenstarts vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan. Ukrainische Raketen wurden teils von einer Bohrplattform in Äquatornähe gestartet, die in Zukunft für russische Raketen genutzt werden soll (→ Sea Launch).
Beispiel: Kourou
Der europäische Weltraumbahnhof Centre Spatial Guyanais in Kourou besitzt von ähnlichen Einrichtungen weltweit die günstigste Lage für Äquatorialstarts.[1] Er liegt im politisch stabilen französischen Übersee-Département Französisch-Guayana im Norden Südamerikas[2] und sehr nahe am Äquator.[1] Die Region ist sehr dünn besiedelt und grenzt im Nordosten an den Atlantik.[3] Zwar weist Kourou ein tropisches Klima auf, wird jedoch von den meisten Atlantikstürmen verschont.[1] Ein Nachteil von Kourou ist die große Entfernung von den europäischen Produktionsstandorten der Raketen, welche sich jedoch aufgrund der Küstenlage des Startgeländes auf dem Seeweg dorthin transportieren lassen.
Weltraumbahnhöfe in Europa
Auf dem kontinentalen Gebiet der EU gibt es bislang keinen Weltraumbahnhof. Der derzeit einzige europäische Raketenbetreiber Arianespace startet stattdessen von Kourou. Die Raketenstartplätze Esrange in Schweden und Andøya in Norwegen sind bisher nur auf suborbitale Flüge ausgelegt, sollen aber für den Start von kleinen Satelliten ausgebaut werden.
Auf der Shetlandinsel Unst und in den schottischen Highlands sind seit 2017 beziehungsweise 2018 der das Shetland Space Centre und der Sutherland Spaceport in Planung. Von dort sollen frühestens ab 2022 die amerikanische Rakete RS1 bzw. die britisch-dänische Rakete Prime starten.[4] Auch auf der Azoreninsel Santa Maria ist ein Startplatz für die Prime geplant.[5] Von dem englischen Flughafen Newquay Cornwall Airport soll zukünftig auch das Trägerflugzeug Cosmic Girl mit der Orbitalrakete LauncherOne starten.
Deutschland ist wegen seiner Binnenlage und dichten Besiedlung ungeeignet als Standort für einen Weltraumbahnhof. Die bayerischen Trägerraketen Spectrum und RFA One sollen daher von Kourou beziehungsweise von Andøya starten.[6][7] Außerdem möchte das Bremer GOSA-Konsortium einen „schwimmenden Weltraumbahnhof“ in der Nordsee einrichten.
Bemannte Raumfahrt
Bislang wurden vier Weltraumbahnhöfe für bemannte Raumflüge genutzt: Das von Russland betriebene Kosmodrom Baikonur, die Cape Canaveral Space Force Station (CCSFS; vormals Cape Canaveral Air Force Station) in Florida, das nördlich daran angrenzende Kennedy Space Center (KSC) der NASA sowie das Kosmodrom Jiuquan im Norden Chinas. Die ESA hat sich nicht für ein eigenes bemanntes Raumflugprogramm entschieden, somit ist Kourou auch nicht dafür eingerichtet.
- Von Baikonur startete 1961 mit Wostok 1 der erste Mensch ins Weltall. Bis heute beginnen dort alle bemannten russischen Raumflüge.
- Von der CCAFS flogen mit den Mercury-Raumschiffen die ersten US-Amerikaner ins All. Voraussichtlich ab 2022 wird von dort das Boeing-Raumschiff CST-100 Starliner Astronauten zur Internationalen Raumstation bringen.
- Das KSC war Ausgangspunkt aller Apollo- und Space-Shuttle-Flüge und diente zudem als Shuttle-Landeplatz. Seit Mai 2020 startet dort das bemannte Crew-Dragon-Raumschiff von SpaceX.
- In Jiuquan startet das chinesische Shenzhou-Raumschiff. Für die künftigen bemannten chinesischen Mondmissionen ist das Kosmodrom Wenchang vorgesehen.
Als fünfter Bahnhof für bemannte orbitale Raumflüge ist das indische Satish Dhawan Space Centre vorgesehen. Bemannte Suborbitalflüge starten mit dem SpaceShipTwo vom Spaceport America in New Mexico und mit der Rakete New Shepard von der Corn Ranch in Texas.
Liste der Weltraumbahnhöfe
Orbitale Weltraumbahnhöfe
Von diesen Einrichtungen fanden bereits Starts mit Trägerraketen in Erdumlaufbahnen statt, oder es wurden Starts versucht oder sind konkret geplant. Die grau hinterlegten Startplätze werden derzeit nicht als Weltraumbahnhof genutzt.
Startplätze für Trägerflugzeuge
Von diesen Flughäfen bzw. Flugplätzen starteten Trägerflugzeuge mit den Orbitalraketen Pegasus oder LauncherOne, oder es sind Starts geplant.
Raketenstartplätze mit angeschlossenem Flugplatz (Details siehe oben):
- Cape Canaveral Air Force Station (Pegasus seit 9. Februar 1993)
- Kennedy Space Center (LauncherOne geplant)
- Kwajalein Missile Range (Pegasus seit 9. Oktober 2000)
- Vandenberg Space Force Base (Pegasus seit 27. Juni 1994)
- Wallops Flight Facility (Pegasus seit 4. November 1996)
Reine Flugplätze:
Name | Land, Region/Provinz | Betreiber | Koordinaten | Erster Orbitalstart | Anmerkungen |
---|---|---|---|---|---|
Newquay Cornwall Airport | Großbritannien | Cornwall | 50° 26′ N, 5° 0′ W | LauncherOne (geplant) | |
Cecil Air and Space Port | USA, Florida | Florida | 30° 13′ N, 81° 53′ W | 2021 (geplant) | Ravn (geplant) |
Edwards Air Force Base | USA, Kalifornien | U.S. Air Force | 34° 54′ N, 117° 53′ W | 5. Apr. 1990 | Pegasus bis 1994 |
Andersen Air Force Base | USA, Guam | U.S. Air Force | 13° 15′ N, 144° 56′ O | 2021 (geplant)[veraltet] | LauncherOne (geplant)[14] |
Mojave Air & Space Port | USA, Kalifornien | Virgin Orbit | 35° 4′ N, 118° 9′ W | 17. Jan. 2021 | LauncherOne |
(Die grau hinterlegten Plätze sind noch nicht fertiggestellt oder werden nicht mehr für orbitale Starts genutzt.)
Suborbitale Weltraumbahnhöfe
Diesen Einrichtungen werden für den Start suborbitaler Raumschiffe genutzt.
Name | Land, Region/Provinz | Betreiber | Koordinaten | Erster Raumflug | Anmerkungen |
---|---|---|---|---|---|
Corn Ranch | USA, Texas | Blue Origin | 31° 25′ N, 104° 46′ W | 23. Nov. 2015 | New Shepard |
Mojave Air & Space Port | USA, Kalifornien | Virgin Orbit | 35° 4′ N, 118° 9′ W | 21. Juni 2004 | SpaceShipOne, SpaceShipTwo |
Spaceport America | USA, New Mexico | Virgin Galactic | 32° 59′ N, 106° 59′ W | SpaceShipTwo |
Karte der Weltraumbahnhöfe
Äquator
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aktiv noch kein Raumfahrzeugstart im Bau geplant nur Fehlstarts und inaktiv inaktiv/stillgelegt |
Literatur
- Ralf Butscher: Großer Bahnhof am Äquator. In: Bild der Wissenschaft, Heft 1/2005, S. 88–93 (2005), ISSN 0006-2375
- Erik Seedhouse: Spaceports Around the World, A Global Growth Industry. Springer, Cham 2017, ISBN 978-3-319-46845-7.
- Stella Tkatchova: Spaceports in: Emerging Space Markets. Springer, Berlin 2017, ISBN 978-3-662-55667-2, S. 119ff.
Weblinks
- Orbitale Raketenstartplätze in der Encyclopedia Astronautica (englisch)
- Karte aller orbitalen und suborbitalen Raketenstartplätze (PDF, 6 MB), September 2019, Bryce space and technology (englisch)
Einzelnachweise
- Ulf von Rauchhaupt: Weißt du, wo die Sternlein stehen? In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 29. Dezember 2013, S. 61.
- The World Bank: Country Data Report for French Guiana, 1996–2014. (PDF; 860 kB) 14. Juli 2016, abgerufen am 25. Juni 2017 (englisch).
- Launching Satellites, EUMETSAT, abgerufen am 29. Dezember 2013.
- Jeff Foust: Lockheed Martin, Orbex to launch from new British spaceport. In: Spacenews. 16. Juli 2018, abgerufen am 16. Februar 2019.
- AZµL – Azores Micro Launcher Deimos and Orbex. (PDF) 6. November 2018, abgerufen am 16. Februar 2019.
- Isar Aerospace prepares the launch of its rockets from space centre CSG. Space Daily, 16. Oktober 2020.
- Rocket Factory Augsburg signs agreement with Andøya Space for maiden flight. OHB-Pressemeldung vom 28. September 2020.
- Australia one step closer to a sovereign launch capability. The Strategist, 20. Oktober 2020.
- 在浙江宁波的象山县建设国际商业航天发射中心,有哪些区位优势?. sohu.com, 8. April 2021.
- The Great British race to space. The Guardian, 26. Dezember 2021, abgerufen am 28. Dezember 2021 (englisch).
- Forres firm stays loyal to Sutherland spaceport after aerospace giant switches support to Shetland. The Press and Herals, 23. Oktober 2020.
- Sweden ups investment to bring orbital launches to Esrange by 2022. Spacenews, 21. Oktober 2020.
- Kiruna in der Encyclopedia Astronautica (englisch)
- Upcoming ELaNa CubeSat Launches. NASA, abgerufen am 30. November 2020.