Tanach
Tanach [taˈnaχ] oder Tenach [təˈnaχ] (hebräisch תנ״ך TNK) ist eine von mehreren Bezeichnungen für die Hebräische Bibel, die Sammlung Heiliger Schriften des Judentums. Der Tanach besteht aus den Teilen Tora (Weisung), Nevi’im (Propheten) und Ketuvim (Schriften). TNK ist das Akronym der Anfangsbuchstaben dieser Teile (תנ״ך).
Die 24 Bücher des Tanach (TaNaKh) |
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Tora (Weisung, Lehre) |
Nevi’im (Propheten) |
Ketuvim (Schriften) |
Eingerückt: die fünf Megillot. Reihenfolge nach BHS; kann sich je nach Ausgabe unterscheiden. |
Der Tanach enthält insgesamt 24 in hebräischer Sprache verfasste Bücher; zwei Bücher davon enthalten auch längere aramäische Textpassagen.
Das Christentum hat alle Bücher des Tanach übernommen und – in etwas anderer Anordnung – als Altes Testament kanonisiert (Bibelkanon).
Namen
„TNK“ ist ein Akronym, das aus den hebräischen Anfangsbuchstaben der Namen der drei Hauptteile zusammengesetzt ist. Die Konsonanten Taw ת, Nun נ und Kaph כ (Schlussform: ך) werden vokalisiert zu Tanakh oder Tenakh ([taˈnaχ] oder [təˈnaχ]); der Schlusskonsonant wird als Reibelaut [χ][1] ausgesprochen.
Der Tanach wird im Gottesdienst des Judentums auch als Miqra מִקְרָא (‚Lesung‘) oder als schriftliche Tora (nach seinem für das Judentum wichtigsten ersten Hauptteil und in Abgrenzung zur mündlichen Tora in Mischna und Talmud) bezeichnet.
Entstehung
Der Tanach entstand als Sammlung verschiedener religiöser und profaner jüdischer Schriften in einem komplexen Prozess von ca. 1200 Jahren innerhalb der Geschichte Israels. Seine ältesten Bestandteile sind mündlich überlieferte Sagenkränze, Ätiologien und Herkunftssagen einzelner Sippen und Stämme. Diese wuchsen allmählich zusammen, wurden später aufgezeichnet, in eine theologisch konzipierte Heilsgeschichte integriert und erhielten so gesamtisraelitische Bedeutung.
Textgeschichte
Die hebräische Schrift eignet sich nicht für Tontafeln, die sonst im Alten Orient in Keilschrift beschrieben wurden. Auch mit sakralen Texten beschriebene Tonscherben (Ostraka) wurden in Israel bisher nicht aufgefunden. Das übliche Schreibmaterial waren handgefertigte Papyrus-, vereinzelt auch Leder-Rollen, die mit Tinte aus rußigem Olivenöl oder Eisengallustinte beschrieben wurden.
Der älteste erhaltene Text des Tanach sind der Aaronitische Segen und ein weiterer Segen in den Silberrollen von Ketef Hinnom aus dem 7. Jahrhundert vor Christus.
Die ältesten bekannten zusammenhängenden Bibeltexte sind die Schriftrollen vom Toten Meer, die etwa 250 v. bis 100 n. Chr. entstanden. Sie umfassen die meisten Bücher der ersten beiden Hauptteile. Zu den ältesten sicher datierbaren Fragmenten gehören 4Q52 (4QSamb) und 4Q17 (4QExod-Lev).
Die fast 7,5 Meter lange Jesajarolle enthält das vollständige Jesajabuch (66 Kapitel) und weicht nur minimal von den 1100 Jahre jüngeren masoretischen Bibelhandschriften ab. Die Rolle belegt somit eine enorme Disziplin und Genauigkeit der generationenlangen Abschriften von Bibeltexten.
Seit dem 1. Jahrhundert löste Pergament allmählich Papyrus als Schreibmaterial ab: Damit konnten mehrere umfangreiche Schriftrollen zu einem „Kodex“ gebündelt werden. Der älteste erhaltene hebräische Bibelkodex ist der Codex Cairensis aus dem Jahr 895, eine Abschrift des Zwölfprophetenbuchs.
Der 1616 wiederentdeckte samaritanische Pentateuch weicht in etwa 6000 Fällen meist nur orthografisch vom bis dahin bekannten masoretischen Text ab, stimmt aber in einem Drittel dieser Fälle mit der Septuaginta überein. Ab 1896 kamen Funde aus einer Geniza (versiegelte Kammer zur Entsorgung nicht mehr verwendeter Texte) in Kairo hinzu. Dadurch weiß man heute, dass die bis 1945 bekannte Textversion überwiegend die palästinische Tradition überliefert hat, die vor dem Jahr 135 nicht die einzige war.
Der Konsonantentext vor allem der Tora wurde um 135 festgelegt, nach der Niederlage im jüdischen Bar-Kochba-Aufstand gegen das Römische Reich. Dass er dabei alter vorchristlicher, jedoch noch nicht kanonisierter Überlieferung folgte, ist durch die Schriftfunde in Qumran und den Papyrus Nash (um 170 v. Chr. entstanden) erwiesen. Bis dahin gab es mehrere Versionen der Bibeltexte nebeneinander: die griechische Septuaginta, den samaritanischen Pentateuch und hebräisch-aramäische Vorformen des Tanach mit leichten Abweichungen, auf die innerbiblische Paralleltexte hinweisen (zum Beispiel Psalm 18 und 2. Samuel 22 oder Jesaja 2,2–4 und Micha 4,1–3).
Nach Festlegung des Konsonantentextes begann die 1000-jährige philologische Arbeit (מסורה Masora) jüdischer Schriftgelehrter, der Masoreten, in Palästina, hier besonders in Tiberias, und Babylonien, die mit dem Sammeln, Kopieren und Redigieren von biblischen Handschriften befasst waren. Zu ihren Aufgaben gehörten die Punktierung des festgelegten Konsonantentextes durch Vokalzeichen, Akzente, Satzzeichen und Verseinteilungen. Ferner mussten nach ihren strengen Vorschriften ältere, von der als gültig vereinbarten Textversion abweichende Abschriften vernichtet werden. Bis etwa zum Jahr 1000 vereinheitlichten sie den Text des Tanach. Der älteste vollständig erhaltene Textzeuge ist der Codex Leningradensis (Handschrift B19) aus dem Jahr 1008. Dieser Kodex wurde der 3. Auflage der Biblia Hebraica (1937) zugrunde gelegt und ersetzte die Rabbinerbibel des Jacob Ben Chayjim (Mikraot Gedolot), deren hebräisch-aramäischer Masoretentext im Zeitalter von Renaissance und Reformation von Christen studiert und dann zur Grundlage ihrer Bibelübersetzungen, besonders der Lutherbibel (1534), wurde. Auch die Biblia Hebraica Stuttgartensia legt den Codex Leningradensis zugrunde.
Mündliche und schriftliche Quellen
Die ältesten Überlieferungen des Tanach sind in der Tora, auch „Pentateuch“ (von griechisch pente = fünf, teuchos = Buchrolle) genannt, gesammelt. Diese erzählt von der Schöpfung der Welt und Urgeschichte der Menschheit bis zur „Erwählung“, Befreiung und Einwanderung Israels in Kanaan. Diese Heilsgeschichte wurde in Jahrhunderten aus vielen verschiedenen Stoffen, darunter Sagenkränzen, Ortsätiologien, Stammesüberlieferungen und Gesetzeskorpora, komponiert. Die Einzelquellen und -traditionen wurden wohl schon in der Königszeit (ab 1000 v. Chr.), besonders aber der exilischen Zeit (587 v. Chr.) literarisch zu größeren Einheiten verbunden:
- den „Erzväter“-Erzählungen (1 Mose 12–47),
- der Geschichte von Israels Auszug aus Ägypten, seiner Wüstenwanderung und Gesetzesoffenbarung am Sinai (2. Buch Mose),
- der Besiedlung, Eroberung und Verteidigung („Landnahme“) des verheißenen Landes (Teile des 4. Buchs Moses sowie die Bücher Josua und Richter),
- den Urgeschichten (1 Mose 1–11),
- Gesetzessammlungen (Teile des 2. und 4. Buch Moses sowie das gesamte 3. und 5. Buch Moses).
Hinzu kamen seit der Königszeit Überlieferungen über die politische Geschichte Israels, die im und nach dem Exil zu größeren Einheiten wie dem „Deuteronomischen Geschichtswerk“ verbunden wurden: Dazu gehören das Buch Josua, das Buch der Richter, das Buch Samuel und das 1. Buch der Könige und 2. Buch der Könige als ein Buch.
Seit dem 9. Jahrhundert v. Chr. wurden außerdem prophetische Traditionen gesammelt und später entweder in die Geschichtswerke über die Königszeit integriert (Samuel, Nathan, Elija, Elischa) oder zu eigenen prophetischen Einzelbüchern zusammengestellt (von Jesaja bis Maleachi).
Seit der Regierungszeit Salomos im 10. Jahrhundert v. Chr., besonders aber in exilisch-nachexilischer Zeit ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. entstanden liturgische, poetische und weisheitliche Schriften:
- Gebets-Poesie wie die Psalmen, Spruchweisheit wie die Sprichwörter oder die Liebesgedichte des Hohenliedes,
- reflexive Weisheitsliteratur wie die Bücher Kohelet und Hiob.
Werden der drei Hauptteile
Die Tora entstand seit der Staatsbildung in Israel und lag schon in vorexilischer Zeit in Teilen als schriftliches Gesetzbuch und Grundlage des Jerusalemer Tempelkults vor. Sie wurde bis 250 v. Chr. endgültig fertiggestellt und dann ins Griechische übersetzt und bildete so die Grundlage für die Septuaginta.
Seit etwa 400 v. Chr. wird die Tora in fünf Bücher eingeteilt. Dies hing mit theologischen Gründen und dem Umfang von zusammengerollten Pergamentschriften zusammen. Darum wird die Tora auf Hebräisch auch Chumasch [חומש] („die Fünf“) und auf Griechisch auch Pentateuch („Fünf-Schriftrollen-Behälter“) genannt.
Die Schriftbücher der Propheten und das Zwölfprophetenbuch lagen großenteils bis 200 v. Chr. vor. Im um 190 v. Chr. entstandenen Buch Jesus Sirach wird erstmals eine dreiteilige Sammlung heiliger Schriften vorausgesetzt. Damals war nur noch der dritte Teil unabgeschlossen.
Um 90 teilte Flavius Josephus den Tanach gemäß der Buchstabenzahl des hebräischen Alphabets in 22 einzelne Bücher[2] (griech. biblia) ein. Dabei zählte er die Bücher Samuel, Könige, Chronik, Esra/Nehemia, das Zwölfprophetenbuch, Richter/Rut und Jeremia/Klagelieder als je ein Buch. Das 4. Esrabuch dagegen teilte den Tanach in 24 Bücher ein, indem es Richter, Rut, Jeremia und Klagelieder einzeln zählte. Es erreichte so eine Analogie zu den Zwölf Stämmen Israels und dem in zwölf Monate geteilten Jahreszyklus.
Viele der zu den „Schriften“ gezählten Bücher entstanden nach der Rückkehr eines Teils der exilierten Juden seit 539 vor Christus (Esra, Nehemia, Ester, Rut). In der nachexilischen Zeit wurde mindestens die Tora zur „Heiligen Schrift“ des Judentums; welche Propheten und Schriften dazu gehören sollten, blieb unter den verschiedenen Richtungen des Judentums umstritten. Auch die Abfolge der Bücher im Propheten- und Schriftenteil und die Aufnahme und Zuordnung weiterer Bücher zum Schriftenteil blieben lange umstritten. Umfang und Einteilung des Tanach wurden im Judentum gegen 200 n. Chr. endgültig festgelegt. Von der seit der Makkabäerzeit entstandenen apokalyptischen Literatur wurde nur das um 165 v. Chr. entstandene Buch Daniel in den Kanon aufgenommen, aber den Schriften, nicht den Propheten zugeordnet.[3]
Aufbau
Die drei Hauptteile des Tanach (Tora, Nevi’im und Ketuvim) sind in der Reihenfolge ihrer Kanonisierung angeordnet. Ihre Rangfolge spiegelt nach orthodox-jüdischem Glauben einen abnehmenden Grad an Inspiration wider: Die Tora beruht demnach auf direkter Zwiesprache Moses mit Gott, die Nevi’im beruhen auf gottgesandtem Wortempfang, Träumen und Visionen, und die Ketuvim beruhen auf indirekter Beeinflussung der menschlichen Autoren durch den Ruach HaQodesh, wörtlich „Atem der Heiligkeit“, auch als Ruach JHWH „Atem Adonais“ bezeichnet. In dieses abgestufte Ordnungsschema wurden weitere biblische Bücher nach der angenommenen oder tatsächlichen Entstehungszeit und aus theologischen Gesichtspunkten eingeordnet.
Tora
Die Tora (die fünf Bücher Mose, wissenschaftlich als Pentateuch bezeichnet) enthält JHWHs bleibend gültige Erwählung des Gottesvolks und Offenbarung seiner Rechtsordnung, auf die die Schöpfung der Welt von Anfang an zielt: Darum ist dieser erste zugleich der theologisch wichtigste Hauptteil des Tanach, auf den die beiden später entstandenen Teile bezogen bleiben.
Nevi’im
Der hebräische Titel Nevi’im oder Nebiim (hebräisch נְבִיאִים, Propheten) bezeichnet die Prophetenbücher des Tanach und verbindet ihre beiden Teile. Die sogenannten Vorderen Propheten (hebräisch נְבִיאִים רִאשׁוֹנִים Neviim Rischonim) enthalten die Aufzeichnungen der Geschichte Israels, die heute in der Wissenschaft meist zum deuteronomistischen Geschichtswerk gerechnet werden. Zu den Hinteren Propheten (hebräisch נְבִיאִים אֲחָרוֹנִים Neviim Acharonim) gehören die Bücher der klassischen Prophetie im Tanach. Diese deuten die Geschichte Israels von vornherein nicht als bloße Erinnerung an Vergangenes, sondern als Verheißung. Damit erscheinen die vorderen Propheten, deren Verkündigung nicht in eigene Bücher gefasst wurde, als legitime Nachfolger des Toraempfängers und Propheten Mose (5 Mose 18,18; 34,10) und als Wegbereiter der Schriftprophetie, deren Theologie das Geschichtswerk entscheidend beeinflusste. So stellen Samuel, Natan, Ahija von Schilo, der Gottesmann aus Juda, Micha ben Jimla, Elija, Elischa und die Prophetin Hulda in den Königsbüchern immer wieder die Weichen für die Zukunft der Königreiche Israel und Juda, indem sie oft an den in der Tora geoffenbarten Gotteswillen erinnern und ihr Eingreifen damit begründen.
Die vorderen Propheten umfassen die vier Bücher Jehoschua, Schoftim, Schemuel und Melachim. Die Bücher Schemuel und Melachim wurden wegen ihrer Länge in je zwei Schriftrollen geteilt, die Rollen Schemuel A und B bzw. Melachim A und B. Sie gelten jedoch jeweils als ein Buch. Sie erzählen insgesamt die Geschichte des Volkes Israel seit dem Tod des Mose bis zum babylonischen Exil. Die hinteren Propheten sind vor allem Sammlungen von Prophetensprüchen, die erzählenden Teile treten demgegenüber zurück. Auch sie umfassen vier Teile, nämlich Jeschajahu, Jirmejahu, Jechezkel und tre asar, in dem die Bücher der zwölf kleinen Schriftpropheten vereint sind.
Ketuvim
Die Ketuvim (auch Ketubim, Ketuwim, hebräisch כְּתוּבִים – die Schriften) bilden den dritten Hauptteil des Tanach. Sie werden auch als Hagiographen (altgriechisch ἁγιόγραφα Hagiographa, deutsch ‚Heilige Schriften‘) bezeichnet.
Zu den Ketuvim zählen elf Bücher:
- die drei Sifre Emet (hebräisch ספרי אמ״ת ‚'emet-Bücher bzw. Bücher der Wahrheit‘, אמ”ת ist ein Merkwort aus den Anfangsbuchstaben der drei Bücher): Die poetischen Bücher Psalmen (תהלים Tehilim), Ijob (איוב ’Iyov) und Sprüche (משלי Mischle). Sie weisen ein eigenes Akzentsystem auf, das sich von dem der übrigen 21 Bücher des Tanach unterscheidet.
- die fünf Megillot Rut (רות), Hoheslied (שיר השירים Schir Haschirim), Kohelet (קהלת), die Klagelieder (איכה Ekha) und das Buch Ester (אסתר). Je eins davon wird bei einem der jüdischen Feste Schawuot (Ruth), Pessach (Hoheslied), Sukkot (Kohelet), Tischa beAv (Klagelieder) und Purim (Ester) gelesen.
- die übrigen Bücher Daniel (דניאל), Esra–Nehemia (עזרא ונחמיה, ein Buch) sowie die Chronik (דברי הימים Divre Hajamim, ein Buch).
Es sind vor allem Bücher, die die menschliche Antwort auf Gottes Offenbarung (Teil 1) und seine Selbstauslegung in der prophetisch gelenkten Geschichte Israels (Teil 2) behandeln und abbilden. Deshalb enthält dieser dritte Hauptteil des Tanach sowohl vorexilisch entstandene Teile wie die gesammelten Psalmgebete als auch spät und teilweise auf Aramäisch abgefasste Bücher (Esra und das apokalyptische Buch Daniel). Das zweigeteilte Chronikbuch, das dieselbe Zeit wie die Königsbücher behandelt, aber über das Ende des ersten Jerusalemer Tempels hin fortsetzt, wurde an das Ende des dritten Hauptteils gestellt. So kann das Kyros-Edikt zur Freilassung der exilierten Juden mit der Erlaubnis zum Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels um 539 v. Chr. als programmatischer Abschluss des Tanach verstanden werden: Die Heilsgeschichte JHWHs zielt auf ein erneuertes Leben seines erwählten Volkes im gelobten Land und die Wiederherstellung seines Heiligtums, auf Israels Frieden (Shalom) mit seinen Nachbarn und Gott.[4] Es gibt allerdings keine normierte Reihenfolge in den Handschriften und den gedruckten Ausgaben. So steht die Chronik im Codex von Aleppo sowie im Codex L nicht am Ende, sondern am Anfang der Ketuvim, vor den Psalmen. Die Ketuvim waren spätestens um 100 n. Chr. im Judentum allgemein als kanonisch anerkannt, wobei die meisten dieser Bücher bereits um 190 v. Chr. als heilige Schriften galten.
Inhalte
Der Tanach erzählt die Geschichte der Schöpfung und des Volkes Israel unter JHWHs gnädiger Führung über einen Zeitraum von etwa 1300 Jahren. Er enthält unterschiedliche Traditionen der einzelnen Stämme von Halbnomaden, die sich um den Glauben an den Gott JHWH im Raum des heutigen Palästina zu einem Volk vereinten. Dazu gehören Ortsätiologien, Kultsagen, Erinnerungen an Siege und Niederlagen aller Art und Gebotssammlungen. Sie wurden von verschiedenen Autoren redaktionell zu einer Gesamtgeschichte Israels verbunden.
Ein Teil dieser Gebote spiegelt längst vergangene, bis ins Einzelne geregelte vorantike Lebensverhältnisse wider. Solche Gebote sind heute schwer verständlich und müssen vor dem Hintergrund der damaligen Lebensverhältnisse verstanden und für die heutige Zeit neu interpretiert werden.
Wesentliche Kernbestandteile der Tora sind jedoch in das kulturelle Erbe der Neuzeit eingegangen: Dazu gehören vor allem der Dekalog und die Menschenwürde jedes Einzelnen. Sie wird im Tanach mit der Befreiung Israels aus der in der Antike allgemein üblichen Sklaverei, die als Erwählung eines Volkes zum Segen für alle Völker verstanden wird, und der Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet.
Einige Schichten des Tanach spiegeln andere als die jahwistische Tradition wider. Bei der Einwanderung der Halbnomadenstämme in das Kulturland Kanaan brachte jeder Stamm seinen Sippengott mit. Diese wurden erst miteinander und dann mit der Gotteserfahrung der Hebräer aus dem Raum Ägyptens und der Sinai-Halbinsel verschmolzen (2 Mose 3), zum Teil aber auch zusammen mit Gottheiten der Kanaanäer synkretisch verehrt. Während etwa die Schöpfergottheit des kanaanäischen Pantheons El problemlos mit JHWH identifiziert werden konnte (Gen 14,17 f.), wurden Fruchtbarkeits- und Astralgötter wie Baal, Astarte, Marduk u. a. als der eigenen Glaubensidentität fremd abgelehnt. Die einheitsstiftende Rolle des Monotheismus des ersten Gebots setzte sich erst allmählich in Israel durch.
Verwendung im Gottesdienst
Der Tanach wird im jüdischen Gottesdienst am Schabbat in der Synagoge regelmäßig für Schriftlesungen verwendet. Aus der Tora wird fortlaufend in Wochenabschnitten (Parascha) vorgelesen, so dass im Laufe eines Jahres die gesamte Tora vorgetragen wird. Zu jedem Tora-Wochenabschnitt gehört ein ausgewählter kürzerer Prophetentext (Haftara), der jeweils anschließend vorgetragen wird. Aus dem dritten Teil, den Schriften, werden besonders die Psalmen liturgisch verwendet sowie die fünf Festrollen zu den fünf Festen Pessach (Hoheslied), Schawuot (Buch Rut), 9. Av (Klagelieder), Sukkot (Kohelet), Purim (Buch Ester).
Rezeption im Christentum
Im Christentum wurden alle Bücher des Tanach zusammen mit einigen weiteren der Septuaginta seit etwa 190 als Altes Testament (AT) dem Neuen Testament (NT) gegenübergestellt und um 400 endgültig kanonisiert. Der Tanach blieb somit vollgültiger Teil des Bibelkanons und damit normatives Wort Gottes. Damit lehnten die Kirchenväter die Trennung des Schöpfergottes der Bibel von Jesus Christus, dem Erlöser, die Marcion um 150 vertreten hatte, als Häresie ab.
Die Bücher des Tanach wurden in ihrem gesamten Textbestand übernommen, aber anders angeordnet und anders in drei Hauptteile eingeteilt: Der erste Teil umfasst die „Geschichtsbücher“ (1. Mose bis Buch Esther), der zweite Teil „Dichtung“ bzw. „Weisheit“ (Hiob, Psalmen, Sprüche Salomos, Prediger, Hoheslied) und der dritte Teil umfasst die „Propheten“.[5] Zuordnung und Reihenfolge der übernommenen Schriften unterscheiden sich je nach christlicher Konfession. Viele evangelische AT enthalten ausschließlich die Schriften des Tanach. Manche andere Schriften wurden als Apokryphen hinzugefügt, wobei die auf der Lutherbibel beruhenden Bibelausgaben mit am weitesten gingen. Die römisch-katholische Kirche zählt zu den Geschichtsbüchern noch die Bücher Tobit und Judit, die nicht Teil des Tanach sind.
Die Schriftpropheten wurden von den Geschichtsbüchern unterschieden und ans Ende gerückt. Darin zeigt sich bereits, dass Christen die jüdische Geschichte eher als abgeschlossene Vergangenheit sahen und die Verheißungen auf Jesus Christus bezogen, während für Juden die ganze fortlaufende Geschichte Israels eine prophetische Dimension behielt: Geschichtserinnerung war für sie zugleich aktuelle Verheißung.
Die Tora eröffnet die Bibel in beiden Religionen. Im AT bildet sie aber keinen eigenen Teil, sondern steht mit den Büchern Josua, Richter, Samuel, Könige, Ruth, Chronik, Esra, Nehemia und Ester in einer Reihe. Damit wird der in der Tora offenbarte Wille Gottes in gewisser Weise zu einer Erinnerung an vergangene Geschichte. Auch die übrigen Schriften (Ketuvim) sind anders zugeordnet. In der Reihenfolge der sogenannten „hinteren“ Propheten (Nevi’im) stimmen beide Versionen überein.
Im Christentum werden die fünf Bücher Mose hauptsächlich als geschichtliche Zeugnisse des Volkes Israel gelesen und weniger als aktuelle Lehre oder Unterweisung, abgesehen von den Zehn Geboten, frühen Verheißungen an die Erzväter und messianischen Weissagungen der Propheten Israels. Die Kirchenväter setzten die Aufnahme des AT in den christlichen Bibelkanon durch, deuteten aber viele prophetische Verheißungen, Psalmgebete und Schöpfungserzählungen allegorisch oder typologisch als Hinweise auf das Kommen Jesu Christi.
Die Bezeichnung „Altes Testament“ geht auf die Rede vom „Alten“ und „Neuen“ Bund im Hebräerbrief zurück. Sie wurde in der Vergangenheit oft als Ablösung des Bundes Gottes mit Israel durch das neue Gottesvolk, die Kirche, aufgefasst, so dass „alt“ als „veraltet“ oder „überholt“ gedeutet wurde. Damit war die „theologische Enteignung“ des Judentums in der Substitutionstheologie verbunden. Um diese traditionelle Abwertung zu vermeiden, nennen manche Christen, Theologen und Kirchen den Tanach bzw. das AT heute Erstes Testament oder hebräische Bibel. Damit grenzen sie sich vom christlichen Antijudaismus ab und betonen die gemeinsame Grundlage beider Religionen. Denn das NT verkündet den „neuen Bund“ als endgültige Bekräftigung des ersten Bundes Gottes mit seinem Volk Israel (Röm 11,2), der wie im Tanach verheißen alle übrigen Völker einschließe (z. B. Apg 2,16; Joh 4). An der lebendigen Beziehung des einen Gottes zu seinem zuerst und bleibend erwählten Volk halten bekennende Juden und Christen nach der Erfahrung des Holocaust gemeinsam fest.
Verfügbare Ausgaben der hebräischen Bibel
- Biblia Hebraica Stuttgartensia. diverse Ausgaben, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart, ISBN 978-3-438-05218-6.
- Biblia Hebraica Quinta. ist noch im Erscheinen. Teillieferungen: kartoniert; 1. Megilloth (Fasc. 18, 2004), ISBN 978-3-438-05278-0; 2. Ezra and Nehemiah (Fasc. 20, 2006), ISBN 978-3-438-05280-3; 3. Deuteronomy (Fasc. 5, 2007), ISBN 978-3-438-05265-0; 4. Proverbs (Fasc. 17, 2008), ISBN 978-3-438-05277-3; 5. The twelve minor Prophets (Fasc. 13, 2010), ISBN 978-3-438-05273-5; 6. Judges (Fasc. 7, 2011), ISBN 978-3-438-05267-4, 7. Genesis (Fasc. 1, 2015), ISBN 978-3-438-05261-2
Literatur
Jüdische Übersetzungen des Tanach ins Deutsche
Vollständige Übersetzungen:
- Naftali Herz Tur-Sinai: Die Heilige Schrift. (1935–1937) 1. Auflage, Brockhaus, Witten 2013, ISBN 3-417-25180-X.
- Martin Buber, Franz Rosenzweig: Die Schrift Verdeutscht – mit Bildern von Marc Chagall. (1961) Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2007, ISBN 978-3-579-06448-2.
- Leopold Zunz: Die Heilige Schrift: Tanach. Torah – Newiim – Ketuwim. Die vierundzwanzig Bücher der Heiligen Schrift. Hebräisch-Deutsch. Nach dem Masoretischen Text. Goldschmidt, Basel 1997, ISBN 978-3-85705-042-8.
- Ludwig Philippson: Die Philippson-Bibel: Tora – Propheten – Schriften. Hrsg.: Walter Homolka, Hanna Liss, Rüdiger Liwak. Herder, Freiburg Basel Wien 2021, ISBN 978-3-451-39036-4.
Teilübersetzungen:
- Annette M. Böckler (Hrsg.): Die Tora. Die fünf Bücher Mose in der Übersetzung von Moses Mendelssohn. Mit den Prophetenlesungen im Anhang. (1783) Jüdische Verlagsanstalt, Berlin 2004, ISBN 978-3-934658-10-3.
- Samson Raphael Hirsch: Die fünf Bücher der Tora. Pentateuch mit Haftarot übersetzt und erklärt, neu gesetzt. Der klassische Kommentar des deutschen orthodoxen Judentums, Deutsch, Hebräisch. (1867–1873) Fünf Bände, Morascha, Basel/ Zürich 2008–2011, ISBN 978-3-033-02899-9. Online.
- Samson Raphael Hirsch: Sefer Tehilim – Die Psalmen. Ein klassischer Psalmenkommentar, übersetzt und erläutert. (1883) Morascha, Basel/ Zürich 1995.
Einführung
- Hanna Liss, Annette M. Böckler, Bruno Landthaler: Tanach. Lehrbuch der jüdischen Bibel. (2005) 3. Auflage, Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2011, ISBN 978-3-8253-5904-1.
Christliche Rezeption
- Erich Zenger: Das Erste Testament. Die jüdische Bibel und die Christen. Patmos, Düsseldorf 2004, ISBN 978-3-491-69416-3.
Weblinks
- Wöchentliche Torah-Lesung
- bible-researcher.com: Hebrew Old Testament. Links updated May 2009. Texts Online
- Biblia Hebraica Stuttgartensia, hebräischer Text, Seite der deutschen Bibelgesellschaft
- iTanakh: Onlinetexte zur Erforschung der hebräischen Bibel, Pepperdine University, Malibu, Kalifornien (Memento vom 16. März 2015 im Internet Archive) (PDF; englisch)
- The Judaica Press Complete Tanach with Rashi (englisch, mit zuschaltbaren Kommentaren von Raschi)
- Eine jüdische Bibel (deutsche Übertragung der Tora in leichtverständliches Deutsch)
Einzelnachweise
- Auch „ach-Laut“ genannt, weil er in der Aussprache des deutschen Wortes „ach“ vorkommt.
- Flavius Josephus, Contra Apionem I, 8
- Erich Zenger: Einleitung in das Alte Testament (= Kohlhammer Studienbücher Theologie. Band 1, 1). 6., durchgesehene Auflage, Kohlhammer, Stuttgart 2006, ISBN 3-170-19526-3, S. 23.
- Erich Zenger: Einleitung in das Alte Testament. Kohlhammer, Stuttgart 1995, S. 21–26.
- Adolf M. Ritter: Zur Kanonbildung in der Alten Kirche, in: Charisma und Caritas. Aufsätze zur Alten Kirche, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1997, ISBN 3-525-58160-2, S. 273 ff.