Saul
Laut der Bibel war Saul der erste König der Israeliten, am Ende der Richterzeit.[1]
Vermuteter historischer Hintergrund
Es gibt keine außerbiblischen Zeugnisse für die Existenz dieses Stammesfürsten oder Königs. Die zeitlich genaue Fixierung seiner Regierungszeit ist schwierig und beruht auf Interpretation der biblischen Texte.[2] Wenn seine Herrschaft datiert wird, so üblicherweise in die frühe Eisenzeit in Palästina (Eisenzeit I), um etwa 1000 v. Chr. Die Richterzeit wird entsprechend um ca. 1200–1000 v. Chr. datiert. Während die jüdische Tradition symbolisch Regierungszeiten von jeweils 40 Jahren für Saul, David und Salomon annimmt, vermuteten historisch-kritische Leser der Bibel eine kurze Regierungszeit Sauls von nur wenigen Jahren.[3]
Das erstarkende Stammeskönigtum eines israelitischen Königs wie Saul und seiner Söhne im Norden könnte die Handelswege von Ägyptern und Philisterstädten der Ebene und des Küstengebietes bedroht haben, so dass es zu anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen kam, die für Saul nicht zu gewinnen waren und tödlich endeten. Die Grenzen eines solchen erstarkten Stammeskönigtums könnten den biblischen Angaben der Gebiete von „Gilead, Ascher, Jesreel, Efraim und Benjamin“ durchaus entsprochen haben. Die Auswirkungen solcher bedrohlichen Vorstöße aus dem israelitischen Hochland in die Jesreelebene im Norden und das Tal Elah im Süden können auch in archäologischen Funden interpretiert werden.[4]
Die biblischen Episoden um David und Saul, die vermutlich an alte Heldensagen anknüpfen, werden von Kritikern oft als pro-davidische Propaganda aus einer Zeit gewertet, als David bereits das Haus Sauls bei den Nordstämmen beerbt hatte,[5] oder als Umdeutungen aus noch späterer Zeit, als das deuteronomistische Geschichtswerk entstand.
Etymologie
Der Name Saul (hebräisch שָׁאוּל Šāʔûl oder Scha’ul) leitet sich von der Verbwurzel שׁאל š’l ab, welche „fragen / bitten“ bedeutet. Der Name ist also ein Partizip Passiv und heißt übersetzt „der Erbetene“. Dies ist ein Dankname für die Geburt eines Kindes. In der Septuaginta wird der Name als σαουλ sa-ul wiedergegeben, woher die deutsche Aussprache stammt.
Biblisches Zeugnis
Saul, der Sohn des Kisch aus Gibea im Gebiet des Stammes Benjamin, markiert laut biblischer Überlieferung mit seiner Herrschaft den Übergang von einem losen Zusammenschluss einzelner Stämme Israels zu einem fest gefügten Staat. Zwar trat er wie die charismatischen Richter vor ihm in einer kritischen Situation als politisch-militärischer Führer in Erscheinung, legte aber im Gegensatz zu ihnen sein Mandat anschließend nicht nieder.
Die biblischen Erzählungen zu Saul finden sich im 1. Buch Samuel (1 Sam 8–31 ). Danach schlug er die Ammoniter in einer offenen Feldschlacht und befreite damit die von ihnen belagerte Stadt Jabesch in Gilead. Dieses Gebiet soll zu seinem Stammesgebiet gehört haben, denn die Leute von Jabesch begruben später seinen Leichnam und die seiner Söhne „unter einem Tamariskenbaum“ (1 Sam 31,11–13 ). In der Siegesfreude wurde er anschließend auf der alten Kultstätte Gilgal durch das Volk erneut zum König gewählt. 1 Sam 8 enthält eine explizite Kritik am israelitischen Königtum, das mit Saul etabliert wurde.
Saul stand laut Bibel in ständigem Konflikt mit den Philistern (siehe auch Seevölker, neuägyptisch „Polosté“ oder „Pholosté“[7]), der starken Macht der Küstenstädte und der fruchtbaren Ebenen. Er konnte sich trotz zahlreicher Kämpfe nie entscheidend gegen diesen Gegner durchsetzen und vereinte vor allem die Stämme des nördlichen Berglandes (Ephraim), des Ostjordanlandes Gilead und zeitweise auch das Gebiet der großen Städte in der Jesreel-Ebene sowie des davidischen Stammesgebietes Benjamin und Juda.
Sauls Gefolgschaft sollen Stammengenossen vom Stamm Benjamin gewesen sein, in den übrigen Stämmen fand er gemäß der Interpretation des biblischen Zeugnisses nur bedingt Anerkennung. Er sicherte die Existenz Israels, indem er und seine Verbündeten im Osten die Ammoniter, die Amalekiter im Süden und die Philister in der westlichen Küstenebene zurückdrängte.[8] Als die Philister über den Norden des Berglandes einen Gegenangriff unternahmen, unterlag Saul und fiel 1 Sam 31 .
Er residierte laut den biblischen Texten in seinem Heimatort Gibea und begann mit der Schaffung staatlicher Strukturen, die aber erst von seinen Nachfolgern erfolgreich ausgebaut werden konnten. Unter anderem baute er ein kleines, stehendes Söldnerheer auf und ordnete die Vertreibung von Totenbeschwörern und Wahrsagern an. Im kultisch-religiösen Bereich kam es mehrfach zu Unstimmigkeiten mit dem Propheten Samuel, der ihn zunächst zum Nagid gesalbt hatte, ihn schließlich jedoch im Auftrag Gottes verwarf.
Saul wurde von seinem Sohn Jonatan unterstützt, und auch David, der Krieger aus dem südlichen Bergland, konnte bald die Anerkennung des Königs gewinnen und wurde sein Schwiegersohn. Allerdings neidete Saul seinem Schwiegersohn zunehmend dessen Erfolge und Beliebtheit. In seinen durch einen bösen Geist ausgelösten Verstimmungen glaubte er einerseits von Jonatan und David, andererseits von Samuel bedroht zu werden. Nach 1 Sam 16–26 trachtete er David wiederholt nach dem Leben. Dabei fiel er selbst zweimal in dessen Hand. Der spätere Thronfolger schonte jedoch das Leben Sauls.
Nach mehreren Scharmützeln und Kämpfen besiegten seine ständigen Widersacher, die Philister, das Heer Israels schließlich beim Gilboa-Gebirge. Dort stürzte sich der König in sein eigenes Schwert, um nicht lebend in die Hände der Feinde zu fallen. Die Philister hängten ihn und Jonatan an den starken Mauern Beth-Scheans auf (1 Sam 31,10 ). Sein Erbe trat sein Sohn Ischbaal an, der allerdings von Männern Davids (angeblich gegen dessen erklärten Willen) ermordet wurde.
Nach 1 Sam 28 suchte Saul, obwohl das Gesetz den Israeliten dies verbot, vor seiner letzten Schlacht die Hexe von Endor auf. Der aus dem Scheol gerufene Geist des bereits verstorbenen Propheten Samuel bestätigte nur die bereits erfolgte Verwerfung Sauls und kündigte seinen Tod in der bevorstehenden Schlacht an. Gefasst ging Saul schließlich in den Tod und zu Samuel in den Scheol.
Im Islam
Im Koran findet sich der Verweis auf den ersten König Israels in Sure 2:246 ff., wo sein Name jedoch in Tālūt / طالوت umgestaltet ist – wohl als Angleichung an den Namen seines Gegenspielers Dschālūt, oder als Anspielung auf den Wortstamm tāla / طال /‚groß sein‘ und damit auf seine auch im Koran gerühmte außergewöhnliche Körpergröße. In einer Episode um die Prüfung der israelitischen Truppen an einem Bach nimmt die koranische Darstellung vermutlich Anleihen an eine ähnlich lautende biblische Geschichte um Gideon (Ri 7,4–7 ).[9]
Musikalische Rezeption
- Heinrich Schütz: Saul, Saul, was verfolgst Du mich? Motette SWV 415.
- Henry Purcell: guilty night (Saul and the Witch of Endor) Z134.
- Georg Friedrich Händel: Saul. Oratorium HWV 53.
Literarische Rezeption
- Miklós Mészöly: Saulus. Budapest 1986
- deutsch von Barbara Frischmuth: Saul. München 1970.
- Botho Strauß: Saul. Rowohlt, Hamburg 2019, ISBN 978-3-498-00135-3.
Literatur
- Klaus-Peter Adam: Saul und David in der judäischen Geschichtsschreibung. Studien zu 1 Samuel 16 – 2 Samuel 5. Mohr Siebeck, Tübingen 2007, ISBN 978-3-16-148932-7 (= Forschungen zum Alten Testament, Bd. 51).
- Hannes Bezzel: Saul. Israels König in Tradition, Redaktion und früher Rezeption. Mohr Siebeck, Tübingen 2015, ISBN 978-3-16-153684-7.
- Walter Dietrich: Die Herrschaft Sauls und der Norden Israels. In: Cornelis G. den Hertog u. a. (Hrsg.): Saxa loquentur. Studien zur Archäologie Palästinas / Israels. Ugarit-Verlag, Münster 2003, S. 39–59, ISBN 3-934628-34-6.
- Diana Vikander Edelman: Saul (Person). In: Anchor Bible Dictionary (ABD). Band 5, Doubleday, New York / London 1992, ISBN 0-385-19363-7, S. 989–999.
- Israel Finkelstein, Neil A. Silberman: David und Salomo. C. H. Beck, München 2006, ISBN 3-406-54676-5.
- Meik Gerhards: Homer und die Bibel. Studien zur Interpretation der Ilias und ausgewählter alttestamentlicher Texte (= Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament. 144. Band) Neukirchener Verlagsgesellschaft, Neukirchen-Vluyn 2015, ISBN 978-3-7887-2962-2 (Print); ISBN 978-3-7887-2963-9 (PDF-eBook) Kapitel Saul als tragische Gestalt, S. 320–383.
- Georg Hentschel: Saul. Schuld, Reue und Tragik eines Gesalbten. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2003, ISBN 3-374-02044-5 (= Biblische Gestalten, Bd. 7).
- Otto Kaiser: Der historische und der biblische König Saul. In: Zeitschrift für die Alttestamentliche Wissenschaft. Bd. 122 (2011), S. 520–545 und 123 (2012), S. 1–14.
- Siegfried Kreuzer: Saul. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 8, Bautz, Herzberg 1994, ISBN 3-88309-053-0, Sp. 1423–1429.
- Heinrich Krauss, Max Küchler: Saul – der tragische König. Das erste Buch Samuel in literarischer Perspektive. Paulusverlag, Freiburg (Schweiz) 2010, ISBN 978-3-7228-0703-4 (= Erzählungen der Bibel, Bd. 4).
- Klaus-Dietrich Schunck: König Saul. Etappen seines Weges zum Aufbau eines israelitischen Staates. In: Biblische Zeitschrift. N.F. 36 (1992), S. 195–206.
- David Wagner: Geist und Tora. Studien zur göttlichen Legitimation und Delegitimation von Herrschaft im Alten Testament anhand der Erzählungen über König Saul. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2005, ISBN 3-374-02272-3 (= Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte, Bd. 15).
Weblinks
- Saul in En-Dor (Text von Burkhard Gutleben) (PDF; 872 kB)
- Siegfried Kreuzer: Saul. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff.
- Wilfried Haßfeld: Gottesbilder bei Menschen mit verdecktem, vulnerablem Narzissmus. 2011 ( auf cdn.website-editor.net) hier S. 5–7
Einzelnachweise
- Melanie Köhlmoos: Altes Testament. (= UTBBasics, = UTB 3460). A. Francke, Tübingen 2011, ISBN 978-3-8252-3460-7, S. 82–88.
- Vgl. Christian Frevel: Grundriss der Geschichte Israels. In: Erich Zenger u. a.: Einleitung in das Alte Testament. 7., durchges. u. erw. Aufl. Stuttgart 2008, S. 622.
- Hans-Joachim Kraus: Israel. Richter und charismatische Helden. In: Propyläen Weltgeschichte. Band 2. Propyläen Verlag, Berlin 1960, ISBN 3-549-05840-3, S. 258–262.
- Israel Finkelstein: The forgotten kingdom: the archaeology and history of Northern Israel. Atlanta, Georgia, ISBN 978-1-58983-911-3, S. 52–54.
- Eugen Drewermann (Das Königreich Gottes in unserer Seele. Predigten über die Bücher Samuel und Könige. München / Zürich 1999, S. 106) bezeichnet sie als „… die nachgereichten Darstellungskünste priesterlicher Hofschreiber“.
- Melanie Köhlmoos: Altes Testament (= UTBBasics. = UTB 3460). A. Francke, Tübingen 2011, ISBN 978-3-8252-3460-7, S. 82–88.
- Bader (2015) stellt die Frühzeit und das Alte Reich (etwa 3000–2200 v. Chr.) korrespondierend der Frühen Bronzezeit in den vorderasiatischen Kulturen gegenüber, das Mittlere Reich (etwa 2000–1650 v. Chr.) als Mittlere Bronzezeit und das Neue Reich (etwa 1550–1070 v. Chr.) als Späte Bronzezeit bezeichnen. Siehe auch Bettina Bader: Egypt and the Mediterranean in the Bronze Age: The Archaeological Evidence. In: Egyptian Archaeology. August 2015, DOI:10.1093/oxfordhb/9780199935413.013.35, S. 11.
- Annemarie Ohler: dtv-Atlas Bibel. 3., korr. Aufl. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 2006, ISBN 3-423-03326-6, S. 66.
- Reuven Firestone: Ṭālūt. In: Encyclopaedia of Islam. 2. Aufl. Band 10, 2000, S. 168 f.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Samuel (Richter) | König des vereinigten Israels 1012–1004 v. Chr. | David |