Französischer Adel
Der französische Adel ist – wie der deutsche – aus dem Lehnswesen des Mittelalters entstanden und war bis zur Revolution von 1789 in einen hohen und einen niederen Adel eingeteilt.
Geschichte
Der Hohe Adel (zu welchem auch Seitenlinien der herrschenden Kapetinger gehörten), führte jahrhundertelang einen blutigen Kampf gegen die Königsmacht, der zeitweise auch mit konfessionellen Gegensätzen zusammenhing und aus dem das siegreiche Königtum gestärkt hervorging.
17. bis 18. Jahrhundert
Im Verlauf des 17. Jahrhunderts gelang es den Bourbonen – als den letzten regierenden Kapetingern – und ihren Ministern Richelieu und Mazarin schließlich, durch Verbindung mit den protestantischen Mächten und durch antihabsburgische Politik, die Macht des Adels völlig zu brechen und ihn in einen Hofadel am glänzenden Hof von Versailles zu verwandeln. Die kostspielige Haushaltung und Garderobe bei Hofe, neben dem dort üblichen Kartenspiel um Geld, führte für viele Landedelleute zum moralischen und wirtschaftlichen Ruin. Der ältere Adel wurde auch durch die Einführung des Dienstadels (noblesse de robe) erheblich geschwächt. Das einzige Privileg, das diesem stark vermehrten Adel blieb, war die Steuerfreiheit, an der bis zur Revolution starr festgehalten wurde und die die Kluft zwischen dem Adel und dem Bürgertum erweiterte.
Im Ancien Régime wurden verhältnismäßig wenige Rangtitel verliehen; die Titel der großen Häuser gingen zumeist aufs Mittelalter zurück. Entscheidend für den Rang war das Alter der Familien. Dennoch führten viele der alten, eigentlich untitulierten Adelsfamilien Rangtitel, die sie sich bei Hofe selbst zugelegt hatten und die dort stillschweigend akzeptiert wurden. Oft wurden sie auf den Besitzungen dieser Familien auch in die Kirchenbücher eingetragen. Diese angemaßten, nie verliehenen Titel werden in Frankreich als titres de courtoisie (Höflichkeitstitel) geführt. Frankreich besaß keine Adelsmatrikel, was dazu führte, dass man in der Spätzeit der Bourbonenkönige einen umfangreichen Handel mit Bestätigungsurkunden trieb. Im deutschen Gotha sind diese Titel, etwa bei Einheiraten, nicht eintragungsfähig.
Französische Revolution
Mit dem Beginn der Französischen Revolution am 4. August 1789 wurden die Vorrechte des Adels von der Konstituante abgeschafft, der Adel behielt aber seine Titel. Bauern konnten bei ihren bisherigen Landherren ihr Land für eine Summe des 20-Fachen der bisherigen jährlichen Abgaben auslösen[1]. Am 26. August 1789 trat die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte in Kraft, aber erst am 19. Juni 1790 wurden die Erbrechte der Adelstitel abgeschafft. Während der Terrorherrschaft wurden mehrere Tausend Adlige getötet, durch die Guillotine, durch Lynchmorde ohne Prozess oder starben in Gefangenschaft; Abertausende emigrierten.[2]
Erstes Kaiserreich
Napoleon Bonaparte schuf einen neuen Adel, Noblesse impériale, aus Leuten, die ihm dienten (mit den Rangstufen Herzog, Graf, Baron und Ritter). Der Titel eines Marquis wurde im Kaiserreich Napoleons nicht verliehen, stattdessen verfügte der napoleonische Adel über ein genau reguliertes heraldisches System, das den Rang eines Wappeninhabers auch bildlich kenntlich machte.
Insgesamt verlieh Napoleon etwa 2200 Adelstitel, die auch nach seinem Sturz Bestand hatten. Von den von Napoleon in den Adelsstand erhobenen Familien existierten 1975 noch 239 Familien. Neben neuen Ernennungen nahm Napoleon auch einen Teil des alten Adels in sein System auf und verlieh ihm neue Titel und Wappen.
Restauration der Bourbonen
Die Bourbonenrestauration von 1814 erkannte den kaiserlichen Adel formell an und setzte den alten wieder in seine Titel ein, duldete aber stillschweigend, dass Angehörige des alten niederen Adels die Titel von Baronen, Grafen und Marquis annahmen, ohne sie freilich jemals zu bestätigen. Diese Selbstadelung ist ein Phänomen, das noch heute in Frankreich vorhanden ist (etwa 10.000 Familien waren 2004 „falscher Adel“).
Das Bürgerkönigtum des Louis Philippe restituierte 1830 bis 1848 das von den Bourbonen errichtete Oberhaus wieder und verlieh erbliche Titel.
Im Rahmen der konstitutionellen Verfassung erhielt der Adel durch die Chambre des Pairs, das Oberhaus des Parlamentes, ein politisches Mitspracherecht.
Nach der Ausrufung der Republik im Rahmen der Februarrevolution 1848 wurden in Rückbesinnung auf die Erklärung der Menschenrechte und den Grundsatz der Gleichheit die Adelsprivilegien und der Adel als Stand endgültig abgeschafft.
Zweites Kaiserreich
Das Zweite Kaiserreich unter Napoleon III. verlieh aber 1852 weitere Adelstitel, ohne aber den Adel als Stand wiedereinzusetzen.
Französische Republik
Nach der Ausrufung der Dritten Republik 1870 Patrice de MacMahon, selbst Angehöriger einer Familie der noblesse impériale erließ 1875 als Staatspräsident eine Verordnung, die die Verleihung von Adelstiteln beendete, aber die bestehenden Titel als Bestandteil des Namens anerkannte. Dennoch blieb in der Gesellschaft bis ins 20. Jahrhundert ein Bewusstsein für Standesunterschiede bestehen. Die Familien des Ancien Régime blickten mit Verachtung auf die Familien der Noblesse impériale herab. Marcel Prousts Romanfolge Auf der Suche nach der verlorenen Zeit schildert diese Rivalitäten noch um das Jahr 1900 sehr anschaulich. Im Laufe des 20. Jahrhunderts verloren sich diese weiter, es existieren aber bis heute Vereinigungen, die nur Familien mit Adelsprädikat offenstehen.
Die beiden vormals regierenden Dynastien, die Häuser Orléans und Bonaparte, waren von 1886 bis 1950 aus der Republik Frankreich verbannt. Dieses Gesetz hatten 1886 die radikalen Republikaner gegen die Monarchisten durchgesetzt, da eine Wiedereinführung der Monarchie, sei es unter dem Prätendenten Louis Philippe Albert d’Orléans, comte de Paris, sei es durch die Bonapartisten, von einer nur knappen Minderheit in der Nationalversammlung befürwortet wurde. Die Exilierung wurde erst 1950 auf Betreiben von Charles de Gaulle aufgehoben und Henri d’Orléans sowie Louis Napoléon mit ihren Familien die Rückkehr ermöglicht.
Französische Gerichte nach der Verfassung von 1958 haben entschieden, dass der Adelsbegriff mit der Gleichheit der Bürger nach der Erklärung der Menschenrechte von 1789 unvereinbar ist. Somit ist der Adel als Rechtsbegriff und Status in Frankreich offiziell abgeschafft. Dennoch werden Titel, die in den Monarchien erblich verliehen wurden, nach den ursprünglichen Erbregeln als Teile des Namens anerkannt,[3] können aber nicht durch Selbstannahme oder Gewohnheitsrecht erworben oder angeeignet werden.[4] Sie werden durch das französische Recht wie der Name geschützt, auch wenn sie keine Privilegien oder Vorzüge beinhalten.[5]
Situation heute
Die Aufsicht über die ehemaligen Adelstitel wird von einem Büro des französischen Justizministeriums ausgeübt, welches einen Titelträger zur Verwendung in offiziellen Dokumenten wie z. B. Geburtsurkunden ermächtigen kann.[6] Der französische Thronprätendent aus dem Hause Orléans verleiht bis heute innerhalb seiner Familie Herzogstitel, die von heutigen französischen Gerichten als reine Höflichkeitstitel bezeichnet, jedoch als solche auch verwendet werden[7].
Es existieren mehrere Organisationen, die Adel als Aufnahmekriterium voraussetzen und die sich eine gegenseitige Unterstützung, die Wahrung der Interessen des Adels und die Vergrößerung ihres Einflussbereichs zum Ziel gesetzt haben. In Frankreich ist insbesondere die ANF (Association d’entraide de la noblesse française) zu nennen. Auf europäischer Ebene ist der Adel beispielsweise durch die Association de la Noblesse Européenne vertreten.[8]
Titel des französischen Adels
Die Rangtitel des französischen Adels in der alten Monarchie entsprachen dem System im übrigen Europa: Herzog (Duc), Markgraf (Marquis), Graf (Comte), Vizegraf (Vicomte), Freiherr (Baron), Ritter (Chevalier) und einfacher Herr, Edelherr oder Gutsherr (Seigneur).
Überlebende Herzogsfamilien
Von der einzigen noch existierenden Linie der Kapetinger, dem Haus Bourbon, ist der Zweig des Hauses Orléans bis heute in Frankreich vertreten. Vom alten Hochadel der Kapetinger haben bis heute folgende Herzogsfamilien überlebt: Audiffret-Pasquier, Bauffremont, Blacas d’Aulps, Caylus (Haus Rougé), Cossé-Brissac, Broglie, des Cars, Choiseul-Praslin, Clermont-Tonnerre, Gramont, Harcourt, de Riquet de Caraman (ab 1828 Ducs de Caraman), Caumont (ab 1637 Ducs de La Force), La Rochefoucauld, Durfort de Civrac (Ducs de Lorges), d’Albert (Herzog von Luynes), Maillé de la Tour-Landry, Montesquiou-Fezensac, Rochechouart (Herzöge von Mortemart), Noailles, Polignac, Sabran-Pontevès, Rohan-Rochefort, Rohan-Chabot (des Stammes Chabot) und Crussol (Herzöge von Uzès).
Bei anderen Familien, die heute noch hochadlige Namen wie den des Hauses von La Tour d’Auvergne-Lauraguais tragen, ist (aufgrund behaupteter unehelicher Abstammung) die historische Verbindung zu den alten königlichen Adelslinien ungeklärt.
Die napoleonischen Herzöge (sechs Geschlechter blühen noch) sind zumeist Nachkommen von Marschällen: Suchet d’Albufèra, Davout d’Auerstädt, Goyon de Feltre, Mac-Mahon de Magenta, Lannes de Montebello, Fouché d’Otrante, Masséna de Rivoli. Sie wurden vom alten Adel anfangs boykottiert, dann aber im Laufe des 19. Jahrhunderts angesichts des Aufstiegs eines reichen Bürgertums zunehmend anerkannt, so dass heute zahlreiche Familienbande zwischen den beiden Herzogsgruppen sowie generell zwischen dem Adel des Ancien Régime und dem napoleonischen Adel bestehen.
Literatur
- Monique de Saint-Martin: Der Adel. Soziologie eines Standes. UVK, Konstanz 2003 (Edition discours).
- Jean d’Ormesson: Wie es Gott gefällt: Roman einer Familie. Übersetzt von Gerhard Heller, Ullstein-Taschenbuch, Frankfurt/Berlin 1994, ISBN 978-3548233833.
Einzelnachweise
- Albert Soboul: La Révolution française, Editions Sociales, Paris 1982. ISBN 2-209-05513-X, S. 192–195.
- Die Schätzungen der Opfer der Terreur variieren zwischen 25.000 und etwa 40.000. Der Anteil der Adligen wird auf 8,5 % geschätzt, der des Klerus auf 6,5 %. Siehe: Terrorherrschaft#Opferzahlen
- „La transmission des titres ne se fait plus, dans le droit moderne, que de mâle à mâle.“ Trib. Civ. Falaise, 21 Fév 1959.
- „si le titre nobiliaire suit, en général, les règles du nom patronymique, il ne s’acquiert pas, comme lui, par le simple usage, même prolongé; il lui faut, à l’origine, une investiture émanant de l’autorité souveraine“ Civ. 11 mai 1948, Dalloz 1948 335.
- „Les titres nobiliaires, dépouillés aujourd’hui de tout privilège féodal et même de tout privilège de rang, n’ont plus qu’un caractère personnel et honorofique et ne peuvent même plus être considérés, du point de vue juridique, que comme un complément du nom patronymique permettant de mieux distinguer l’identité des personnes, tout en perpétuant de grands souvenirs; si, en vertu de cette sorte de lien de subordination entre le titre nobiliaire et le nom patronymique, il est dû la même protection au titre qu’au nom, on ne lui doit pas une protection spéciale et privilégiée.“ Paris, 2 Jan 1896. Dalloz 1896 2.328.
- Alain Texier: Qu’est-ce que la noblesse? Paris, 1987, ISBN 978-27028-6040-3, pp. 407–410
- Tribunal de grande instance de Paris (1re Ch.), 21. Dezember 1988
- Association de la Noblesse Européenne. Association loi 1901. Abgerufen am 25. Dezember 2009 (franz.).