Außenbordeinsatz
Der Außenbordeinsatz (englisch extra-vehicular activity ‚Außenbordaktivität‘, EVA), vgl. auch Weltraumspaziergang oder „Weltraumausstieg“, ist ein Sammelbegriff in der Raumfahrt für alle Arbeiten eines Raumfahrers außerhalb eines Raumfahrzeuges, insbesondere Außenarbeiten an Raumstationen oder die Ausstiege der Apollo-Astronauten auf der Mondoberfläche (manchmal auch als Lunar Extra Vehicular Activity (LEVA) bezeichnet). EVAs gelten als gefährlich, weil sich der Raumfahrer hierfür aus der (relativ) sicheren Umgebung seines Fahrzeuges, lediglich durch einen Raumanzug geschützt, in das freie Vakuum des Weltraums begeben muss.
Geschichte
Den ersten Weltraumausflug unternahm am 18. März 1965 Alexei Leonow aus Woschod 2 an einer viereinhalb Meter langen Sicherheitsleine.[1] Der erste US-Amerikaner war am 3. Juni 1965 der Astronaut Edward H. White, der aus dem Raumschiff Gemini 4 ausstieg. Während seines 23-minütigen Ausstiegs blieb sein Raumanzug über eine acht Meter lange Versorgungsleine mit Gemini 4 verbunden.[2] Im Weltraum manövrierte er mit einer Hand-Held Maneuvering Unit (HHMU). Die folgenden Außenbordaktivitäten am Ende des Gemini-Programms (Gemini 9 bis Gemini 11) erwiesen sich dann als körperlich weitaus anstrengender als erwartet: Eugene Cernan verließ während Gemini 9 am 5. Juni 1966 das Gemini-Raumschiff durch die Luke und hangelte sich am Raumschiff entlang an dessen Heck, um dort eine von der US-Luftwaffe entwickelte Manövriereinheit (AMU) umzuschnallen. Es gab zu wenige Haltepunkte, weshalb Cernan nur langsam vorankam. Als er am Heck war, war er weit hinter der Zeit und am Ende seiner Kräfte; er konnte die Manövriereinheit nicht testen. Auf dem Rückweg zur Luke konnte die Kühlung des Raumanzugs die Wärmeabstrahlung des Körpers nicht ausgleichen, und Cernans Visier beschlug. Er konnte nichts mehr sehen und sich wegen der fehlenden Schwerkraft nicht orientieren. Mit letzter Kraft kam er zurück in das Raumschiff. Er war über zwei Stunden im Außenbordeinsatz. Zu Gemini 10 siehe hier und zu Gemini 11 hier.
Die Astronauten hatten mit Überanstrengung, Überhitzung und beschlagenen Visieren ebenso zu kämpfen wie mit massiven Schwierigkeiten, ihre Position zu kontrollieren und zu stabilisieren. Durch die Einführung zielgerichteten Trainings der vorgesehenen Aktivitäten in großen Tauchbecken und durch spezielle Vorrichtungen (Haltegriffe und -schienen) am Raumfahrzeug sowie einer Anpassung der verwendeten Werkzeuge konnten diese Schwierigkeiten überwunden werden. Ab Gemini 12 waren die Außenbordeinsätze ungefährlicher und schneller.
Während der Skylab-2-Mission führten Charles Conrad, Joseph Kerwin und Paul Weitz im Mai und Juni 1973 im Verlauf von drei EVAs aufwändige Reparaturarbeiten an der beim Start beschädigten Raumstation Skylab durch.
Den ersten Außenbordeinsatz ohne Sicherungsleine unternahm Bruce McCandless am 7. Februar 1984 während der Challenger-Mission STS-41-B im Rahmen des Tests des Düsenrucksacks MMU (Manned Maneuvering Unit).
Mit der ersten EVA der NASA-Mission STS-102 wurde der Rekord für den längsten Weltraumausstieg aufgestellt. Der Ausstieg begann am 11. März 2001 um 5:12 Uhr und endete um 14:08 Uhr desselben Tages. Damit dauerte der Weltraumausstieg insgesamt acht Stunden und 56 Minuten. Während dieser EVA bereiteten die Astronauten des Space Shuttles Discovery unter anderem das Andocken des Mehrzweck-Logistik-Moduls Leonardo an die ISS vor.
Technik und Ablauf
Der Ausstieg erfolgt:
- zum Aussetzen oder Einholen von Messinstrumenten – beispielsweise für die Messung von Mikrometeoriten,
- zu Aufbau- und Reparaturarbeiten, beispielsweise an der ISS oder am Hubble-Weltraumteleskop,
- zu wissenschaftlichen Zwecken,
- zur Erprobung neuer Techniken.
Das Verlassen und Betreten des Raumschiffes erfolgt durch Druckschleusen.
Seit ISS-Expedition 12[3] findet bei Ausstiegen auf der ISS in der Nacht vor dem Weltraumausstieg ein sogenannter Camp out statt, bei dem der Raumfahrer an Stelle von Luft unter Normaldruck von 1010 hPa acht Stunden in der Schleuse schläft und darin reinen Sauerstoff bei vermindertem Druck von 700 hPa atmet,[4] um den Stickstoffpartialdruck im Gewebe zu reduzieren. Dadurch wird einer Dekompressionskrankheit durch Stickstoffübersättigung unter dem Druck des Raumanzug von nur 350 hPa vorgebeugt.[5] Eine nötige Hygiene-Pause aus der Schleuse erfolgt dabei mit einer Sauerstoffmaske, die siebzig Minuten Versorgung bietet.
Die Strahlenbelastung ist etwa doppelt so groß wie im Raumfahrzeug. Bei ruhiger Sonne beträgt sie um 400 mSv/Jahr; im Falle heftiger Aktivität werden EVAs abgekürzt oder verschoben. Die ersten Weltraumausstiege erfolgten gesichert durch Leinen und/oder Versorgungsleitungen; später wurden auch freie Flüge mit Hilfe von Raketentornistern (Manned Maneuvering Unit, MMU) durchgeführt, die aber mittlerweile aus Sicherheitsgründen wieder eingestellt wurden[6]. Aus Sicht der Himmelsmechanik bewegt sich der Raumfahrer während dieser Zeit auf seiner eigenen Satellitenbahn, die durch seine Bewegungen – mit Werkzeug oder einer Rückstoß-Pistole – von der Bahn des Raumschiffes abweichen kann.
Trivia
In Verbindung mit EVAs wird im deutschen Sprachgebrauch auch der Begriff Weltraumspaziergang, englisch Spacewalk, verwendet. Dieser gibt die enormen physischen Belastungen, denen ein Raumfahrer währenddessen ausgesetzt ist, nur unzureichend wieder. Immerhin ist er ständig der enormen Lärmbelastung durch die im Anzug eingebaute Klimaanlage ausgesetzt. Außerdem ist er durch den steifen Raumanzug motorisch stark eingeschränkt, obwohl Raumfahrer während EVAs meist technische Aufgaben übernehmen müssen.
Geruch nach Außenbordeinsätzen
Nach Aussagen mehrerer Astronauten riechen die Raumanzüge nach Außenbordeinsätzen an der Internationalen Raumstation dezent nach verbranntem Fleisch, Holzkohle, Schießpulver, Schweißrauch, Metall, Wunderkerze, Bremsbelag, Walnuss oder nasser Wäsche.[7][8][9][10]
Siehe auch
Weblinks
- Stephen J. Hoffman: Advanced EVA Capabilities NASA Technical Report Server, 2004 (englisch, PDF, 7 MB, abgerufen am 8. Juli 2009)
- NASA Johnson: EVA Lessons Learned youtube.com, 5. Juni 2013 (englisch, Video 30:56, abgerufen am 20. September 2017) – Bericht über den Prozess der Entwicklung von Raumanzug und Werkzeug
- Weltraumausstieg - Hans Schlegel über Extra-vehicular activity (EVA) youtube.com, 6. Oktober 2014 (deutsch, Video 7:06, abgerufen am 20. September 2017) – ESA-Astronauten Hans Wilhelm Schlegel über Training, Erfahrungen anhand (für andere) bevorstehender Aufgaben auf der ISS
Belege
- Der erste Spaziergang im All wurde beinahe zur Katastrophe. In: diepresse.com, abgerufen am 18. März 2015.
- Gemini 4 im NSSDCA Master Catalog, abgerufen am 17. Februar 2020 (englisch).
- Lynette Madison: Pass the S'mores Please! Station Crew 'Camps Out'. NASA, 31. März 2006, abgerufen am 21. November 2008 (englisch).
- Preflight Interview: Joe Tanner. NASA, 19. Juli 2006, abgerufen am 21. November 2008 (englisch).
- International Space Station Status Report #06-7. NASA, 17. Februar 2006, abgerufen am 21. November 2008 (englisch).
- https://www.airspacemag.com/space/untethered-180952792/
- Megan Garber: What Space Smells Like. 19. Juli 2012, abgerufen am 13. Juli 2020 (amerikanisches Englisch).
- WELT: „Das Weltall riecht nach Bremsbelägen“. In: DIE WELT. 20. August 2014 (welt.de [abgerufen am 13. Juli 2020]).
- What does space smell like? Abgerufen am 13. Juli 2020 (englisch).
- Boris Pofalla: Astronaut Scott Kellys Biografie: Wie riecht eigentlich das Weltall? In: DIE WELT. 10. November 2017 (welt.de [abgerufen am 13. Juli 2020]).