Yunus Emre
Yunus Emre (* um 1240; † um 1321) war ein türkischer Dichter und Mystiker (Sufi) der Bektaschi-Tariqa.
Er gilt als einer der ersten mystischen Volksdichter der osmanisch-türkischen Sprachtradition und wegen seiner im Volk verwurzelten Sprache, aber auch wegen seiner bescheidenen Lebensweise in der Türkei als wegweisender Dichter. Seine Werke sind im türkischen Bildungswesen ab der Oberstufe Pflichtlektüre.
Leben und Schaffen
Ab dem 13. Jahrhundert verfassten Mystiker Verse in türkischer Sprache. Mit dem Namen Yunus Emre wird die Tradition des singbaren, einfachen mystischen Liedes in Zusammenhang gebracht. Diese Tradition gilt von da an typisch für die Literatur der Sufi-Orden, beispielsweise der Bektaschi-Derwische. Die Bektaschis bedienen sich der Traditionen dieses Gesangs, dem nefes („Atem“). Yunus Emre bediente sich ebenfalls dieses Gesangsstils, der von Aleviten deyiş („Gesprochenes“) bzw. deme („Gesagtes“) genannt wird.
Yunus Emre prägte den anatolischen Humanismus mit seinen zahlreichen Gedichten und Liedern. Sämtliche Werke Yunus Emres sind als İlâhi-Sammlungen (Gesangbücher) überliefert.
Nach Auffassung der anatolischen Aleviten hat Yunus Emre das Alevitentum maßgeblich beeinflusst und manifestiert. Sie beziehen sich auf sämtliche Gedichte Yunus Emres, die Ali ibn Abi Talib preisen. Es gibt eine außerordentlich große Anzahl an Gedichten, die aus der Sicht der Aleviten als alevitische Gedichte gewertet werden können.
Zentrales Thema seiner Gedichte ist die sufische Philosophie, die auf den Neuplatonismus zurückgeht. Nachdem er – wie er in seinen Gedichten angibt – „40 Jahre lang“ im Dienst eines Mystikers namens Taptuk Emre gestanden hat, wird er von seinem Dienst entbunden und führt fortan das Leben eines Derwischs.
Wegen seiner Dichtung zählen die Aleviten ihn zu ihren heiligen Dichtern, auch wenn er offiziell nicht hinzugerechnet wird. Offiziell gilt er in der Türkei als ein fortgeschrittener Schüler (Derwisch) des Sufismus, speziell des Bektaschi-Ordens. In der Yunus-Emre-Moschee in Karaman soll sich das Grab Yunus Emres befinden.[1]
Yunus Emre war, wie viele Derwische seiner Zeit, ein Schüler des Hacı Bektaş Veli, der ein anti-orthodoxer Mystiker war und möglicherweise zur Sufisekte der Qalandar gehörte. Als wandernder Derwisch trug Yunus Emre die Lehren von Hacı Bektaş Veli in Dörfer und Städte und hielt sie in seinen unzähligen Gedichten fest.
Gedicht (Auswahl)
dolap niçin inilersin
derdim vardır inilerim
ben mevlâya âşık oldum
anın için inilerim
benim adım dertli dolap
suyum akar yalap yalap
böyle emreylemiş çalap
derdim vardır inilerim
beni bir dağda buldular
kolum kanadım yoldular
dolaba lâyık gördüler
derdim vardır inilerim
ben bir dağın ağacıyım
ne tatlıyım ne acıyım
ben mevlâya duacıyım
derdim vardır inilerim
dağdan kestiler hezenim
bozuldu türlü düzenim
ben bir usanmaz ozanım
derdim vardır inilerim
dülgerler hep beni yondu
her âzam yerine kondu
bu iniltim haktan geldi
derdim vardır inilerim
suyum alçaktan çekerim
dönüp yükseğe dökerim
görün ben neler çekerim
derdim vardır inilerim
YUNUS burda gelen gülmez
kişi muradına ermez
bu dünyada kimse kalmaz
derdim vardır inilerim
warum seufzst du / wasserrad ?
weil ich leide muß ich seufzen /
hab begonnen gott zu lieben /
darum darum muß ich seufzen[2]
und ich heiße rad der schmerzen /
meine wasser rinnen rinnen /
denn so hat es gott befohlen /
weil ich leide muß ich seufzen
fanden sie mich im gebirge /
rissen zweig und flügel aus /
machten mich zum wasserrad /
weil ich leide muß ich seufzen
bin ich doch vom holz des bergbaums /
bin nicht süß und bin nicht bitter /
bin ein beter nur zu gott /
weil ich leide muß ich seufzen
ach / sie stutzten mir die äste /
wie ward die gestalt verändert /
bin ein nimmermüder sänger /
weil ich leide muß ich seufzen
zimmerleute schnitten zu /
paßten alle teile ein /
dieses seufzen schuf mir gott /
weil ich leide muß ich seufzen
unten schaufle ich das wasser /
schieben es im drehn nach oben /
was ich alles trage / schaut /
weil ich leide muß ich seufzen
YUNUS kam / er kann nicht lachen /
keiner ging den weg zu ende /
keiner bleibt auf dieser welt /
weil ich leide muß ich seufzen<ref>Übersetzung/Nachdichtung in Originalschreibweise der Autorin Gisela Kraft, aus: Mit Bergen mit Steinen, S. 6 f. (vgl. Abschnitt Literatur).</ref>
Würdigungen
- Die UNESCO erklärte das Jahr 1990 zum Yunus-Emre-Jahr (Jahr des Friedens und der Liebe).
- Yunus-Emre-Moscheen erinnern an Yunus Emre.
- Der türkische Komponist Ahmed Adnan Saygun schrieb ein Oratorium, in dem 13 religiöse Gedichte Emres behandelt werden.
- Im Türkenschanzpark Wien steht ein Brunnen zu Ehren von Yunus Emre. Der Brunnen ist verziert mit Schriften des Mystikers.
- Auf der Rückseite der ab 1. Januar 2009 gültigen 200-TL-Banknoten ist Yunus Emre abgebildet.
- Die türkische Rundfunkanstalt TRT produzierte 2015 bis 2016 eine Serie über Yunus Emre mit 45 Folgen.
Literatur
- Edith G. Ambros: Yunus Emre. In: The Encyclopaedia of Islam. New Edition. Band 11, 2002, S. 349a–350b
- Gisela Kraft: Yunus Emre, Pir Sultan Abdal. Mit Bergen mit Steinen – Nachdichtung und Randtexte, Harran Verlag, Berlin 1981. ISBN 3-922578-04-7
- Annemarie Schimmel: Wanderungen mit Yunus Emre. Önel, Köln 1989
- Annemarie Schimmel: Yunus Emre. In: Numen, Vol. 8, Fasc. 1, Januar 1961, S. 12–33
- Literatur von und über Yunus Emre im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Weblinks
- Yunus Emre'nin Hayati. yunusemre.net
Einzelnachweise
- Türkei Städteführer: Karaman
- Vgl. Sure 9:82: »Lachen sie nur ein weniges, und weinen vieles / Zum Lohne des was sie gewirkt!« (Übersetzung: Friedrich Rückert, 1788–1866).