Variable Tarife
Variable Tarife (engl. ‚Dynamic Pricing‘) sind Tarifmodelle, die verschiedene Strompreisstufen, zeit- oder lastabhängig, in einem Tarif vereinen.
Ziele
Variable Tarife verfolgen die Ziele:
Lastgangmodifikation
Die Modifikation des üblichen Lastprofils kann langfristig (bis hin zu permanent), mittelfristig oder kurzfristig erfolgen. Möglichkeiten der Lastgangmodifikation sind:
- Spitzenlastkappung
- Lastabsenkung
- Lastanhebung
- Lastgangverlagerung
- Schwachlastanhebung
- spezifische Lastführung.
Mittels lastvariablen Tarifen können Effekte wie die ökonomische Optimierung des Kraftwerkparks und der Stromnetze, die Reaktion auf außergewöhnliche Marktereignisse, die Integration fluktuierender Erzeugung und Netzschutz erzeugt werden.
Variable Tarife, die darauf abzielen, den Lastgang zu modifizieren, wirken indirekt energiesparend. Zum Beispiel ist bei einer Lastverlagerung von Spitzenlast- in Schwachlastzeiten eine ausgewogeneres Kraftwerksmanagement und damit auch Energienutzung die Folge.
Marktbeteiligung
Die Marktbeteiligung zielt auf die direktere Beteiligung der Privatkunden am Energiemarkt ab. Das ist mit Chancen aber auch Risiken verbunden, die dem Energiemarkt innewohnen. Der Stromkunde würde diese Risiken dann mittragen.
- Mittelfristig
- Eine mittelfristige Bindung wird mittels Tarifmodellen erreicht, die zeitvariable Tarife mit indexierter Anpassungsfunktion aufweisen. Sie reicht in der Regel über einen Zeitraum von Monaten bis hin zu Jahren.
- Kurzfristige
- Eine kurzfristige Bindung hingegen wird mittels zeitvariabler Tarife in Verbindung mit häufigen Events erreicht. In der Regel reicht sie über einen Zeitraum von Tagen bis Wochen.
Für die Elektrizitätsversorgungsunternehmen bedeuten die kurz- und mittelfristigen Zielvorgaben eine Risikominimierung in der Beschaffung, da die Beschaffungskosten schneller an die Privatkunden weitergegeben werden können. Für die Kunden beinhalten diese Maßnahmen jedoch eine erhöhte Markttransparenz und eine partielle Kostensenkung.
Die Marktbeteiligung als primäre Zielsetzung kann eine Beeinflussung des Lastgangs nach sich ziehen. Da aber der Fokus der Energieversorger innerhalb dieser Zielsetzung auf die Marktbeteiligung der Kunden abzielt, hat die Beeinflussung des Lastgangs nur einen sekundären Stellenwert.
Individualisierung
Individualisierung meint die Ausrichtung des Tarifs auf spezielle Bedürfnisse von Kundensegmenten oder auf spezifische Lastgänge.
Die Tarifmodelle zur Individualisierung stellen zeitvariable Tarife in Kombination mit Events, spezifischen Energiemerkmalen und Zahlungs-/Vertragsmerkmalen dar. Die Individualisierung von Tarifmodellen bezweckt die Kundenbindung respektive deren Neugewinnung, Margenerhöhung für die Energieversorgungsunternehmen und Kostensenkung für Privatkunden.
Wirksamkeit variabler Tarife
Ob variable Tarife effizient sind bzw. ob sie überhaupt Wirkung erzielen, hängt unter anderem von den Kunden ab. Nehmen Kunden die tariflichen Angebote nicht wahr, die zum Beispiel eine Lastverlagerung zum Ziel haben, wird sich die Last im angestrebten Zeitraum nicht verlagern. In zahlreichen Feldexperimenten in verschiedenen Ländern konnte gezeigt werden, dass viele Haushaltskunden auf variable Preise reagieren[1]
Andererseits nehmen die Tarifmodellierungen ebenso Einfluss auf die Wirksamkeit. Stellen sie Angebote dar, die nicht auf den Privatkunden zugeschnitten sind, wird dieser sie voraussichtlich nicht akzeptieren. (Vgl. Kundensegmentierung bei Stromtarifen). Abhängig von ihrem Verbrauchsprofil und ihrer Preiselastizität können Kunden unter verschiedenen Tarifen unterschiedliche Einsparungen erzielen.[2][3]
Bei Gewerbe- und Industriekunden mit größerem Stromverbrauch liegt das Potenzial derzeit noch deutlich höher als bei Privatkunden. Wenn Kunden einen sehr flexiblen Verbrauch haben, konnten sie schon 2015 ihren Stromverbrauch auf Basis viertelstündlicher Strompreissignale anpassen und damit die eigenen Stromkosten senken.[4] Ein Beispiel hierfür sind Deiche, die mit Hilfe von Pumpen regelmäßig trockengelegt werden müssen. Die Pumpen müssen nicht durchlaufen, sondern können ihren Stromverbrauch auf die Stunden und Viertelstunden verschieben, in denen der Strom sehr günstig ist.[5]
Variable Tarife in Deutschland
Momentan bieten die gesetzlichen Vorgaben in Deutschland nur einen geringen Spielraum für die Tarifmodellierung. Das deutsche Recht sieht vor, dass Privat- und Gewerbekunden mit einem Energieverbrauch unter 100.000 kWh/a nach dem Standardlastprofil H0 versorgt und abgerechnet werden müssen (vgl. StromNVZ § 12, Absatz 1). Infolgedessen werden nur zeitvariable Tarifierungen hervorgebracht, die außerdem nur eine geringe Preisspreizung aufweisen.
Variable Tarife fanden bisher hauptsächlich in Hoch- und Niedertarifregelungen (HT/NT) Anwendung. Hierbei kommen einfache Zweitarifzähler zum Einsatz. Die Variabilität der Tarife ist dadurch auf zwei Register beschränkt. Mit intelligenten Zählern erhöhen sich die Variationsmöglichkeiten der Tarifmodelle. Mittlerweile findet eine weitere Preisstufe (Wochenende) Resonanz.
Nach Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) § 40 Abs. 5 müssen Energieversorger bis zum 30. Dezember 2010 „insbesondere lastvariable oder tageszeitabhängige Tarife“ anbieten können. Jedoch hat sich der Gesetzgeber bislang nicht genauer festgelegt, wie „variabel“ diese Tarife sein müssen.
Literatur
- Schäffler, Harald (Hg.) (2010): Praxisvergleich Smart-Metering-Produkte 2010. Augsburg: Foitzick.
- Vgl. allgemein zum Thema ‚Smart Metering‘ in Deutschland: Fenchel, Günter; Hellwig, Martin (Hgg.) (2010): Smart Metering in Deutschland. Technik, Kommunikation und Prozesse für Elektrizität, Wasser, Wärme und Gas. Frankfurt: EW Medien und Kongresse.
- Frederik vom Scheidt, Philipp Staudt, Christof Weinhardt: Assessing the Economics of Residential Electricity Tariff Selection. 2019 International Conference on Smart Energy Systems and Technologies. 2019
Weblinks
- Rohlfing, Dirk (2010): Demand Response und variable Tarife: Neue Signale von der Suche nach dem heiligen Gral, online verfügbar unter http://smart-energy.blog.de/2010/04/19/demand-response-variable-tarfe-neue-signale-suche-heiligen-gral-8400646/.
- Verordnung über den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen
- Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung
Einzelnachweise
- Ahmad Faruqui, Sanem Sergici, Cody Warner: Arcturus 2.0: A meta-analysis of time-varying rates for electricity. Hrsg.: Elsevier. 2017 (sciencedirect.com).
- Frederik vom Scheidt, Philipp Staudt, Christof Weinhardt: Assessing the Economics of Residential Electricity Tariff Selection. Hrsg.: 2019 International Conference on Smart Energy Systems and Technologies. 2019, ISBN 978-1-72811-156-8 (ieee.org).
- Scott P Burger, Christopher R Knittel, Ignacio J Pérez-Arriaga, Ian Schneider, Frederik Vom Scheidt: The efficiency and distributional effects of alternative residential electricity rate designs. Hrsg.: The Energy Journal. 2020, doi:10.5547/01956574.41.1.sbur (iaee.org).
- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie - Weißbuch "Ein Strommarkt für die Energiewende", S. 51
- Next Kraftwerke - Smarte Deiche