Theodor Christlieb
Theodor Christlieb (* 7. März 1833 in Birkenfeld, Schwarzwald; † 15. August 1889 in Bonn) war ein evangelischer Theologe, Pfarrer und Professor für Praktische Theologie in Bonn.
Leben und Wirken
Nach dem Studium der Theologie am Tübinger Stift war Theodor Christlieb zunächst Vikar in Ludwigsburg und dann Pfarrverweser in Ruit auf den Fildern bei Stuttgart. Er erwarb 1857 den philosophischen Doktorgrad in Tübingen mit einer Arbeit über den frühmittelalterlichen Theologen Johannes Scotus Eriugena (Erigena). In der Dissertation Das System des Johannes Scotus Erigena in seinem Zusammenhang mit dem Neuplatonismus, Pseudodionysius und Maximus Confessor erarbeitete er entgegen einer älteren Auffassung, die Erigena als Begründer der Scholastik ansah, das bis heute gültige Verständnis des mittelalterlichen Theologen als Vermittlers der neuplatonischen Mystik des Pseudo-Dionysius Areopagita an das Abendland und als Begründers einer auf neuplatonischen Voraussetzungen beruhenden spekulativen Philosophie.
1858 bis 1865 war Christlieb Pfarrer einer deutschen Gemeinde im Londoner Stadtteil Islington, dann von 1865 bis 1868 Pfarrer in Friedrichshafen am Bodensee. Von 1868 bis zu seinem Tod war er schließlich 21 Jahre lang Professor für Praktische Theologie und Universitätsprediger an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
In die Londoner Zeit fällt die Eheschließung mit Emily Weitbrecht, der Tochter des Indien-Missionars Johann Jakob Weitbrecht und Schwester des ebenfalls als Missionar tätigen Herbert Udny Weitbrecht, der bei ihm studierte und mit dem er einige Publikationen herausgab. Aus der Ehe sollten sechs Kinder, drei Söhne und drei Töchter, hervorgehen.
Christlieb hatte in Tübingen den philosophischen Doktorgrad erworben, nie aber eine theologische Qualifikationsschrift vorgelegt, daher war er nach seiner Berufung nach Bonn zunächst noch kein stimmberechtigtes Vollmitglied der Fakultät. 1870 wurde ihm jedoch von der Universität Berlin der theologische Ehrendoktor für sein Buch Moderne Zweifel am christlichen Glauben verliehen, und er konnte auf Grund dieser Ehrenpromotion Vollmitglied seiner Fakultät werden, in der er dann auch mehrfach Dekan war.
Christlieb ist Vertreter eines auf persönlichem Glauben und Bekehrung gegründeten Christentums, das er in der modernen Welt zu verteidigen und zu verbreiten suchte. So wird berichtet, dass er vor den Studenten auf seinen Namen hinwies, um zu unterstreichen, dass persönlicher Glaube wichtiger sei als wissenschaftliche Bildung: „Mein Name ist Christlieb, und das soll auch mein Programm sein, denn Christum lieben ist besser als alles Wissen.“ Nach dem Urteil von J. F. G. Goeters hat Christlieb „in der Geschichte seiner Disziplin“, der Praktischen Theologie, „fortwirkende Spuren nur in ganz begrenztem Maße hinterlassen“, wiewohl „er, dem der praktische Lehrbetrieb mehr galt als wissenschaftlicher Ruhm, doch zu seiner Zeit ein in jeder Beziehung respektabler Vertreter seines Faches gewesen“ ist.
Christlieb kann unter anderem als Mitbegründer der Missionswissenschaft gelten, zu der er einige frühe Beiträge leistete, und der er gemeinsam mit Gustav Warneck in der Allgemeinen Missionszeitschrift ein Publikationsorgan schuf. Sein Anliegen war aber nicht nur die äußere Mission, sondern auch die Mission im Inneren, zu der er in der Organisation von Gemeinschaftsbewegung und Evangelisation beitrug. Erfahrungen aus seiner Londoner Zeit, in der er mit der angelsächsischen Erweckungsbewegung und frühen Allianz-Bestrebungen in Berührung gekommen war, waren dabei gewiss hilfreich. Gemeinsam mit dem Hofprediger Adolf Stoecker setzte er sich für die erste deutsche Großevangelisation in Berlin 1882 mit dem Deutsch-Amerikaner Friedrich von Schlümbach ein. Die ersten Evangelisationen von Elias Schrenk, dem „Vater der Evangelisation in Deutschland“, wurden wesentlich von Christlieb mitinitiiert. Zusammen mit Schrenk galt Christlieb fortan als einer der Väter der sogenannten Gemeinschaftsbewegung. 1884 wurde unter seiner Mithilfe der Deutsche Evangelisationsverein gegründet, 1886 die Evangelistenschule Johanneum in Bonn eröffnet.
Durch Christlieb erwachte in Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Interesse an der Idee ärztlicher Missionstätigkeit in nicht christlich geprägten Ländern. Auf der Generalkonferenz der evangelischen Allianz im September 1879 thematisierte Christlieb in Basel die Frage nach deutschen Missionsärzten und deutschen medizinischen Missionsgesellschaften und betonte die Notwendigkeit, nicht nur das Evangelium, sondern auch die Segnungen moderner Medizin auch den Menschen in den Missionsgebieten zukommen zu lassen.[1]
Trotz der Nähe zu freikirchlichen Kreisen war und blieb Christlieb aktives Mitglied der Evangelischen Kirche. Er gehörte der evangelischen Gemeinde Bonn an und war Landessynodaler der rheinischen Kirchenprovinz innerhalb der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union, die er auch zeitweise auf der Generalsynode in Berlin vertrat.
Theodor Christlieb verstarb 1889 an einem Nierenkrebsleiden. Die Emeritierung hat er nicht erreicht, am Ende des Sommersemesters 1889 musste er krankheitshalber um Urlaub bitten. Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Bonn.
Sein Sohn Alfred Christlieb (1868–1934) wurde Pfarrer in dem oberbergischen Dorf Heidberg (heute Gemeinde Reichshof). Er war ein in Allianzkreisen überregional bekannter Prediger und Seelsorger, dessen Schriften lange über seinen Tod nachwirkten, zum Teil bis heute.
Publikationen
- Leben und Lehre des Johannes Scotus Erigena in ihrem Zusammenhang mit der vorhergehenden und unter Angabe ihrer Berührungspuncte mit der neueren Philosophie und Theologie. Besser, Gotha 1860. (Digitalisat) (Erweiterte Druckfassung der philosophischen Dissertation von 1857; in Anerkennung dieses Werkes erhielt er am 7. Mai 1870 die theologische Ehrendoktorwürde der Berliner Universität)
- Moderne Zweifel am christlichen Glauben für ernstlich Suchende erörtert. Marcus, Bonn (2. Auflage) 1870. (Digitalisat)
- Über die Bekämpfung des Unglaubens. Ein Vortrag gehalten bei der Versammlung der Evangelischen Allianz in New York, Amerikanische Traktatgesellschaft, New York [1873].
- Der gegenwärtige Stand der evangelischen Heidenmission. Eine Weltüberschau. Bertelsmann, Gütersloh 1879. (Digitalisat)
- Protestant Foreign Missions, 1880.
- Die Bildung evangelistisch begabter Männer zum Gehilfendienst am Wort und dessen Angliederung an den Organismus der Kirche. Vortrag auf der allgemeinen kirchlichen Konferenz in der Wuppertaler Festwoche am 9. August 1888 zu Barmen gehalten. Ernst Röttger, Kassel [o. J.]. (Digitalisat)
- Homiletik. Vorlesungen hrsg. von Theodor Haarbeck, Basel 1893.
Literatur
- Ernst Christian Achelis: Christlieb, Theodor. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 47, Duncker & Humblot, Leipzig 1903, S. 483–486.
- Stephan Bitter, Theodor Christlieb, in: R. Schmidt-Rost (u. a.) (Hrsg.), Theologie als Vermittlung. Bonner evangelische Theologen des 19. Jahrhunderts im Portrait, AThG 6, Rheinbach 2003, 140–147.
- Wilhelm Busch: Die von Herzen dir nachfolgen. Gestalten des rheinisch-westfälischen Pietismus. Aussaat Verlag, Neukirchen-Vluyn 1997, ISBN 3761535759 (u. a. über Theodor Christlieb).
- Friedrich Fabri: Zum Gedächtnis Theodor Christliebs, Bonn 1889.
- Albert Falkenroth: Professor D. Theodor Christlieb zum 40. Jahrestag seines Heimganges, Bonn 1929.
- J. F. Gerhard Goeters: Theodor Christlieb 1833–1889. In: Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. 150 Jahre Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn 1818–1968, Bonn 1968, S. 103–120.
- Arno Pagel (Hrsg.): Theodor Christlieb. Wuppertal 1983.
- Thomas Schirrmacher: Theodor Christlieb und seine Missionstheologie. Telos, Wuppertal 1985.
- Karl Heinz Voigt: Theodor Christlieb (1833–1889). Die Methodisten, die Gemeinschaftsbewegung und die Evangelische Allianz. Edition Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-7675-3058-4.
Einzelnachweise
- Wolfgang U. Eckart: „Reichsgottesarbeit“ nicht Reichsarbeit – Theodor Christlieb und die Idee einer deutschen ärztlichen Mission in der Wilhelminischen Epoche, in: Richard Toellner (Hrsg.): Die Geburt einer sanften Medizin. Die Franckeschen Stiftungen zu Halle als Begegnungsstätte von Medizin und Pietismus im frühen 18. Jahrhundert, Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle 2004, S. 151–159.