The Right and the Good
The Right and the Good (englisch; deutsch: Das Richtige und das Gute) ist ein 1930 erschienenes Buch des schottischen Philosophen David Ross. Darin entwickelt Ross einen deontologischen Pluralismus, der auf prima facie Pflichten basiert. Ross vertritt eine realistische Position zur Moral und eine intuitionistische Position zu moralischem Wissen. The Right and the Good wurde als eines der wichtigsten Werke der ethischen Theorie des 20. Jahrhunderts bezeichnet.[1][2]
Zusammenfassung
Wie der Titel andeutet, geht es bei The Right and the Good um Richtigkeit, Gutheit und ihre Beziehung zueinander.[3]:x Richtigkeit ist eine Eigenschaft von Handlungen, während Gutheit verschiedene Arten von Dingen betrifft. Laut Ross gibt es bestimmte Merkmale, die beide gemeinsam haben: Sie sind reale Eigenschaften, sie sind undefinierbar, pluralistisch und durch Intuition erkennbar.[2] Von zentraler Bedeutung für die Richtigkeit sind prima facie Pflichten, zum Beispiel die Pflicht, die eigenen Versprechen zu halten oder andere nicht zu verletzen.[1] Von besonderem Interesse für das Verständnis von Gutheit ist intrinsischer Wert: Was an sich gut ist. Ross schreibt der Lust, dem Wissen, der Tugend und der Gerechtigkeit einen intrinsischen Wert zu.[2] Es ist leicht, Richtigkeit und Gutheit im Fall von moralischer Gutheit zu verwechseln. Eine Handlung ist richtig, wenn sie der absoluten Pflicht des Handelnden entspricht.[3]:28 Die Handlung aus dem angemessenen Motiv heraus zu tun ist nicht wichtig für die Richtigkeit, aber von zentraler Bedeutung für moralische Gutheit oder Tugend.[4] Ross nutzt diese Überlegungen, um die Fehler in anderen ethischen Theorien aufzuzeigen, beispielsweise im idealen Utilitarismus von G. E. Moore oder in der Deontologie von Immanuel Kant.
Realismus und Undefinierbarkeit
Ross vertritt eine realistische Position zur Moral: Die moralische Ordnung, die in prima facie Pflichten zum Ausdruck kommt, ist ebenso real wie „die räumliche oder numerische Struktur, die in den Axiomen der Geometrie oder Arithmetik zum Ausdruck kommt“.[5]:29-30 Darüber hinaus sind die Begriffe „richtig“ und „gut“ undefinierbar.[2] Das bedeutet, dass verschiedene naturalistische Theorien scheitern, die versuchen, „gut“ im Sinne von Begierde oder „richtig“ im Sinne der Erzeugung der meisten Lust zu definieren.[3]:11-2 Aber dies erstreckt sich sogar auf Theorien, die einen dieser Begriffe durch den anderen charakterisieren. Ross wendet sich mit diesem Gedankengang gegen Moores idealen Utilitarismus, der „richtig“ in Bezug auf „gut“ dadurch definiert, dass er behauptet, dass eine Handlung dann richtig ist, wenn sie das bestmögliche Ergebnis hervorbringt.[1][4]
Das Richtige
Ross ist wie Immanuel Kant ein Deontologe: Er vertritt die Ansicht, dass Richtigkeit von der Einhaltung von Pflichten abhängt, nicht von den Konsequenzen.[1] Aber im Gegensatz zu Kants Monismus, in dem die Ethik auf einem einzigen Grundprinzip, dem kategorischen Imperativ, beruht, behauptet Ross, dass es eine Vielzahl von prima facie Pflichten gibt, die bestimmen, was richtig ist.[2][3]:xii Einige Pflichten gehen auf unsere eigenen früheren Handlungen zurück, wie die Pflicht zur Ehrlichkeit (Versprechen zu halten und die Wahrheit zu sagen) und die Pflicht zur Wiedergutmachung (Entschädigung zu leisten für unrechtmäßige Handlungen). Die Pflicht der Dankbarkeit (empfangene gute Taten zu erwidern) ergibt sich aus den Handlungen anderer. Weitere Pflichten sind die Pflicht zur Nichtverletzung (anderen nicht zu schaden), die Pflicht zur Wohltätigkeit (das Maximum des Gesamtwohls zu fördern), die Pflicht zur Selbstverbesserung (den eigenen Zustand zu verbessern) und die Pflicht zur Gerechtigkeit (Nutzen und Lasten gleichmäßig zu verteilen).[3]:21-5[1]
Ein Problem, mit dem sich der deontologische Pluralist auseinandersetzen muss, besteht darin, dass Fälle auftreten können, in denen die Forderungen einer Pflicht eine andere Pflicht verletzen, sogenannte moralische Dilemmata.[6] Zum Beispiel gibt es Fälle, in denen es notwendig ist, ein Versprechen zu brechen, um die Not von jemandem zu lindern.[3]:28 Ross macht von der Unterscheidung zwischen prima facie Pflichten und absoluter Pflicht Gebrauch, um dieses Problem zu lösen.[3]:28 Bei den oben genannten Aufgaben handelt es sich um prima facie Pflichten; sie sind allgemeine Grundsätze, deren Gültigkeit für moralisch reife Menschen unmittelbar einsichtig ist. Sie sind Faktoren, die nicht alle Überlegungen berücksichtigen. Die absolute Pflicht hingegen ist spezifisch für eine bestimmte Situation, wobei alles berücksichtigt wird, und muss von Fall zu Fall einzeln beurteilt werden.[2][4] In solche Urteile fließen verschiedene Überlegungen ein, z. B. welche prima facie Pflichten aufrechterhalten oder verletzt würden und wie wichtig sie im gegebenen Fall sind.[1] Ross zieht den Vergleich zur Physik, wo verschiedene Kräfte, z. B. Gravitation oder Elektromagnetismus, auf die Bewegung von Körpern einwirken, wobei aber die Gesamtbewegung nicht durch eine einzige Kraftkomponente bestimmt wird, sondern durch die gesamte Nettokraft.[3]:28-9 Es ist die absolute Pflicht, die bestimmt, welche Handlungen richtig oder falsch sind. Auf diese Weise können die Dilemmata gelöst werden, die sich aus den prima facie Pflichten ergeben.[3]:21-2[2]
Das Gute
Der Begriff „gut“ wird in der natürlichen Sprache mit verschiedenen Bedeutungen verwendet.[4] Ross weist darauf hin, dass es für die Philosophie wichtig ist, zwischen dem attributiven und dem prädikativen Sinn zu unterscheiden.[3]:65 Im attributiven Sinn bedeutet „gut“ geschickt oder nützlich, wie in „ein guter Sänger“ oder „ein gutes Messer“. Dieser Sinn von gut ist relativ zu einer bestimmten Art: gut zu sein als etwas, so wie eine Person vielleicht gut als Sänger ist, aber nicht als Koch.[3]:65-7 Der prädikative Sinn von gut hingegen, wie in „Lust ist gut“ oder „Wissen ist gut“, ist nicht relativ in diesem Sinne. Von Hauptinteresse für die Philosophie ist eine bestimmte Art von prädikativer Gutheit: die sogenannte intrinsische Gutheit. Eine intrinsisch gute Sache ist an sich gut: Sie wäre auch dann gut, wenn sie ganz alleine existieren würde, sie ist nicht nur gut als Mittel aufgrund ihrer Folgen.[3]:67-8[7]
Laut Ross zeigt die unmittelbar einsichtige Intuition, dass es vier Arten von Dingen gibt, die an sich gut sind: Lust, Wissen, Tugend und Gerechtigkeit.[1][4] „Tugend“ bezieht sich auf Handlungen oder Dispositionen, aus den angemessenen Motiven zu handeln, zum Beispiel aus dem Wunsch, seine Pflicht zu tun.[2] Bei „Gerechtigkeit“ geht es dagegen um Glück im Verhältnis zu Verdienst. Als solche betreffen Lust, Wissen und Tugend alle Geisteszustände, im Gegensatz zu Gerechtigkeit, die eine Beziehung zwischen zwei Geisteszuständen betrifft.[2] Diese Werte treten in Graden auf und sind miteinander vergleichbar. Ross ist der Ansicht, dass Tugend den höchsten Wert hat, während Vergnügen den niedrigsten Wert hat.[4][6] Er geht sogar so weit zu behaupten, dass „kein Maß an Lust irgendeinem Maß an Tugend entspricht, dass Tugend tatsächlich zu einer höheren Wertordnung gehört“.[8]:150 Werte können auch innerhalb jeder Kategorie verglichen werden, z. B. ist gut fundiertes Wissen von allgemeinen Prinzipien wertvoller als schwach fundiertes Wissen von isolierten Tatsachen.[3]:146-7[2]
Intuitionismus
Nach dem Intuitionismus von Ross können wir moralische Wahrheiten durch Intuition erkennen, zum Beispiel, dass es falsch ist zu lügen oder dass Wissen an sich gut ist.[2] Bei Intuitionen handelt es sich um eine direkte Erkenntnis, die nicht durch Schlussfolgerungen oder Ableitungen vermittelt wird: Sie sind unmittelbar einsichtig und bedürfen daher keines zusätzlichen Beweises.[1] Diese Fähigkeit ist nicht angeboren, sondern muss auf dem Weg zur geistigen Reife entwickelt werden.[3]:29 Aber in ihrer voll entwickelten Form können wir moralische Wahrheiten genauso gut erkennen wie mathematische Wahrheiten wie die Axiome der Geometrie oder Arithmetik.[3]:30[9] Dieses unmittelbar einsichtige Wissen beschränkt sich auf allgemeine Grundsätze: Auf diese Weise können wir die prima facie Pflichten erkennen, aber nicht unsere absolute Pflicht in einer bestimmten Situation: Was wir unter Berücksichtigung aller Umstände tun sollten.[3]:19-20,30 Alles, was wir tun können, ist die Wahrnehmung zu Rate zu ziehen, um festzustellen, welche prima facie Pflicht in diesem speziellen Fall das höchste normative Gewicht hat, auch wenn dies aufgrund der Komplexität der meisten spezifischen Fälle in der Regel nicht auf Wissen im eigentlichen Sinne hinausläuft.[2]
Einwände gegen andere Theorien
Verschiedene Argumente in The Right and the Good richten sich gegen den Utilitarismus im Allgemeinen und insbesondere gegen Moores Variante. Ross erkennt an, dass es eine Pflicht gibt, das Maximum des Gesamtgutes zu fördern, wie es der Utilitarismus verlangt. Ross behauptet jedoch, dies sei nur eine neben verschiedenen anderen Pflichten, die von der übermäßig simplen und reduktiven utilitaristischen Sichtweise ignoriert würden.[3]:19[1] Ein weiterer Fehler des Utilitarismus besteht darin, dass er den persönlichen Charakter von Pflichten missachtet, beispielsweise aufgrund von Treue und Dankbarkeit.[3]:22 Ross argumentiert, dass sein deontologischer Pluralismus die Moralvorstellung des gesunden Menschenverstands besser erfasst, da er diese Probleme vermeidet.[2]
Ross widerspricht Kants Ansicht, dass die Richtigkeit von Handlungen von ihrem Motiv abhängt. Eine solche Ansicht führt zu einer zirkulären oder sogar widersprüchlichen Darstellung der Pflicht, da „diejenigen, die behaupten, dass es unsere Pflicht ist, aus einem bestimmten Motiv heraus zu handeln, gewöhnlich ... meinen, dass das Motiv, aus dem heraus wir handeln sollten, das Pflichtgefühl ist“.[10]:5 Es ist also „meine Pflicht, Handlung A aus dem Gefühl heraus zu tun, dass es meine Pflicht ist, Handlung A zu tun“.[11]:5 Um dieses Problem zu vermeiden, schlägt Ross vor, moralische Gutheit von moralischer Richtigkeit oder moralischer Verpflichtung zu unterscheiden.[3]:5 Der moralische Wert einer Handlung hängt vom Motiv ab, aber das Motiv ist nicht relevant dafür, ob die Handlung richtig oder falsch ist.[4]
Kritik
Ross' Intuitionismus beruht auf unseren Intuitionen darüber, was richtig ist und was intrinsischen Wert hat, als Quelle moralischen Wissens. Es ist jedoch fraglich, wie zuverlässig moralische Intuitionen sind. Eine Sorge kommt von der Tatsache, dass es viele Meinungsverschiedenheiten über grundlegende moralische Prinzipien gibt.[2] Ein weiterer Zweifel ergibt sich aus einer evolutionären Perspektive, die besagt, dass unsere moralischen Intuitionen in erster Linie vom evolutionären Druck und weniger von der objektiven moralischen Struktur der Welt geprägt sind.[1][12]
Utilitaristen haben ihre Position gegen die Vorwürfe verteidigt, sie seien zu vereinfachend und hätten keinen Bezug zur Moral des gesunden Menschenverstands, indem sie auf Fehler in Ross' Argumenten hingewiesen haben.[1] Viele Beispiele von Ross zugunsten des deontologischen Pluralismus scheinen sich auf eine eher generische Charakterisierung der Fälle zu stützen. Das Ausfüllen der einzelnen Details kann jedoch aufzeigen, dass der Utilitarismus mehr mit dem gesunden Menschenverstand in Verbindung steht als ursprünglich angenommen.[13][2]
Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf Ross' Begriff „prima facie Pflicht“. Wie von Shelly Kagan dargelegt, ist dieser Begriff unglücklich gewählt, da er einen bloßen Anschein impliziert, wie zum Beispiel, wenn jemand unter der Illusion steht, eine gewisse Pflicht zu haben.[14] Aber was Ross zu vermitteln versucht, ist, dass jede prima facie Pflicht tatsächlich normatives Gewicht hat, auch wenn sie durch andere Erwägungen überstimmt wird. Besser ausgedrückt wäre dies durch den Begriff „pro tanto Pflicht“.[14][2]
Einfluss
Ross' deontologischer Pluralismus war eine echte Innovation und bot eine plausible Alternative zur kantischen Deontologie.[2] Sein ethischer Intuitionismus fand unter seinen Zeitgenossen nur wenige Anhänger, erlebte aber Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts eine Wiederbelebung. Zu den Philosophen, die von The Right and the Good beeinflusst wurden, gehören Philip Stratton-Lake, Robert Audi, Michael Huemer und C. D. Broad.[1]
Weblinks
- Kapitel I-III online (englisch)
- Anthony: William David Ross. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy, 2010.
- David L. Simpson: William David Ross. In: J. Fieser, B. Dowden (Hrsg.): Internet Encyclopedia of Philosophy, 2012.
Einzelnachweise
- David L. Simpson: William David Ross. In: Internet Encyclopedia of Philosophy. (utm.edu [abgerufen am 12. Januar 2021]).
- Anthony Skelton: William David Ross. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. 2012 (stanford.edu [abgerufen am 12. Februar 2021]).
- W. D. Ross: The Right and the Good. Clarendon Press, 2002 (philpapers.org).
- W. G. de Burgh: The Right and the Good. By W. D. Ross M.A., LL.D., Provost of Oriel College, Oxford. (Oxford: At the Clarendon Press. 1930. Pp. Vi + 176. Price 10s. 6d.). In: Philosophy. Band 6, Nr. 22, 1931, S. 236-40, doi:10.1017/S0031819100045265 (philpapers.org).
- W. D. Ross: The Right and the Good. Clarendon Press, 2002 (philpapers.org – Erstausgabe: 1930): „the spatial or numerical structure expressed in the axioms of geometry or arithmetic“
- Donald Borchert: Macmillan Encyclopedia of Philosophy, 2nd Edition. Macmillan, 2006, Ross, William David (philpapers.org).
- David Wiggins: The Right and the Good and W. D. Ross's Criticism of Consequentialism. In: Utilitas. Band 10, Nr. 3, 1998, doi:10.1017/s0953820800006208 (philpapers.org).
- W. D. Ross: The Right and the Good. Clarendon Press, 2002 (philpapers.org – Erstausgabe: 1930): „no amount of pleasure is equal to any amount of virtue, that in fact virtue belongs to a higher order of value“
- Edward Craig: Routledge Encyclopedia of Philosophy. Routledge, 1996, Ross, William David (philpapers.org).
- W. D. Ross: The Right and the Good. Clarendon Press, 2002 (philpapers.org – Erstausgabe: 1930): „Those who hold that our duty is to act from a certain motive usually … hold that the motive from which we ought to act is the sense of duty“
- W. D. Ross: The Right and the Good. Clarendon Press, 2002 (philpapers.org – Erstausgabe: 1930): „it is my duty to do act A from the sense that it is my duty to do act A“
- Peter Singer: Ethics and Intuitions. In: Journal of Ethics. Band 9, Nr. 3-4, 2005, S. 331–352, doi:10.1007/s10892-005-3508-y (philpapers.org).
- W. A. Pickard-Cambridge: Two Problems About Duty (I.). In: Mind. Band 41, Nr. 161, 1932, S. 72–96, doi:10.1093/mind/XLI.161.72 (philpapers.org).
- Shelly Kagan: The Limits of Morality. Oxford University Press, 1989 (philpapers.org).