Tenaille

Als Tenaille (von frz. tenaille: Zange, militär. a​uch Zangenbewegung, Umfassung) o​der Zangenwerk bezeichnet m​an im Festungsbau d​er frühen Neuzeit a​lle Formen d​es Festungsumrisses, d​ie nur a​us ein- u​nd ausspringenden Winkeln o​hne Flanken bestehen (wie s​ie etwa e​ine Bastion besitzt). Die Flanken werden b​ei solchen Werken dadurch entbehrlich, d​ass von d​en Wällen d​es ausspringenden Winkels d​er Raum v​or der gegenüberliegenden ausspringenden Linie vollständig bestrichen werden kann, a​lso in d​ie Zange genommen werden kann.[1]

Schema der gebräuchlichen Befestigungswerke des bastionären Befestigungssystems (lediglich eine schematische Graphik, die versucht, möglich viele Bauformen darzustellen). Die Bezeichnungen und die dazugehörigen Nummern aller hier im Text erwähnten Werke können über die Anmerkungen aufgefunden werden.

Der Begriff Tenaille zerfällt i​m Festungsbau i​n drei unterschiedliche Kategorien, d​ie im Sprachgebrauch n​icht immer eindeutig voneinander getrennt werden, s​o dass s​ich ihre genaue Bedeutung e​rst aus d​em Zusammenhang ergibt.

Das Wort Tenaille k​ann bezeichnen

  1. ein im Graben unmittelbar vor der eigentlichen Festung liegendes Werk, das vornehmlich eine die dahinterliegende Anlage deckende Aufgabe besitzt, wie die Grabenschere[2] oder Tenaille vor der Kurtine oder die Tenaille oder Kontergarde[3] (frz. contre garde) vor dem Ravelin. Diese schmalen Werke zum Schutz eines kleinen Ravelins gegen einen direkten Angriff werden nicht selten auch Tenaillons (Einzahl: Tenaillon) oder „kleine Scheren“ genannt.[4] Sowohl die Grabenschere als auch das Tenaillon finden sich seit Vauban (als Ende des 17. Jahrhunderts) regelmäßig in Befestigungsanlagen des bastionären Befestigungssystems. Da diese vielen kleinen Werke, „die viel kosten und wenig leisten“[5], meist nur eine kleine Besatzung aufnehmen konnten, war ihre Widerstandskraft gering, weshalb sie während des 18. Jahrhunderts ein wesentlicher Ausgangspunkt für die Kritik gegen das bastionäre Befestigungssystem insgesamt waren.[6]
  2. ein getrennt vor dem Hauptgraben stehendes Außenwerk, das als „vorgeschobenes Werk“ oder als „äußeres Werk“[7] die Kräfte des Belagerers möglichst weit vor der eigentlichen Umwallung aufzehren sollte, ohne dabei schon der eigentlichen Festung zu schaden. Ein solches Werk konnte auch als Brückenkopf dienen, um eine Brücke über einen Fluss zu schützen, oder dazu, einen etwas vor der Festung liegenden Höhenrücken mit in die Befestigungslinie einzubeziehen. Hier unterschied man zwischen einer „einfachen Tenaille“ oder „Schwalbenschwanz“[8] (frz. queue d’hirondelle) und der „doppelten Tenaille“ oder „Pfaffenhut“ bzw. „Pfaffenmütze“[9] (frz. bonnet à prêtre). Entsprechende Werke vor deren einspringenden Winkel sich ein Ravelin befindet, bezeichnet man als eine „verstärkte einfache–“ oder „verstärkte doppelte Tenaille“.[10] Die beiden Werke entsprechen einem Hornwerk[11] bzw. einem Kronwerk[12] mit einer bastionären Befestigungsfront. Solche äußeren Werke, die im französischen Festungsbau des 18. Jahrhunderts sehr gebräuchlich waren, wurden im 19. Jahrhundert weitgehend durch detachierte Forts abgelöst.
  3. ein der Befestigungssystem, das im 18. Jahrhundert entstand und sich im Wesentlichen aus Befestigungswerken zusammensetzt, deren Grundriss sich nur aus ein- und ausspringenden Winkeln zusammensetzte (→Tenaillensystem).

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Hoyer, Allgemeines Wörterbuch der Kriegsbaukunst, 1817, s.v. Tenaille
  2. auf der graphischen Übersicht die Nr. 31 und 32
  3. auf der graphischen Übersicht die Nr. 30. Hinweis: der moderne Graphiker hat die Tenaillons hier nicht neben einem Ravelin (= Nr. 25), sondern fälschlicherweise neben einem Halbmond (frz. demi-lune) (= Nr. 21) vor einer Bastion eingezeichnet, wo sie sinnlos sind, da sie dort überhaupt nicht flankiert werden können.
  4. Hoyer, Lehrbuch der Kriegsbaukunst, 1818, 137
  5. Hoyer, Lehrbuch der Kriegsbaukunst, 1818, 137
  6. v. Prittwitz und Gaffron, Lehrbuch der Befestigungskunst und des Festungskrieges, 1865, 260f
  7. Prittwitz bezeichnet alle Werke, die vor dem gedeckten Weg liegen, als „äußeres Werk“ (v. Prittwitz und Gaffron, Lehrbuch der Befestigungskunst und des Festungskrieges, 262. Hinweis: dies wird auf der nebenstehenden modernen graphischen Übersicht, das ursprünglich einem Lexikon entnommen wurde, leider nicht ganz korrekt dargestellt. Da auf dieser Graphik der gedeckte Weg (= Nr. 8) die gesamte Festung umgibt, dienen diese Werke hier nur als couvre ravelin und sind somit auch keine äußeren Werke. Dies kam durchaus vor, war aber nicht die Regel.)
  8. auf der graphischen Übersicht die Nr. 20
  9. auf der graphischen Übersicht die Nr. 27 und Nr. 33
  10. v. Prittwitz und Gaffron, Lehrbuch der Befestigungskunst und des Festungskrieges, 1865, 262
  11. auf der graphischen Übersicht die Nr. 22
  12. auf der graphischen Übersicht die Nr. 24

Literatur

Johann G. von Hoyer, Lehrbuch der Kriegsbaukunst, 1818 (Nachdruck 2011: ISBN 978-1-173-73982-9) Hartwig Neumann, Festungsbaukunst und Festungsbautechnik, 1994 ISBN 3-7637-5929-8

Siehe auch

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