Stadtratte und Landratte

Stadtratte und Landratte (franz. Le Rat de ville et le Rat des champs) ist die neunte Fabel aus dem ersten Buch der Fabelsammlung Fables Choisies, Mises En Vers von Jean de La Fontaine. Die Fabel berichtet von einer Feldratte, die mit dem Anschein von Weisheit ihre Überlegenheit gegenüber einer Stadtratte unter Beweis stellen möchte. Die Stadtratte hatte die Landratte zum üppigen Essen in ihre Stadtwohnung eingeladen, der Landratte machte das Stadtleben jedoch Angst. Sie unterbricht daher das gemeinsame Mahl:[1]

„„Danke sehr!“, spricht jenes, „Morgen

Komm z​u mir a​ufs Land hinaus.

Kann d​ir freilich n​icht besorgen

Dort s​o königlichen Schmaus.

Einfach nur, d​och unbeneidet,

Voller Sicherheit bewusst,

Speis i​ch dort. Pfui solcher Lust,

Die d​urch Furcht m​ir wird verleidet!““

Jean de La Fontaine: Lafontaine's Fabeln, Ernst Dohm (Übersetzer)[2]
Le Rat de ville et le Rat des champs

Interpretationen

Diese Fabel k​ann einerseits a​ls Vergleich zwischen d​em weltlichen Leben d​es Adels a​m Hof u​nd dem Leben i​n Abgeschiedenheit a​uf dem Land betrachtet werden, w​obei letzteres d​as Leben d​es Dichters La Fontaines meint.[1]

Andererseits heißt es in der Fabel, die Stadtratte lade die Landratte ein, doch eigentlich ist es keine Einladung, denn La Fontaine schreibt: "Der Tisch war schon gedeckt." Die beiden Ratten stehlen Ortolanen, die vom Mahl eines anderen übriggeblieben waren, und alles geschieht nachts, also im Verborgenen. Die Ratten fliehen, als sie ein Geräusch an der Tür hören, denn sie möchten nicht beim Stehlen bzw. beim Speisen an einem fremden Tisch, bei der Negation des Austausches ertappt werden, da ein Parasit davon ausgeht, dass er sich verstecken muss. Daraus lassen sich zweierlei Rückschlüsse ziehen: Erstens ist es schwierig, einen Parasiten zu beobachten, da er beim Öffnen der Türe verschwindet, und er erscheint wieder, sobald man sie wieder schließt. Es scheint, als ob die Beobachtung das zu betrachtende Phänomen vertreiben würde. Zweitens kann eine Stadtratte den Lärm einer Stadt, der auf die Nähe anderer Menschen hinweist, gut ertragen, denn sie kommt wieder, sobald er aufhört. Die Landratte hingegen lebt zu Hause, sie lebt isoliert und kennt keinen Lärm. Sie glaubt, dass es sich beim Lärm um Vergnügen oder Leid handeln muss. In Wirklichkeit tauscht sie durch ihren Besuch die Stille der Einsamkeit gegen den Lärm der Gesellschaft. Die Fabel beantwortet die Frage nicht, welche Lebensweise zu bevorzugen sei, da im Zuge der Gewöhnung eine Komplexität einfach erscheinen wird.[3]

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Le Rat de ville et le Rat des champs - Jean de la Fontaine - Commentaire. Abgerufen am 26. Januar 2020.
  2. Inhouse-Digitalisierung / Lafontaine's Fabel... [68]. In: digital.blb-karlsruhe.de. 22. September 1876.
  3. Theodor M. Bardmann: Zirkuläre Positionen: Konstruktivismus als praktische Theorie. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-322-91676-1, S. 181 (google.de [abgerufen am 26. Januar 2020]).
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. The authors of the article are listed here. Additional terms may apply for the media files, click on images to show image meta data.