Seelentaubheit
Als Seelentaubheit, auch akustische Agnosie oder auditive Agnosie, bezeichnet man eine Störung.[2] Dabei nehmen die Betroffenen Wörter zwar akustisch wahr, aber erkennen (verstehen) sie nicht.
Klassifikation nach ICD-10 | |
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R48.1[1] | Agnosie |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde der Begriff als „Verlust der akustischen Erinnerungsbilder bei erhaltenen Gehör und Verstand, Worttaubheit, sensorische Aphasie“ (zitiert nach Dornblüth)[3] definiert. Das Krankheitsbild bildet sich ursprünglich in der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde ab.[4] Die dabei vorhandenen Störungen sind schematisch im Wernicke-Lichtheim-Schema als Unterbrechung der Verbindung zwischen dem sensorischen Sprachzentrum und dem Begriffszentrum dargestellt.[5]
Formen der Seelentaubheit
Generalisierte auditive Agnosie
Die generalisierte auditive Agnosie entsteht durch die bilaterale Läsion der oberen Temporalwindung (Gyrus temporalis superior), der Heschl'schen Querwindung sowie deren afferente und efferente Bahnen bis zum Thalamus (Corpus geniculatum mediale). Patienten mit generalisierter auditiver Agnosie sind nicht in der Lage, Sinn tragenden Umweltgeräuschen oder gesprochener Sprache eine semantische Bedeutung zuzuordnen. Sie können jedoch – von leichten aphasischen Beeinträchtigungen abgesehen – sprechen, schreiben und lesen.[6]
Reine Geräuschagnosie
Die reine Geräuschagnosie tritt nach bilateralen oder rechtshemisphärischen Läsionen auf, wobei die kritischen Regionen mit denen der generalisierten auditiven Agnosie (siehe oben) übereinstimmen. Wie das oben beschriebene Patientenklientel sind auch die von Geräuschagnosie Betroffenen – mit leichten aphasischen Beeinträchtigungen – in der Lage, gesprochene Sprache zu sprechen, zu schreiben und zu lesen. Zusätzlich verfügen sie über ein in der Regel gut erhaltenes Sprachverständnis. Beeinträchtigungen zeigen sich in der isolierten Fähigkeit, nonverbale Alltags- und Umweltgeräusche zu identifizieren. Obwohl bisher nur äußerst wenige Fälle beschrieben wurden, ist davon auszugehen, dass die Inzidenz dieser Störung unterschätzt wird. Dies liegt – wie bereits oben erwähnt – daran, dass die Überprüfung der zentral-auditiven Funktionen nicht routinemäßig untersucht wird und dass den Betroffenen ihre Störungen in der Regel unspezifisch erscheinen.[6]
Affektive auditive Agnosie
Die affektive auditive Agnosie gehört zu den paralinguistischen auditiven Agnosien und wurde bisher nur nach rechtshemisphärischen Läsionen beschrieben. Bei diesen Agnosien ist die Fähigkeit gestört, aus gesprochener Sprache die unterschiedlichen akustischen Parameter mit bestimmten paralinguistischen oder metalinguistischen Informationen zu verbinden. Wie bei der generalisierten auditiven und der reinen Geräuschagnosie sind – mit den bereits erwähnten aphasischen Beeinträchtigungen – Sprechen, Lesen und Schreiben unbeeinträchtigt. Die Inhalte gesprochener Sprache werden erfasst, jedoch sind die Betroffenen nicht in der Lage, beispielsweise das Geschlecht und das ungefähre Alter eines Sprechers oder die emotionale Konnotation von Äußerungen zu verstehen.[6]
Siehe auch
Literatur
- Hans-Otto Karnath, Peter Thier: Kognitive Neurowissenschaften. 3. Auflage. Springer-Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-642-25526-7, Kapitel 17.
- Joachim Funke, Peter Frensch: Handbuch der Allgemeinen Psychologie – Kognition. Hogrefe Verlag, Göttingen 2006, ISBN 3-8409-1846-4, Kapitel 3.2.
Weblinks
Einzelnachweise
- Alphabetisches Verzeichnis zur ICD-10-WHO Version 2019, Band 3. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Köln, 2019, S. 796
- Seelentaubheit, www.duden.de
- Otto Dornblüth: Klinisches Wörterbuch. 13/14. Auflage. 1927, (online); zuletzt eingesehen am 9. Juni 2009.
- H. Loebell: Seelentaubheit. In: European Archives of Oto-Rhino-Laryngology. Volume 154, Numbers 1–2 / April 1944, Springer, (online)
- Roche Lexikon Medizin. 5. Auflage. Urban & Fischer, 2003, (online); zuletzt eingesehen am 9. Juni 2009.
- Hans-Otto Karnath, Peter Thier: Neuropsychologie. Springer-Verlag, Berlin 2003, ISBN 978-3-540-67359-0, Kapitel 12.2-12.4.