Schweickhardt’sche Kunstmühle
Die Schweickhardt’sche Kunstmühle, ursprünglich Untere Haagtormühle genannt, war eine Getreidewassermühle in Tübingen. Sie stand am Ammerkanal unmittelbar neben dem Haagtor, also am westlichen Ende der Stadt.
Geschichte
Die Haagtormühle entstand im Mittelalter und wurde 1501 erstmals urkundlich erwähnt. Sie war die größte Mühle von Tübingen. Sie war für die Versorgung der Stadtbevölkerung mit Mehl zuständig. In der Mühle arbeiteten jeweils ein Müller und ein Knecht. Die Mühle arbeitete grundsätzlich das ganze Jahr über. Fror im Winter der Ammerkanal zu, der sonst den Antrieb der Mühle gewährte, führte dies rasch zu Versorgungsengpässen.
Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde die Mühle in städtischer Regie geführt. Ab 1820 reduzierte sich jedoch der Ertrag der städtischen Mühlen. Daraufhin beschloss der Gemeinderat ihren Verkauf. Die Haagtormühle wurde 1838 zusammen mit zwei weiteren Mühlen von den Gebrüdern Heinrich und Eduard Schweickhardt gekauft, die sie zur Kunstmühle modernisierten. Um die Mühle kümmerte sich vordergründig Heinrich Schweickhardt (1798–1855), der auch seit 1834 Stadtrat und später letzter Vorsitzender des Tübinger Volksvereins war.[1] Eduard Schweickhardt (1805–1868) arbeitete im Staatsdienst und später als Dozent an der Universität Tübingen.
Tübinger Brotkrawall
Nach den Missernten 1846/47 stiegen auch in Tübingen die Preise stark an. Für die Handwerker und Gôgen (Weingärtner) kostete ein Laib Brot den ganzen Tagesverdienst. Als Anfang Mai 1847 Gerüchte über das Spekulantentum der Gebrüder Schweickhardt in Umlauf kamen, versammelten sich aufgebrachte Unterstadtbewohner am Abend des 4. Mai 1847 vor der Mühle. Nachdem sie eine Zeitlang nur schrieen, stürmten sie sie und entwendeten gewaltsam einige Fruchtsäcke. Sie demolierten auch das Innere und misshandelten die Besitzer, ohne dass sie viel Mehl finden konnten. Die Besitzer riefen zuvor die Stadtgarde zur Hilfe. Diese, die aus bewaffneten Studenten bestand, die in Anzahl von etwa 150 unter der Führung von Carl Heinrich Ludwig Hoffmann ankamen, beendete rasch den Aufstand, der später den Namen „Tübinger Brotkrawall“ erhielt. Die Anführer des Sturms wurden für mehrere Monate Gefängnis verurteilt. Der Vorwurf des Spekulantentums wurde im Nachhinein für ungerechtfertigt befunden.
Erweiterung und Aufgabe
Die Kunstmühle wurde 1880 im Auftrag von Heinrich Schweickhardt um ein großes Lager erweitert und gründlich modernisiert.[2]
Die Kunstmühle war bis 1960 im Betrieb. Zu diesem Zeitpunkt haben die Wassermühlen endgültig ausgedient. Ihr Stillstand fiel in die Jahre, als der Drang nach Zukunft so stark war, dass man an die Erhaltung der Geschichte nicht dachte und so wurde die Mühle als überflüssiges Hindernis 1963 abgerissen.[3]
Einzelnachweise
- Helmut Marcon, Heinrich Strecker und Günter Randecker: 200 Jahre Wirtschafts- und Staatswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen: Leben und Werk der Professoren: die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen und ihre Vorgänger (1817-2002), hrsg. von Helmut Marcon. Stuttgart : Franz Steiner Verlag 2004, S. 208.
- Tübinger Gemeindeverwaltung in den letzten 50 Jahren, Tübingen 1927, S. 94.
- Ulrich Hägele: Anleitung für den ästhetischen Genuss ..., S. 61.
Literatur
- Informationen in der ständigen Ausstellung des Stadtmuseums Tübingen
- Ulrich Hägele: Anleitung für den ästhetischen Genuss. Neuer Blick von außen auf die Stadt. In: Stadtbild – Weltbild. Tübinger Stadtansichten des 16. bis 19. Jahrhunderts, hrsg. von Evamarie Blattner, Karlheinz Wiegmann, Tübingen 2009 (= Tübinger Kataloge Nr. 86), ISBN 978-3-910090-96-5, S. 54–63.
- Ulrich Köpf: Historisch-kritische Geschichtsbetrachtung: Ferdinand Christian Baur und seine Schüler: 8. Blaubeurer Symposion, Stuttgart : Franz Steiner Verlag 1994, S. 97.
- 150 Jahre Gebrüder Schweickhardt, Tübingen 1797–1947, Tübingen 1947.