Sandspieltherapie
Sandspieltherapie ist eine Methode, die nonverbale therapeutische Zugänge in einer Psychotherapie, Beratung und Heilpädagogik ermöglicht und in den 1920er Jahren von der britischen Ärztin und Therapeutin Margaret Lowenfeld[1] (1890–1973) entwickelt worden ist. Im deutschsprachigen Raum ist die Methode von einer Schülerin Margaret Lowenfelds, der Schweizer Therapeutin Dora M. Kalff[2] (1904–1990) eingeführt worden. Des Weiteren hat Dora M. Kalff das Verständnis der therapeutischen Wirkweise des Sandspiels durch die Anwendung der analytischen Psychologie nach Carl Gustav Jung auf die gebauten Sandbilder erweitert. Ursprünglich hieß die Methode World Technique, denn Kinder in Lowenfelds Institute of Child Psychology (ICP) hatten ihre gebauten Sandbilder Welten genannt.[3]
Im Jahr 1937 stellte Margaret Lowenfeld die Methode auf internationalen Therapeutenkongressen vor, unter anderem in Paris. Dort lernte C. G. Jung die Lowenfeldsche Therapiemethode kennen und wandte seine tiefenpsychologischen Erkenntnisse erstmals auf eine der gebauten Welten während des Kongresses an.[4][5]
Grundlagen
Für ein Verständnis der Sandbilder, die von Kindern und Erwachsenen gebaut werden, können verschiedene philosophische und psychologische Strömungen herangezogen werden.
Margaret Lowenfeld selbst hat ein entwicklungspsychologisches Erklärungsmodell, das so genannte Protosystem[6], entwickelt. Ihre Gedanken und wissenschaftlichen Studien sind inspiriert von Jean Piagets Entwicklungspsychologie, Robin Collingwoods philosophischen Positionen, Donald Winnicotts Theorie der emotionalen Entwicklung und Margaret Meads ethnologischen Feldstudien.[7]
Dora M. Kalff erweiterte die theoretischen Grundlagen durch die Anwendung der analytischen Psychologie nach Carl Gustav Jung auf die Analyse der gebauten Sandbilder und der enthaltenen Symbole sowie auf die Begleitung des therapeutischen Sandspielprozesses. Des Weiteren floss Kalffs Auseinandersetzung mit dem tibetischen Buddhismus in die Begleitung der Sandspielenden ein.[8]
Entscheidend für das "Lesen" eines Sandbildes im therapeutischen Setting ist ein Verständnis für die menschliche Fähigkeit, sich über Symbole in Raum und Zeit auszudrücken. Die philosophische und erkenntnistheoretische Grundlage dazu liefert das Werk Ernst Cassirers.[9]
Beschreibung
Sandspieltherapie ist eine fundierte Methode zur psychosozialen Diagnostik und nonverbalen Psychotherapie für Menschen aller Altersstufen. Sie ist weltweit verbreitet, wurde ursprünglich als Therapieform für Kinder entwickelt und wird heute ebenfalls in der therapeutischen Arbeit mit Erwachsenen eingesetzt. Ergänzend sind Spiel und symbolische Formen des Gestaltens notwendig, wobei andere psychotherapeutische Techniken und Methoden oder Pharmakotherapie eingebunden werden können.
Voraussetzung für die Therapie ist der „freie und geschützte Raum“, den die therapeutische Situation und die therapeutische Beziehung bietet.
Es stehen zwei Sandkästen zur Verfügung, deren Maße sich am menschlichen Sichtfeld orientieren (z. B. B: 72 cm × T: 57 cm × H: 7 oder 9 cm). Der eine Sandkasten wird mit trockenem Sand, der andere mit feuchtem Sand bereitgestellt. Die Innenseite der Kästen ist in der Regel in einem mittelblauen Farbton gehalten, um Flüsse, Meere und Seen darstellen zu können. Neben dem Sand ermöglicht eine Sammlung aus Miniaturfiguren, Tieren, Pflanzen, Gebäuden, Fahrzeugen, Naturmaterialien und vielem mehr dem Bauenden ein Sandbild zu gestalten.
Ohne thematische Vorgabe können in der Therapie aus dem vorgegebenen Material spontan abstrakte oder konkrete Darstellungen entstehen. Sie sind symbolische Umsetzungen und Darstellungen von Empfindungen, Erfahrungen oder unbewussten Konflikten, und können Lösungsmöglichkeiten enthalten.
Das Sandspiel führt in tiefere seelische Schichten, die für das Bewusstsein oder Sprache schwer zugänglich sind oder sonst keinen angemessenen Ausdruck finden können.
Begleitet die Therapeutin oder der Therapeut den Sandspielenden auf eine Weise, die unbewusste Bereiche der Psyche berührt und so Möglichkeiten für Veränderungen eröffnet, zeigt die Sandspieltherapie eine günstige und oftmals heilende Wirkung. Das Sandspiel vermag einen ganzheitlichen Wandlungsprozess in Bewegung zu setzen, der die eigenen Ressourcen stärken, schöpferische Neugestaltung ermöglichen und zur Heilung und Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit beitragen kann.
Anwendungsbereiche
Einsatz findet Sandspieltherapie als kreative therapeutische Methode in der Begleitung von Menschen mit Selbstwertproblemen, Entwicklungsstörungen, Traumafolgestörungen, Lern- und Konzentrationsschwächen und psychosomatischen Störungen.
- Aufbauphase eines Beispiels
- Folgebild dieses Spielprozesses
- Endgestaltung des Beispiels
- Figuren und Material
Fachverbände
Literatur
- Rie Roger Mitchell, Harriet S. Friedman: Konzepte und Anwendungen des Sandspiels. Ernst Reinhardt, München 1997, ISBN 3-497-01413-3.
- Erika Jungbluth: Raumsymbolik. Schema für das "Lesen von Bildern". Visualisierung von psychotherapeutischen Prozessen in der Sandspieltherapie nach Dora Kalff und Margaret Lowenfeld. Sciencemotion, Münster 2017, ISBN 978-3-943988-04-8.
- Alexander von Gontard: Theorie und Praxis der Sandspieltherapie. Ein Handbuch aus kinderpsychiatrischer und analytischer Sicht. Kohlhammer, 2006, ISBN 3-17-017823-7 (Der Autor Professor Dr. Alexander von Gontard ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg, und Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinderheilkunde und Psychotherapeutische Medizin.).
- Ruth Ammann: Das Sandspiel. Der schöpferische Weg der Persönlichkeitsentwicklung. Walter-Verlag, 2001, ISBN 3-530-42162-6 (überarbeitete, erweiterte Ausgabe, Vorw. v. Verena Kast).
Weblinks
- F. Castellana, A. Donfrancesco: Sandplay in Jungian analysis: matter and symbolic integration. In: J Anal Psychol. 2005 Jun;50(3):367-382, PMID 15926956
- VR. Zinni: Differential aspects of sandplay with 10- and 11-year-old children. In: Child Abuse Negl. 1997 Jul;21(7):657-668, PMID 9238549. 13 klinisch auffällige Kinder und 13 Kinder gleichen Alters einer Kontrollgruppe zeigen in der Untersuchung unterschiedliche Ergebnisse der Sandspiel-Bilder, in Abhängigkeit davon, ob die Kinder emotionalen Stress erleben oder nicht.
- A. Gontard, G. Lehmkuhl: Play therapy--psychotherapy with play as the medium: I. General introduction, psychoanalytic and client-centered approaches In: Prax Kinderpsychol Kinderpsychiatr. 2003 Jan;52(1):35-48, Review, German, PMID 12638367. Übersicht über traditionelle Formen der Spieltherapie mit Fokus auf: Individualtherapie nach A. Adler, Analytische Psychotherapie nach C. G. Jung, Sandspieltherapie, Patientzentrierte nondirektive Spieltherapie.
Einzelnachweise
- The Dr Margaret Lowenfeld Trust - Child psychotherapy. Abgerufen am 8. April 2020 (amerikanisches Englisch).
- Dora M. Kalff: Sandspiel. Seine therapeutische Wirkung auf die Psyche. 4. Auflage. Reinhardt Ernst, München 2000, ISBN 3-497-01399-4.
- Cathy Urwin: Child Psychotherapy, War and the Normal Child. Selected Papers of Margaret Lowenfeld. Hrsg.: Cathy Urwin, John Hood-Williams. Dr. Margaret Lowenfeld Trust, Sussex Academic Press, Brighton et al. 2013, S. 41–59.
- Cathy Urwin: Child Psychotherapy, War and the Normal Child. Selected Papers of Margaret Lowenfeld. Hrsg.: Cathy Urwin, John Hood-Williams. Dr. Margaret Lowenfeld Trust, Sussex Academic Press, Brighton et al. 2013, S. 98.
- Ruth Bowyer: The Lowenfeld World Technique. Studies in Personality. With a Foreword by Dr. Margaret Lowenfeld. Pergamon Press, Oxford et al. 1970, S. 8.
- Cathy Urwin: Child Psychotherapy, War and the Normal Child. Selected Papers of Margaret Lowenfeld. Hrsg.: Cathy Urwin, John Hood-Williams. Dr. Lowenfeld Trust, Sussex Academic Press, Brighton et al. 2013, S. 94–99.
- Cathy Urwin: Child Psychotherapy, War and the Normal Child. Selected Papers of Margaret Lowenfeld. Dr. Margaret Lowenfeld Trust, Sussex Academic Press, Brighton et al. 2013, S. 13,14, 70–78.
- Rie Rogers Mitchell, Harriet S. Friedman: Konzepte und Anwendungen des Sandspiels. Ernst Reinhardt Verlag, München, Basel 1997, S. 85–86.
- Heinrich Schmidinger: "Der Mensch als animal symbolicum. Zur Entstehung einer Definition", In: Der Mensch – ein »animal symbolicum«? Hrsg.: Heinrich Schmidinger, Clemens Sedmak. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007, S. 9–22.