Reto Camenisch
Leben
Camenisch wuchs in der Stadt Thun auf. 1964 starb sein Vater Edmond Camenisch durch einen Jagdunfall. Als Schüler einer höheren Handelsschule interessierte er sich mit 15 Jahren für die Fotografie. 1978 erfolgte die Eröffnung des eigenen Fotoateliers. Seit 1982 ist er als freischaffender Porträt- und Reportagefotograf für nationale (Du, Das Magazin, NZZ Wochenende & Zeitbilder) und internationale (FAZ-Magazin, Geo) Printmedien tätig, wie auch für die Werbung. Ab 1983 nahm er vereinzelt an Gruppenausstellungen teil, seit 2001 intensivierte er die Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland. Zentrale Werkkomplexe münden in vier Publikationen: Bürgerbilder (1993), Bluesland (1997), Reto Camenisch – Zeit (2006) und Berge Pilger Orte (2011). Ab 1990 prägte ihn künstlerisch die Begegnung mit Richard Avedon. Es entstanden zahllose Künstlerporträts, vor allem von Musikern. Es folgte eine ausgedehnte Reisetätigkeit, darunter zwischen 1992 und 1997 mehrere Aufenthalte im Mississippi-Delta.[Anm. 1] 2003 beendigte er die Zusammenarbeit mit fast allen Printmedien und kehrte dem Fotojournalismus den Rücken. Seither konzentriert er sich auf das künstlerische Werk. Vertreten wird er durch die Galerie Bernhard Bischoff, Bern, der Galerie Stephan Witschi, Zürich (bis 2018) und der Kölner Galerie Kudlek van der Grinten (bis 2016). Seit 1990 ist Reto Camenisch zudem als freier Dozent für Fotografie tätig und seit 2011 Studienleiter für «Redaktionelle Fotografie» an der Schweizer Journalistenschule MAZ in Luzern.
Preise und Auszeichnungen
- 1985 Fotopreis des Kantons Bern,
- 1993 European Kodak Gold Award als bester Schweizer Porträtfotograf.
- 1999 Kulturpreis der Stadt Thun.
- 2012 Nomination Börsenverein des Deutschen Buchhandels "Schönstes Fotobuch 2012" / Berge Pilger Orte
- 2014 Kunst am Bau | Erweiterungsbau Altersheim Kühlewil
Werk
Camenischs Arbeiten reihen sich in die Tradition der analogen, schwarzweissen Reportage- und Porträtfotografie. Stehen gelassene Polaroid-Streifen, die Belichtung der Negative auf Barytpapier und die Ablehnung digitaler Technologien sind Anzeichen für das authentische, auf chemischem Weg und von Hand entwickelte Lichtbild. Die Entwicklung seines Œuvres lässt sich als kontinuierlicher Prozess der Verlangsamung, Verinnerlichung und Vertiefung begreifen: von der Hektik der Newsfotografie zum kontemplativen Warten auf das Bild, vom Menschen zur Landschaft, vom Klein- und Mittel- zum Grossformat. Die frühen Porträts zeichnen sich durch eine starke, oft formatsprengende Präsenz der Modelle ohne inszenatorischen Firlefanz aus. Der neutrale Hintergrund blendet alles nicht Körperhafte aus und schafft Momente grosser Unmittelbarkeit. Ende der Achtzigerjahre gewinnt neben dem psychologischen ein soziologisch vermessender Blick an Bedeutung: Die Porträtierten erscheinen nun eingebettet in ihren lebensweltlichen Kontext, beispielhaft im Werkblock der Bürgerbilder, einer Bestandsaufnahme möglicher und unmöglicher Figuren von Thun.
Bereits angelegt ist in den frühen Porträtarbeiten die düstere Tonalität, die das gesamte spätere Werk durchzieht. Bleiern der Himmel, stockfinster der Nachmittag – auf der Suche nach dem Blues stösst Camenisch im Mississippi-Delta auf einen befremdenden, maroden, fast menschenleeren Landstrich. Das Projekt Bluesland, ein poetisches Bekenntnis zur Melancholie, entpuppt sich für den Künstler als Echoraum eigener Kindheitserfahrungen: Er stellt den USA-Bildern eine Serie vom Unfallort seines Vaters voran. Die Suche nach dem Einklang von Innen- und Aussenwelt wird in der Folge immer bestimmender: Camenisch arbeitet seit 1999 fast ausschliesslich mit der 4x5-Inch-Kamera. Auf tagelangen Wanderungen im Entlebuch, in Neuseeland oder Lanzarote entsteht oft nur ein einziges Bild, das fernab jedes Postkartenidylls auf psychische Urzustände verweist. In fein zerfliessenden Schwarzwerten überhöht Camenisch die sichtbare Welt zum Sinnbild einer zeitlosen, oft schwermütigen Befindlichkeit.
Werke
Seine Werke sind unter anderem zu sehen in:
- Lausanne, Musée de l’Elysée
- New York, Guggenheim Collection
- Thun, Kunstmuseum Thun
- Wellington, New Zealand Centre for Photography
- Winterthur, Fotomuseum Winterthur
- Winterthur, Fotostiftung Schweiz
- Zürich, Wedekind Stiftung
- Stuttgart, Landesbank Baden-Württemberg
- Bern, Berner Kantonalbank Bern
- DC Bank of Berne
- Mobiliar Versicherungen Schweiz
- Price Waterhouse Cooper Basel
Monographien
- Zeit. Texte: Urs Stahel, Kerstin Stremmel. - Bern, 2006. ISBN 3-7165-1404-7
- Bluesland. Text: Margret Mellert. - Thun, 1997. ISBN 3-7225-6889-7
- Bürgerbilder. Text: Andreas Dietrich. - Bern, 1993. ISBN 3-7165-0876-4
- Berge Pilger Orte. Text: Béatrice von Matt. - Zürich, 2011. ISBN 978-3-9523619-3-1
- Reto Camenisch Porträts. Texte: Bernhard Giger, Bänz Friedli, Marco Meier. - Zürich, 2012. ISBN 978-3-9523619-7-9
Filme
- «Heicho» - Der Blues des Walter Liniger. - Schweiz/USA, 61 min, Dokumentarfilm (www.heicho-derfilm.ch)
Anmerkungen
- Hierbei ist nicht die Mündungsregion des Mississippi südlich von Baton Rouge, Louisiana, gemeint, sondern eine Region am Mississippi im gleichnamigen Bundesstaat, siehe → Lower Mississippi Delta Region
Literatur
- Von Horizonten, Set 8 aus der Sammlung des Fotomuseum Winterthur 2011
- Cahier Landschaft im Wandel, Kunstmuseum Thun 2009. Die Rückkehr der Physiognomie. 10èmes Journées photographiques de Bienne 2006.
- 10. Bieler Fototage 2006. Bienne 2006. Hrsg. von Nicolas Bourquin und Sven Ehmann. Biel: 2006.
- Sammlung Kunstmuseum Thun, Kunstmuseum Thun 2007
- Urs Stahel: «Einer zieht los, um heimzukommen». In: Reto Camenisch – Zeit. Bern: Benteli Verlag, 2006.[1]
- Kerstin Stremmel: «Am Abgrund». In: Reto Camenisch – Zeit. Bern: Benteli Verlag, 2006.[2]
- Denis Brudna: «Reto Camenisch / Zeit». In: Photonews, 11, 2006
- Mark Derby, Konrad Tobler: «Reto Camenisch. Interview with Mark Derby / Evoking the first day». In: New Zealand Journal of Photography, 54, 2004, S. 5–11.
- Reto Camenisch. Zürich, Galerie Römerapotheke, 2003. Text: Konrad Tobler. Zürich: Galerie Römerapotheke, 2003.[3]
- Béatrice von Matt: «Die Wahrheit der Landschaft». In: Berge Pilger Orte. Zürich: Edition Stephan Witschi, 2012.[4]
- Bernhard Giger: «Der Wanderfotograf». In: Reto Camenisch Porträts. Zürich: Edition Stephan Witschi, 2012.
- Marco Meier: «Das Augenmass der Melancholie». In: Reto Camenisch Porträts. Zürich: Edition Stephan Witschi, 2012.
- Bänz Friedli: «Warten auf Sam». In: Reto Camenisch Porträts. Zürich: Edition Stephan Witschi, 2012.
- Konrad Tobler: «Aufnahme nach der Natur» Notizen zum Verhältnis von Fotografie und Natur. 2013 / Zur Ausstellung Kunsthalle Palazzo Liestal.
Weblinks
- Webpräsenz von Reto Camenisch
- Sascha Renner: Camenisch, Reto. In: Sikart
Einzelnachweise
- http://www.camenisch.ch/admin/data/cvdata/stahel.pdf
- http://www.camenisch.ch/admin/data/cvdata/Stremmel.pdf
- http://www.camenisch.ch/admin/data/cvdata/Tobler.pdf
- http://www.camenisch.ch/admin/data/cvdata/BeatricevonMatt.pdf