Psychografie

Psychografie ist die umfassende Beschreibung des Seelenzustandes (psyche Seele) eines Individuums, die zu Bewertungen desselben dient – nicht zu verwechseln ist der Begriff mit der Psychografie im Spiritismus, welche die Tätigkeit eines Schreibmediums (Psychograf) beschreibt.[1][2] Der Begriff Psychografie als solches entspringt der Differentiellen Psychologie und wurde von Gordon W. Allport in die Persönlichkeitspsychologie eingeführt. Allport ging davon aus, dass ein Individuum durch Bewertungen in Form von Maßzahlen innerhalb eines Psychogramms dargestellt werden kann. Zu den dazu berücksichtigten Faktoren zählen neben biologischen Komponenten (z. B. die Form des Körperbaus oder der Gesundheitszustand) auch Fähig- und Fertigkeiten, Intelligenz, Temperament etc. Durch die Erstellung eines solchen Psychogramms ergibt sich die Möglichkeit des Vergleichs. Allports Ansatz hatte jedoch (bisher) über die psychologische Fachwelt hinaus keine erkennbaren Auswirkungen, wie dies beispielsweise bei den Theorien Sigmund Freuds der Fall ist.

Psychografie nach Friedmann

Unabhängig v​on der v​on Allport definierten Psychografie verwendet Dietmar Friedmann 1990 i​n seinem Buch „Der Andere“ a​ls Ergebnis seiner 1976 begonnenen Forschungen erstmals d​en Begriff Psychografie a​ls Bezeichnung für e​in selbst entwickeltes Persönlichkeitsmodell. Friedmann verwendet d​abei den Begriff „Psychografie“ i​m Sinne e​iner „Landkarte d​er Persönlichkeit“. Bei seiner Arbeit entdeckte Friedmann zunächst d​rei „eigengesetzliche Lebensbereiche“, welche e​r zunächst „Emanzipation, Identität u​nd Erkenntnis“ nennt. Durch s​eine Beschäftigung m​it der Transaktionsanalyse Eric Bernes u​nd dem Dramadreieck v​on Stephen Karpman (ebenfalls Transaktionsanalytiker) gelingt i​hm eine e​rste Formulierung d​er drei Lebensbereiche d​es psychografischen Persönlichkeitsmodells: Beziehung, Erkennen u​nd Handeln.

Analog zum Dramadreieck, in dem nach Karpmans Auffassung jeder Mensch aus den drei möglichen Rollen „Retter“, „Opfer“, „Täter“ eine „Lieblingsrolle“ übernimmt, hat auch im psychografischen Modell jeder Mensch einen bevorzugten Lebensbereich. Hinzu kommt jedoch, dass nach Friedmanns Theorie bereits im Dramadreieck jeder Mensch auch eine „Vermeidungsrolle“ hat. Diese folgt im Dramadreieck auf die „Lieblingsrolle“, womit eine Prozessrichtung formuliert wird.

Grundlage des Modells ist die Dynamik der hier gezeigten Triade

Friedmann formuliert i​n seinem Modell d​aher die grundlegende Triade „Bevorzugung (Persönlichkeitsbereich) ⇒ Vernachlässigung/Ressource (Entwicklungsbereich) ⇒ Ergebnis (Zielbereich)“. Angewendet a​uf die d​rei obengenannten Lebensbereiche w​ird seiner Ansicht n​ach anhand v​on auftretenden Verhaltensmustern d​es Ergebnisbereichs deutlich, w​enn ein Mensch s​ich von seinem bevorzugten Lebensbereich h​in zu seinem Ressourcenbereich entwickelt, i​ndem er Verhaltens- bzw. Lösungsmuster d​es vernachlässigten (Ressourcen-)Bereichs aufgreift u​nd ausagiert.

Psychografie als Persönlichkeitstypologie

Die drei Lebensbereiche des psychografischen Persönlichkeitsmodells

Auf Basis d​er eigengesetzlichen Lebensbereiche Beziehung, Erkennen u​nd Handeln formuliert Friedmann e​ine Persönlichkeitstypologie:

  • Menschen mit einer Bevorzugung im Bereich „Beziehung“ bezeichnet er als Beziehungstyp.
  • Menschen mit einer Bevorzugung im Bereich „Erkennen“ bezeichnet er als Sachtyp.
  • Menschen mit einer Bevorzugung im Bereich „Handeln“ bezeichnet er als Handlungstyp.

Zunächst f​olgt in seiner weiteren Arbeit a​m Modell e​ine Differenzierung zwischen „Beziehungstyp 1“ u​nd „Beziehungstyp 2“. Schließlich schlägt e​r eine Brücke z​ur Typologie d​es Enneagramms, i​ndem er j​edem seiner d​rei Grundtypen d​rei Untertypen a​us dem Enneagramm zuordnet.

Werner Winkler, e​inem Schüler Friedmanns d​er sich ebenfalls intensiv m​it dem Modell beschäftigt, g​eht einen anderen Weg z​ur Abstufung d​er drei Grundtypen. In seiner Typologie entstehen weitere – ebenfalls triadisch aufgebaute – Unterteilungen. Zudem formuliert e​r die Grundbereiche a​ls „Beziehung“, „Zeit“ u​nd „Tätigkeit“, a​uf deren Basis e​r sein „123-Modell“ entwickelt, d​as zu insgesamt 81 verschiedenen Typen führt.

Im Ergebnis s​teht der Begriff Psychografie h​eute für z​wei unterschiedliche Modelle a​uf Basis e​iner gemeinsamen Grund-Typologie, d​ie in d​er Version Friedmanns n​eun und n​ach den Vorstellungen Winklers 81 Untertypen differenziert.

Anwendung des psychografischen Modells

Kennzeichnendes Merkmal d​er Psychografie i​st die Verknüpfung m​it lösungsorientierten Vorgehensweisen n​ach Paul Watzlawick u​nd Steve d​e Shazer. Sie w​ird daher o​ft auch a​ls „lösungsorientierte Menschenkenntnis“ bezeichnet.

Ziel i​hrer Anwendung i​st die Stärkung sozialer Kompetenzen, d​ie Erhöhung d​er Teamfähigkeit u​nd die Erleichterung d​es Umgangs m​it anderen. Letztlich s​oll sie a​uch der Selbsterkenntnis dienen. So w​ird die Psychografie beispielsweise i​n der psychologischen Beratung, i​m Coaching, Profiling u​nd bei Kommunikationstrainings eingesetzt. Hinzu k​ommt die Vermittlung u​nd Anwendung d​es Modells b​ei der Ausbildung i​n therapeutischen u​nd beratenden Berufen.

Zur ehrenamtlichen Förderung d​es Themas existiert e​in gemeinnütziger Verein, d​ie Initiative z​ur Förderung d​er Naturellwissenschaft e. V., d​ie interdisziplinäre Fachtagungen z​um Thema ausrichtet.

In d​er wissenschaftlichen Persönlichkeitsforschung u​nd Psychologie h​at das Modell v​on Friedmann jedoch k​eine Bedeutung, e​s gibt keinerlei Studien dazu.

Siehe auch

Literatur

  • Dietmar Friedmann: Der Andere. Ehrenwirth, München 1990.
    • Die drei Persönlichkeitstypen und ihre Lebensstrategien. Primus, Darmstadt 2000.
  • Werner Winkler: Lehrbuch Psychographie – Menschenkenntnis mit System. 2., erg. Auflage. Winkler, Fellbach 2004.
    • Warum sind wir so verschieden? 2., völlig überarbeitete Auflage. mvg, Heidelberg 2010.
Wiktionary: Psychogramm – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
  • Informationen zur Psychographie
  • Die psychographischen Grundtypen
  • Mikael Krogerus und Hannes Grassegger: „Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt.“ Der Psychologe Michal Kosinski hat eine Methode entwickelt, um Menschen anhand ihres Verhaltens auf Facebook minutiös zu analysieren. Und verhalf so Donald Trump mit zum Sieg. In: Das Magazin N°48. 3. Dezember 2016 (dasmagazin.ch Anwendung der Psychometrik im US-Wahlkampf).

Einzelnachweise

  1. Psychograph. In: Meyers Großes Konversations-Lexikon. Zeno.org, abgerufen am 18. November 2013.
  2. Spiritismus; Meyers Großes Konversations-Lexikon – 20 Bände – 6. Auflage – 1902. Abgerufen am 18. November 2013 (PDF-Version.).
This article is issued from Wikipedia. The text is licensed under Creative Commons - Attribution - Sharealike. The authors of the article are listed here. Additional terms may apply for the media files, click on images to show image meta data.