Postironie
Der Begriff Postironie (lat. post: hinter, nach; griech. εἰρωνεία, eironeía: Täuschung, Verstellung) bezeichnet eine differenzierte Haltung zur Figur der Ironie.
Begriff
Analog zur Dekonstruktion der „großen Erzählungen“ (z. B. Fortschritt, Vernunft, Kunst) der Moderne im Zuge postmoderner Diskurse, insbesondere mit Blick auf Jean-François Lyotards Bericht Das postmoderne Wissen[1], setzt sich die Form der Postironie kritisch mit den Implikationen eines relativierten Wahrheitsbegriffes auseinander. Während sich die traditionelle Figur der Ironie stets auf ein Positiv beziehen konnte, zieht dessen Relativierung unvermeidlich und folgerichtig auch Konsequenzen für sein ironisches Komplement nach sich: die Ironie verliert ihre ursprüngliche ambivalente Funktion und wird als bloße rhetorische Figur zur Immunisierung einzelner Sprechakte zunehmend zum trivialen Winkelzug: Unter Verweisung auf die Möglichkeit der Ironie kann Festlegung und Verantwortung für Gesagtes vermieden werden. Postironie dagegen ist weder als die Artikulation des Wunsches nach prä-ironischer Einfachheit, noch als strikte Anti-Ironie misszuverstehen; vielmehr ist sie als sinnstiftende Empfehlung zur Haltung zu begreifen. Eine verantwortungsbewusste Haltung, die Ironie ernst nimmt – und diese unter den Bedingungen der Gegenwart wieder produktiv zu nutzen verspricht. All das schließt Sinn für Humor nicht aus.
Die Post-Ironie ist eine Ausdrucksform, die Humor täuschend zur Konstruktion einer Aussage benutzt. Der Anwender dieses pseudo-rhetorischen Mittels versucht also eine Aussage zu formulieren ohne den dafür notwendigen Ernst. Humor unterscheidet sich im Kern dabei jedoch von der bloßen Aussage durch ihre charakteristische Überspitzung aus Zweifel. Das Zweifeln jedoch vorzutäuschen und eine dadurch lose Aussage zu formulieren für den Zweck einer Publikumsinspektion, ist eine Art der Heuchelei. Die Post-Ironie dient zum Zweck, um dem Täuscher bei fehlender Aussagekraft seiner Verzerrung, sich in die überspitzende Aussage des Humors zurückzuziehen, welche ihm oder ihr Schutz bei Häme bietet. Der Post-Ironiker nimmt also in seiner Prämisse die Verzerrung von Tatsachen in Kauf. Der dafür aufgewendete zynische Humor ist für den Komiker eine Angriffsfläche, welchen er mit der Post-Ironie zu lösen versucht. Durch die gezielte Täuschung kann man die Post-Ironie zum dialektischen Sophismus zählen.
Beispiele
The Savage Girl (2001)
In Alex Shakars im Trendscout- und Werbemilieu angesiedelten Debüt-Roman The Savage Girl[2] aus dem Jahr 2001 wird das Zeitalter der Postironie verkündet, das sich durch das Phänomen des Zweifelns über Zweifel auszeichne. Die Ironie, seit jeher mächtigste Waffe der Gegenkultur, sei zum zentralen Stilmittel der Werbung degeneriert und habe so ihre oppositionelle Kraft verloren. Durch „ironischen Ernst“[3] könne der Lähmung durch den – teils sogar ins Zynische umschlagenden – allgegenwärtigen Zweifel begegnet werden. Shakar präsentiert mit seinem Konzept der Postironie eine mögliche Lösung des Dilemmas: "postirony, the whole new era to come. And if I'm right, everybody wins."[4]
Com&Com (2008)
Das Schweizer Künstlerduo Com&Com publizierte im Jahr 2008 ein sogenanntes „Postironisches Manifest“[5]. Da die Künstler bis dahin insbesondere mit ironisch-provokanter Kommunikations- und Aktionskunst in Erscheinung traten, war der Rezipient gezwungen, sich zur Form der Ironie selbst zu verhalten. Dieser Umstand eröffnete für Kunst wie Philosophie neue Zugänge zu vermeintlich der Vergangenheit angehörenden Fragestellungen und Themen (wie Schönheit, Einfachheit, Kreativität, Sinnstiftung oder Verantwortung).
Literatur
- Lukas Hoffmann: Postirony: The Nonfictional Literature of David Foster Wallace and Dave Eggers, transcript Verlag, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8376-3661-1.
- Markus Heinzelmann, Stefanie Kreuzer (Hrsg.): Neues Rheinland. Die postironische Generation, Berlin 2010, ISBN 978-3-942405-20-1.
- Diana Porr: Postironie, in: Johannes M. Hedinger, Marcus Gossolt (Hrsg.): "Lexikon zur Zeitgenössischen Kunst. La réalité dépasse la fiction", Sulgen/Zürich 2010, ISBN 978-3-721-20734-7, S. 135.
- Sebastian Plönges: Postironie als Entfaltung, in: Torsten Meyer, Wey-Han Tan, Christina Schwalbe, Ralf Appelt (Hrsg.): "Medien und Bildung. Institutionelle Kontexte und kultureller Wandel", Wiesbaden 2011, ISBN 978-3-531-17708-3, S. 438–446.
Weblinks
Einzelnachweise
- Lyotard, Das postmoderne Wissen, Wien: Passagen 1999; orig.: La Condition postmoderne: Rapport sur le savoir, Paris 1979.
- Alex Shakar, The Savage Girl, New York: Harper 2001.
- Shakar, S. 140: "What is postirony? Postirony is ironic earnestness."
- Shakar, S. 124.
- Com&Com, First Postironic Manifesto, http://www.postirony.com/.