Poppa von Bayeux
Poppa von Bayeux (in den Quellen Popa geschrieben) war die Ehefrau oder frilla (More danico) des Normannen Rollo (* wohl 846, † 931[1]).
Nachkommen
Poppa und Rollo hatten mindestens zwei Kinder:
- Wilhelm Langschwert (* 900/905[2], † ermordet 17. Dezember 942), Graf von Rouen
- Gerloc, die auf den Namen Adele getauft wurde († nach 969)
Herkunft
Poppas Herkunft ist nicht gesichert, da drei Überlieferungen vorhanden sind, von denen bereits im 11. Jahrhundert bekannt war, dass sie sich widersprechen:
- Die den Ereignissen am nächsten liegende Aussage zu Poppa (bzw. der hier namenlosen Mutter Wilhelm Langschwerts) stammt aus dem 10. Jahrhundert und einem Klagelied zum Tod Wilhelms, dem zufolge er jenseits des Meeres („transmarinus“) als Kind eines (damals noch) heidnischen Vaters und einer christlichen Mutter geboren wurde.[3] Der Historiker Jean Renaud vertritt auf dieser Basis die Ansicht, dass Poppa eine Konkubine Rollos war, die als Schafhirtin von den Hebriden kam.[4]
- Der Chronico Rotomagensi und den Annales Rotomagensi (11. Jahrhundert) folgend war Poppa die Tochter des Grafen Guido (Gui, Wido) von Senlis und Schwester des Grafen Bernhard von Senlis, die Rollo nach dem Tod seiner Ehefrau Gisla im Jahr 913 heiratete, beider Sohn ist Wilhelm Langschwert[5]. In dieser Überlieferung tritt Bayeux als Herkunftsort Poppas nicht auf.
- Diesen findet man lediglich in der dritten Überlieferung. Dudo von Saint-Quentin, der erste Chronist der Normandie, berichtet in seinen 1015–1026 abgefassten De moribus et actis primorum Normanniae ducum, dass Rollo Poppa geheiratet habe, die Tochter des Grafen Berengar, und dass Wilhelm das gemeinsame Kind sei[6], aber auch, dass Bernhard von Senlis der Bruder der Mutter Wilhelm Langschwerts gewesen sei,[7] eine Kombination, die nicht möglich ist, da Bernhard von Senlis nicht der Sohn Berengars ist.[8]
Dudo von Saint-Quentin erhielt seine Informationen weitgehend – wie er selbst schreibt – als mündlichen Bericht von Raoul d’Ivry, Graf von Bayeux und durch die gemeinsame Mutter Sprota ein Halbbruder von Rollos Enkel Richard I.[9] Die Berichte Dudos sind als fehlerbehaftet bekannt, werden daher von einigen Forschern generell als wenig zuverlässig gesehen und bis zu Rollos Sesshaftigkeit in der Normandie, also bis zum Jahr 911, als Fantasiegebilde abgelehnt, wovon auch die Geschichte der Poppa „von Bayeux“ aus den 880er Jahren betroffen wäre[10].
Die späteren Chronisten Wilhelm von Jumièges († nach 1070), Ordericus Vitalis († 1142) und Wace († nach 1174) stützen sich auf Dudo, weichen in Details zum Teil ergänzend ab. Nach Wilhelm von Jumièges war Poppa die Tochter eines Adligen namens Berengar und wurde von Rollo bei der Eroberung Bayeux‘ entführt, der sich danach mit ihr „nach Art der Dänen“ („More danico“) verband, wobei er als Nachkommen außer Wilhelm auch eine Tochter Gerloc erwähnt[11]. Ordericus Vitalis berichtet, dass Rollo Bayeux erobert, dessen Grafen Berengar getötet und Berengars Ehefrau und Tochter Poppa entführt habe[12]; an anderer Stelle datiert er die Eroberung von Bayeux auf das Jahr 886 und erwähnt, dass Rollo Poppa geheiratet habe[13].
Die Widersprüchlichkeiten in den drei Überlieferungen waren bereits im 11. Jahrhundert aufgefallen.
- Wilhelm von Jumièges berichtet (angesichts des Raubs Poppas 886 und des Berichts von Rollos Witwenschaft und Heirat mit Poppa im Jahr 913), dass Rollo Poppa verstoßen, später aber ein zweites Mal geheiratet habe[14].
- Robert von Torigni kombiniert die Informationen dahingehend, dass Poppa die Tochter Berengars von Bayeux und Enkelin Guis von Senlis gewesen sei[15].
Auch in der aktuellen Forschung gibt es zahlreiche Versuche, die Widersprüche durch Interpretation der Angaben in den Griff zu bekommen.
- Bernhard von Senlis sei nicht der Bruder, sondern der Schwager Berengars gewesen, d. h. der Ehemann einer Tante mütterlicherseits Wilhelms – eine Ausdehnung des Begriffs „avunculus“ auf den angeheirateten Onkel[16].
- Dudo von Saint-Quentin habe Poppa mit Sprota, der Konkubine Wilhelms verwechselt, die tatsächlich aus der Bretagne stammt[17].
- Berengars Witwe heiratete den Grafen Guido von Senlis, dessen Stieftochter Poppa somit wurde. Bernhard von Senlis wäre damit als Halbbruder der Mutter der „Halbonkel“ mütterlicherseits Wilhelms[18].
- Dudos Bericht (und der seiner Nachfolger) sei abzulehnen, das Klagelied die Chroniken aus Rouen hingegen gäben die tatsächlichen Ereignisse wider: um 905 sei Rollo der Vater Wilhelms geworden, die Mutter habe vielleicht Popa geheißen, Tochter des Grafen Guido von Senlis und Schwester des Grafen Bernhard von Senlis (womit eine Ehefrau Gisla ebenfalls abgelehnt wird)[19].
Quellen
- Gaston Paris, Jules Lair: Complainte sur l'assassinat de Guillaume Longue-Epée, duc de Normandie, poème inédit du Xe siècle, Bibliothèque de l'école des chartes, Band 31, Nr. 31 (1870), S. 389–406 online
- François Guizot (Hg): Histoire des ducs de Normandie, par Guillaume de Jumiège (1826)
- Elisabeth M. C. Van Houts (Übers. und Hg.): The Gesta Normannorum Ducum of William of Jumièges, Orderic Vitalis and Robert of Torigni (1995)
- Marjorie Chibnall (Hg.): The Ecclesiastical History of Orderic Vitalis, Band II (Oxford Medieval Texts, 1969–80)
- Dom Martin Bouquet: Recueil des Historiens des Gaules et de la France IX (1752), Neuausgabe von Léopold Delisle 1874:
- 886 – Ordericus Vitalis (S. 11)
- 913 – Chronico Rotomagensi (S. 88)
- Léopold Delisle (Hg.): Chronique de Robert de Torigni, abbé de Mont-Saint-Michel (1872) online
- Dudo von Saint-Quentin: De gestis Normanniæ ducum seu de moribus et actis primorum Normanniæ ducum, hg. von Jules Lair, Mémoires de la Sociéte des antiquaires de Normandie XXIII (1865) online
Literatur
- Pierre Bauduin: Des raids scandinaves à l’établissement de la principauté de Rouen, in: Elisabeth Deniaux, Claude Lorren, Pierre Bauduin, Thomas Jarry : La Normandie avant les Normands, de la conquête romaine à l’arrivée des Vikings, Rennes, Éditions Ouest-France Université, (2002), ISBN 2-7373-1117-9).
- Joseph Dépoin: Les compagnes de Rollon, in: La Société historique du Vexin et le millénaire normand (1911), S. 19–48
- David C. Douglas: Rollo of Normandy, in: The English historical review 57 (1942), S. 417–436
- Katharine Keats-Rohan: Poppa de Bayeux et sa famille, in: Onomastique et Parenté dans l'Occident médiéval, Oxford, Prosopographica et genealogica (2000) 310 S., ISBN 1-900934-01-9, S. 140–153
- René Merlet, Origine de la famille des Bérenger comtes de Rennes et ducs de Bretagne (1925) S. 549–561
- Henri Prentout: Étude critique sur Dudon de Saint-Quentin et son histoire des premiers ducs normands (1916)
- Jean Renaud, Sigrid Renaud: Rollon, chef viking, Éditions Ouest-France Université (2006), ISBN 978-2-7373-3592-1
- Detlev Schwennicke: Europäische Stammtafeln, Band II (1984), Tafel 79
- Christian Settipani: La préhistoire des Capétiens, 1. Teil: Mérovingiens, Carolingiens et Robertiens (1993), S. 218–219
Anmerkungen
- Schwennicke
- Schwenicke: * wohl 900, Settipani: * erst gegen 905
- „Hic in orbe transmarino natus patre / In errore paganorum permanente / Matre quoque consignata alma fide / Sacra fuit lotus unda“ (Paris/Lair, S. 5)
- Prentout sieht sie als Engländerin (S. 177–179)
- „mortua est Gilla, absque omni prole, et Rolle duxit Popam uxorem, filiam Widonis comitis Silvanectensis, sororem Bernardi de qua genuit Wilhelmum“, Annales Rotomagensi (bei Depoin, S. 44), und „mortua a Gisla, accepit Rollo propriam uxorem filiam comitis Silvanectensis Widonis“, Chronico Rotomagensi 913, RHGF IX., S. 88
- II.16: „Transacto vero anno, circumstante Parisius obsidione, Rollo Baiocas petit, eamque violenter cepit, totamque funditus subvertit, captivosque et prædam totius regionis sibi vindicavit. Quin etiam quamdam Popam virginem, specie decoram, superbo sanguine concretam, prævalentis principis Berengarii filiam, secum lætus adduxit eamque sibi connubio ascivit, et ex ea filium nomine Willelmum genuit.“
- III.45: „ad Bernardum Silvanectensem, meum avunculum“
- Settipani, S. 219
- Merlet, S. 556–557
- Prentout und Douglas, S. 424, Nr. 5, und S. 435
- Wilhelm von Jumièges, Gesta Normannorum Ducum II.12 (nach Lair, De gestis Normanniæ, S. 157, Fußnote b): „Exploratores superveniunt, nuntiautes Baiocacensem urbem a defensoribus vacuam esse et absque detrimento cujuslibet victoris sacillime capi. Illico, avulsis ab obsidione navibus [Rollo], Baiocassium velivolo venit cursu. Quam captam aliquatenus subvertit, habitatoribus ejus interfectis. In qua nobilissimam quamdam puellam, nomine Popam, filiam scilicet Berengarii, illustris vir, capiens, non multo post, more danico, sibi copulavit, ex qua Willelmum genuit filiamque nomine Gerloc valde decoram. Ea sic urbe demolita Rollo concite Lutetiam regreditur.“
- Ordericus Vitalis, Band II, Buch III, S. 7
- Ordericus Vitalis I 886, RHGF IX, S. 11
- Wilhelm von Jumièges II.22
- „912 Baptizatus est Rollo dux Northmannorum… et Rollonem, deditque ei Karolus filiam suam nomine Gislam: qua mortua sine filiis, Rollo accepit Popam, prius repudiatam uxorem, de qua genuerat Willermum Longam Spatam et Gerloch filiam, scilicet berengarii, comitis Baiocensis, neptem vero Widonis comitis Silvanectensis.“ (Delisle, S. 14/15, eine ähnliche Aussage findet sich zum Jahr 876 (S. 13), wird aber offenbar auf das Jahr 912 bezogen („Rollo autem dux…“))
- Merlet, S. 557, Fußnote 2
- Depoin, S. 47–48, und Douglas
- Charles Cawley bei Medieval Lands (siehe Weblink)
- s. Settipani S. 219, Fußnote 205