Nullung
Die Nullung (Erdung) ist eine Schutzmaßnahme gegen Personenschäden bei indirektem Berühren von elektrischen Leitern. Eine Nullung bzw. Erdung wird allgemein vorgenommen, indem die elektrisch leitfähigen und berührbaren Gehäuse von Betriebsmitteln („Körper“) mit einem Schutzleiter verbunden werden.
Der Begriff Nullung ist aus den deutschen VDE-Normen und der schweizerischen NIN weitgehend eliminiert und durch die Begriffe Schutzerdung und Schutzpotentialausgleich abgelöst. Einzig in der österreichischen ÖVE/ÖNORM E 8001-1:2010 und im österreichischen Elektrotechnikgesetz (ETG) 1992 wird der Begriff weiterhin in der gewohnten Art verwendet.
Nullungsarten
Man unterscheidet die Nullung ohne besonderen Schutzleiter, oft als Klassische Nullung bezeichnet, bei der der PEN-Leiter sowohl als Neutralleiter als auch als Schutzleiter dient (TN-C-Netz), und die Nullung mit besonderem Schutzleiter, gelegentlich als stromlose oder moderne Nullung bezeichnet, bei der separate PE- und N-Leiter gegeben sind (TN-S-Netz).
Nullung ohne besonderen Schutzleiter
Die Nullung ohne besonderen Schutzleiter, in der Schweiz Nullung Schema III, allgemein als klassische Nullung bekannt, führte um etwa 1913 die damalige AEG ein. Zuvor (etwa um 1885) war wohl die Schutzerdung in Systemen ohne Neutralleiter (also in Netzen mit 3 × 220 V, in denen zugleich ein metallenes Wasserrohrnetz zur Verfügung stand) das älteste bekannte Schutzsystem.
Die klassische Nullung birgt Gefahren in sich, wenn der PEN-Leiter unterbrochen wird und der Außenleiter weiterhin mit einem Verbrauchsmittel verbunden ist. Dann liegt an berührbaren Teilen von Gehäusen die volle Spannung des Außenleiters gegen Erde an, heute also in der Regel 230 V. Auch im normalen Betrieb liegt an den Gehäusen eine gewisse geringe Spannung gegen Erde an, die nach dem Ohmschen Gesetz durch den (geringen) Widerstand des PEN-Leiters selber und den durch ihn fließenden Strom verursacht wird. In mehrphasigen Installationen kommt es außerdem bei ungleichmäßiger Belastung der Außenleiter zu Nullpunktverschiebungen. Dies ist ebenfalls dem Spannungsabfall auf dem Nullleiter geschuldet. Das führt auch dazu, dass auf Potentialausgleichsleitungen (Verbindung des PEN mit geerdeten Teilen, z. B. der Wasserinstallation) Ströme fließen können, die u. U. zur Überlastung der Erdverbindung führen. In der DDR kam hinzu, dass Aluminiumkabel installiert wurden, die per se unzuverlässige Klemmstellen aufwiesen.
Aus diesen Gründen ist die „klassische Nullung“ in Deutschland seit dem 1. Mai 1973, in der Schweiz seit dem 1. Januar 1974 für Neuanlagen verboten. Für in Bau befindliche Anlagen gab es in Deutschland eine Übergangsfrist bis 31. März 1974. Nullungs-Verbindungen dort dürfen nur noch mit Leitern mit einem Querschnitt von mindestens 10 mm² Kupfer oder 16 mm² Aluminium durchgeführt werden (erstmals mit VDE 0100/5.73 § 10 a) 2.1.)[1]
Bestandsschutz
Der Bestandsschutz erlaubt es, Anlagen weiter zu betreiben, die nach früheren Normen errichtet wurden (und diesen noch entsprechen), wenn keine wesentlichen Änderungen vorgenommen werden. Erweiterungen müssen aber ab Übergangspunkt zur alten Anlage in jedem Falle nach aktuellen Normen errichtet werden.
Deutschland
Was in Deutschland nach früher gültigen Normen (auch TGL) errichtet wurde, muss aufgrund des im Baurecht verankerten Bestandsschutzes nur dann geändert (angepasst) werden, wenn dies in der DIN VDE 0100 (VDE 0100 bis 1976) festgelegt wurde. Das Auswechseln von elektrischen Betriebsmitteln bedarf keiner Anpassungen an die aktuellen Normen, wenn die neuen Betriebsmittel exakt die gleiche Funktion des alten Betriebsmittels haben. Demnach hat die „Nullung – hergestellt durch den Anschluss der zu schützenden Anlagenteile an den Nullleiter“, heute als PEN-Leiter bezeichnet (z. B. nach VDE 0100/12.65, § 10N, a – oder in TGL 200-0602/03, Abschnitt 9.3), in den neuen und alten Bundesländern Bestandsschutz.
Schweiz
In der Schweiz fehlen rechtliche Grundlagen für eine Nachrüstungspflicht, weswegen Anlagen den zum Erstellungszeitpunkt gültigen Regeln und Vorschriften gemäß Art. 3 NIV entsprechen muss (Bestandsschutz), solange daran keine Änderungen vorgenommen worden sind. Allerdings werden im Rahmen periodischer Kontrollen (Art. 36 NIV) den Eigentümern schriftlich mitgeteilt, dass die Einrichtung veraltet ist.
Verbesserung des Schutzes
Obwohl ältere Anlagen bedingt durch den Bestandschutz nur bei wesentlichen Änderungen oder Erweiterungen nachgerüstet werden müssen, ist es sinnvoll, zumindest für „Räume mit Badewanne oder Dusche“ auf aktuellen Standard mit gesondertem Schutzleiter und Fehlerstrom-Schutzschalter (RCD) nachzurüsten (DIN VDE 0100-700:2008-10).
Seit dem 1. Juni 2007 (mit Übergangsfrist bis zum 1. Februar 2009) sind gemäß DIN VDE 0100-410:2007-06, Abschnitt 411.3.3 außerdem alle Steckdosen in Neuanlagen, welche durch elektrotechnische Laien genutzt werden, mit einer Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) mit einem Bemessungsdifferenzstrom von maximal 30 mA auszustatten (in Innenräumen Steckdosen bis 20 A, im Außenbereich bis 32 A für den gesamten die Steckdosen versorgenden Stromkreis).
Seit dem 1. Oktober 2018 (mit Übergangsfrist bis zum 7. Juli 2020) wurde der Abschnitt 411.3.3 in der DIN VDE 0100-410 (VDE 0100-410):2018-10 weiter angepasst. Auch Steckdosen im Innenbereich mit bis zu 32 A Bemessungsstrom benötigen eine Fehlerstrom-Schutzeinrichtung (RCD) mit einem Bemessungsdifferenzstrom nicht größer als 30 mA. Steckdosen können davon ausgenommen werden, wenn Maßnahmen ergriffen werden (eine Gefährdungsbeurteilung nach Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) ist dafür notwendig), welche die allgemeine Verwendung (z. B. durch den elektrotechnischen Laien) dauerhaft ausschließt.
Deutschland
Neuanlagen sind vor der Erstinbetriebnahme gemäß DIN VDE 0100-600:2017-06 zu prüfen und die Prüfungsergebnisse sind zu dokumentieren. Eine ursprünglich auch für wiederkehrende Prüfungen nutzbare DIN VDE 0100-610 wurde mit Übergangsfrist bis 1. September 2009 zurückgezogen. Wiederkehrende Prüfungen werden in Deutschland nach der DIN VDE 0105-100:2009-10 behandelt. Diese Norm beinhaltet regelmäßige Zeitabstände für Prüfungen an Betriebsstätten, enthält aber keine verbindlichen Prüfabstände für Wohnungen und sonstigen Privatbereich. Eine oftmals publizierte Feststellung, dass Versäumnisse daraus Auswirkungen auf den Versicherungsschutz haben, ist für den Privatbereich nicht nachvollziehbar.
Vereinfacht gesagt ist sicherzustellen, dass die Anlage den Normen, die zum Zeitpunkt der Errichtung maßgeblich waren, entspricht. Siehe dazu die Aussage in Anmerkung 1 auf Seite 19 der VDE 0105-100: „Bestehende Anlagen können in Übereinstimmung mit früheren Ausgaben der Normenreihe (DIN) VDE 0100 geplant und errichtet worden sein, die zur Zeit der Planung und Errichtung anzuwenden waren. Dieses bedeutet nicht notwendigerweise, dass diese Anlagen unsicher sind.“
Österreich
Für Österreich schreibt die zum Elektrotechnikgesetz 1992, BGBl. Nr. 106/1993 erlassene Elektrotechnikverordnung 2002, BGBl II 223/2010 bei Neuvermietung einer Wohnung eine Prüfung der elektrischen Anlage und gegebenenfalls Nachrüstung vor:
- Auszug: § 7a ETV. Bei Vermietung einer Wohnung gemäß § 2 Abs. 1 MRG, BGBl. Nr. 520/1981 igF, ist sicherzustellen, dass die elektrische Anlage der Wohnung den Bestimmungen des ETG 1992 entspricht …bei Anlagen, die über keinen Zusatzschutz gemäß ÖVE/ÖNORM E 8001-1:2000-03-01, in der Fassung der Änderungen ÖVE/ÖNORM E 8001-1/A1:2002-04-01, ÖVE/ÖNORM E 8001-1/A2:2003-11-01, ÖVE/ÖNORM E 8001-1/A3:2007-10-01 und ÖVE/ÖNORM E 8001-1/A4: 2009-04-01, verfügen, ist, unbeschadet des vorhandenen Anlagenzustandes, der Schutz von Personen in der elektrischen Anlage durch den Einbau mindestens eines Fehlerstrom-Schutzschalters mit einem Nennfehlerstrom von nicht mehr als 30 mA, unmittelbar vor den in der Wohnung befindlichen Leitungsschutzeinrichtungen, sicherzustellen.... Jedenfalls ausreichend ist eine schriftliche Dokumentation, aus der die Erfüllung der im Text genannten Sachverhalte ersichtlich ist (z. B. Prüf-Befund der Bundesinnung der Elektro- und Alarmanlagentechniker sowie Kommunikationselektroniker, Prüfprotokoll gemäß TAEV, Elektrobefund für Wiener Wohnen etc.).
Normen
- VDE 0100/5.73 Bestimmungen für das Errichten von Starkstromanlagen mit Nennspannungen bis 1000 V (zurückgezogen 2008-09)
- DIN VDE 0100-100:2009-06 DIN Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 1: Allgemeine Grundsätze, Bestimmungen allgemeiner Merkmale, Begriffe (IEC 60364-1:2005, modifiziert)
- DIN VDE 0100-410:2007-06 Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 4-41: Schutzmaßnahmen – Schutz gegen elektrischen Schlag (IEC 60364-4-41:2005-12, modifiziert)
- DIN VDE 0100-600:2008-06 Errichten von Niederspannungsanlagen – Teil 6: Prüfungen (IEC 60364-6:2006, modifiziert)
- DIN VDE 0105-100:2009-10 Betrieb von elektrischen Anlagen
- ÖVE/ÖNORM E 8001-1:2010-03 Errichtung von elektrischen Anlagen mit Nennspannungen bis AC 1000 V und DC 1500 V Teil 1: Begriffe und Schutz gegen elektrischen Schlag (Schutzmaßnahmen)
- NIN 2010 (SEV 1000) Niederspannungsinstallationsnormen (Schweiz)
Literatur
- Wilhelm Rudolph: VDE Schriftenreihe 39; „Einführung in DIN VDE 0100“, Elektrische Anlagen von Gebäuden. 2. Auflage. VDE Verlag GmbH, Berlin und Offenbach 1999, ISBN 3-8007-1928-2.
Siehe auch
Einzelnachweise
- Wilhelm Rudolph: VDE Schriftenreihe 39, Einführung in DIN VDE 0100. 2009, S. 107.