Novellae
Die Novellae (kurz: NJ, hergeleitet aus Novellae Iustiniani; gelegentlich: Nov.)[1] sind eine teilweise in Latein, vornehmlich aber in Griechisch[2] gehaltene Sammlung von Nachtragsgesetzen (leges novellae) aus der justinianischen Zeit nach 535. Sie sind Anhangsbestandteil des später so genannten Corpus iuris civilis,[3] zu dem auch die Institutionen (für Studienanfänger), die Digesten (für Fortgeschrittene) und der Codex Iustinianus mit den Kaiserkonstitutionen von Hadrian bis Justin I. gehören.[4]
Die Abfassung der Gesetze in Griechisch bedeutete eine Kehrtwende in der juristischen Fachsprache. Latein wurde als Gesetzessprache verdrängt. Auch Paraphrasen und Kommentare wurden in Griechisch eingefügt. Leo VI. unterzog das Werk einer Revision und veröffentlichte das Ergebnis nebst Anmerkungen und Hinweisen unter dem Titel Basiliken.[5]
Zwar war die große Kodifikation publiziert worden, infolge fortlaufender Reformgesetzgebungen wurde jedoch eine zweite Fassung des Codex Iustinianus nötig, damit der Anspruch auf ein umfassend geltendes Gesamtrecht verfolgt werden konnte. 534 wurde deshalb der Codex repetitae praelectionis präsentiert. Da der Kaiser mit teils umfangreichen Einzelgesetzen in den Bestand der Rechtsordnung eingegriffen hatte und insbesondere Teilgebiete des Privatrechts, vornehmlich des Familien- und Erbrechts neu ordnen ließ, bedurfte es ergänzender Nachtragsgesetze (novellae).[1]
Justinian sah sich den Umständen ausgesetzt, dass er die Gesetzgebung häufig an die sich wandelnden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anpassen musste. Zwischen 535 bis 539 erließ er daher reihenweise Novellen. Die Regelungen enthielten häufig keine neuen Grundsätze, allein situativ erforderliche Maßnahmen bedurften immer wieder des gesetzlichen Formats. Mit Inkrafttreten des „neuen“ Codex wurden Ende 534 auch die ersten Novellae promulgiert. Wenngleich in Aussicht genommen, wurden die Gesetzesnachträge während Justinians Regentschaft[1] wohl nie offiziell kompiliert.[6] Die Forschung geht bis heute davon aus, dass sie sich erstmals in zwei Privatsammlungen wiederfinden, einerseits in der Epitome Iuliani und andererseits im Authenticum. Die Niederschrift der Epitome gilt für das Jahr 556 als nachgewiesen, für das Authenticum besteht lediglich eine Vermutung der Forschung. Einen ursprünglich ganzheitlichen Überblick über alle Novellen im jeweils ursprünglichen Urtext (in Latein beziehungsweise Griechisch) verschaffte einst die sogenannte griechische Novellensammlung. Sie umfasste wohl 168 Novellae, weil neben den justinianischen (zuzüglich der dreizehn Novellen, die anhangsweise zur Edicta Iustiniani verarbeitet worden waren) noch Konstitutionen der kaiserlichen Nachfolger Justin II. und Tiberios II. enthalten waren, ja sogar bloße Erlasse von Prätorianerpräfekten (praetorii).[1]
Justinians Streben nach der Vereinheitlichung allen Rechts, wurde von der Kirche aufgegriffen. Er eröffnete dem Recht den Weg zu einer christianisierten Weltanschauung, weshalb summarisch attestiert werden kann, dass das weltliche und das kirchliche Recht unter seiner Ägide zusammenzuwachsen begannen.
Nicht zu verwechseln sind die Novellae mit den Leges novellae, die sich auf die Gesetzgebung der Kaiser Theodosius II., Valentinian III. und Majorian beziehen.
Literatur
- Gustav Friedrich Hänel (Hrsg.): Iuliani Epitome Latina Novellarum Iustiniani, Leipzig 1873.
- Wolfgang Kaiser: Authentizität und Geltung spätantiker Kaisergesetze (= Münchener Beiträge zur Papyrusforschung und antiken Rechtsgeschichte. Heft 96). Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-55121-5, S. 251 ff.
- Wolfgang Kaiser: Die Zweisprachigkeit reichsweiter Novellen unter Justinian. Studien zu den Novellen Justinians. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Romanistische Abteilung. Bd. 129, Heft 1, 2012, S. 392–474, doi:10.7767/zrgra.2012.129.1.392.
- Wolfgang Kaiser: Wandlungen im Verständnis der Epitome Iuliani von der Spätantike bis zur Gegenwart, in: Martin Avenarius (Hrsg.), Hermeneutik der Quellentexte des Römischen Rechts, Baden-Baden 2008, S. 300–353.
- Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte, 14. Auflage. UTB, Köln/Wien 2005, § 11, S. 208–223 (Die Rechtsentwicklung der Spätzeit bis auf Justinian).
- Franz Wieacker: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit. Unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung (= Jurisprudenz in Einzeldarstellungen. Bd. 7, ZDB-ID 501118-8). 2., neubearbeitete Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1967.
- Bastian Zahn: Einführung in die Quellen des römischen Rechts. In: JURA – Juristische Ausbildung, 2015, S. 453 f.
Anmerkungen
- Wolfgang Kunkel, Martin Schermaier: Römische Rechtsgeschichte, 14. Auflage. UTB, Köln/Wien 2005, § 11, S. 221–223 (Die Rechtsentwicklung der Spätzeit bis auf Justinian).
- Herbert Hausmaninger, Walter Selb: Römisches Privatrecht. Böhlau, Wien 1981 (9. Aufl. 2001), ISBN 3-205-07171-9, S. 55 f.
- Corpus Iuris Civilis ist kein zeitgenössischer Begriff, er entstammt der humanistischen Epoche des ausklingenden 16. Jahrhunderts und wurde durch Dionysius Gothofredus im Jahr 1583 geprägt.
- Heinrich Honsell: Römisches Recht. 5. Auflage, Springer, Zürich 2001, ISBN 3-540-42455-5, S. 17 f.
- Jan Dirk Harke: Römisches Recht. Von der klassischen Zeit bis zu den modernen Kodifikationen. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57405-4 (Grundrisse des Rechts), § 2 Rnr. 3, S. 21.
- Tony Honoré: Justinian’s Codification in: The Oxford Classical Dictionary 803 (Hersg: Simon Hornblower und Antony Spawforth), 2003; Timothy G. Kearley: The Creation and Transmission of Justinian’s Novels.