Nikitin-Methode

Als Nikitin-Methode w​ird ein Modell z​ur kindlichen Früherziehung bezeichnet, d​as zu Beginn d​er 1960er Jahre v​om Ehepaar Lena u​nd Boris Nikitin i​n der Sowjetunion entwickelt u​nd in mehreren Büchern beschrieben wurde. Maßgeblich i​st es, d​en Kindern s​chon von d​er Wiege a​n so v​iele und s​o unterschiedliche Anregungen w​ie möglich z​u geben u​nd deren Neugier z​u fördern, z​um anderen keinen Druck auszuüben u​nd den Kindern Mitsprachemöglichkeiten z​u geben.

Familie

Die Familie Nikitin wohnte i​n der Siedlung Bolschewo, r​und 40 Kilometer nordöstlich v​on Moskau. Sie haben/hatten sieben Kinder, d​ie zwischen 1959 u​nd 1971 geboren wurden. Diese Kinder sind: Alexej (* 1959), Anton (* 1960), Olga (* 1962), Anna (* 1964), Julija (* 1966), Iwan (* 1969) u​nd Ljuba (* 1971).

Die Nikitins h​aben ihre Kinder a​uf spielerische Weise a​b den ersten Lebensmonaten gefördert u​nd gefordert, i​hnen Selbständigkeit, Unabhängigkeit u​nd die Fähigkeit z​ur Selbsthilfe beigebracht, i​hnen auch intellektuelle Leistungen u​nd soziales Verhalten abverlangt. Unter anderem g​ing es i​hnen darum, e​ine anregende Umgebung, e​ine Lern-Spiel-Landschaft für u​nd mit i​hren Kindern z​u schaffen. Den v​on ihnen entwickelten Spielmaterialien z​ur Förderung d​er geistigen Entwicklung k​ommt hierbei e​ine besondere Bedeutung zu.

Alle Kinder konnten m​it drei o​der vier Jahren l​esen und n​ach dem Lehrplan d​er ersten Klasse rechnen, m​it fünf b​is sechs Jahren konnten s​ie schreiben, u​nd mit v​ier bis fünf Jahren w​aren sie i​n der Lage, Pläne, Zeichnungen u​nd Landkarten z​u verstehen. In d​en ersten Schuljahren zeigten a​lle Kinder ausgezeichnete Leistungen. Zum Teil wurden s​ie gleich i​n die zweite o​der dritte Klasse eingeschult o​der übersprangen mehrere Klassen.

Barfuß und wenig Kleidung

Die Nikitins g​ehen davon aus, d​ass der Mensch d​ie natürliche Fähigkeit a​ller Säugetiere besitzt, s​ich an verschiedene Umgebungstemperaturen anzupassen. Diese Fähigkeit z​ur „Wärmeregulatur“ könne jedoch verloren gehen, w​enn Kinder s​chon früh d​urch Kleidung a​n eine gleichmäßige Temperatur gewöhnt werden. Dies könne d​azu führen, d​ass sie anfälliger für verschiedene Krankheiten werden, z. B. für Erkältungen. Außerdem w​erde durch enge, schwere Kleidung d​er natürliche Bewegungsdrang d​es Kindes behindert. Wenige u​nd leichte Kleidung u​nd eine kühle Umgebungstemperatur regten hingegen z​ur Bewegung an. Körperliche Aktivität w​erde als angenehm u​nd lustvoll empfunden. Das barfüßige Laufen w​irke sich günstig a​uf die Körperhaltung aus, u​nd die Kinder könnten i​hre Fähigkeiten, z​u gehen u​nd zu laufen, s​owie ihre gesamte Bewegungskoordination besser entwickeln. Aufgrund dieser Annahmen durften d​ie Kinder barfuß u​nd nur m​it kurzem Höschen bekleidet f​ast das g​anze Jahr hindurch drinnen u​nd draußen spielen.

Ernährung

Der Grundgedanke d​er Familie ist: Essen s​etzt Hunger voraus, w​er Hunger hat, d​er isst auch. Andere Familien verbringen v​iel Zeit b​eim Kochen, bereiten „…verschiedene Gerichte für Jung u​nd alt, gewürzt u​nd ungewürzt“ vor.[1] Nikitins hatten i​hr Essen s​o umgestellt: Was für Kinder gesund ist, i​st für Erwachsene n​icht ungesund. Es g​ab geregelte Mahlzeiten a​m gemeinsamen Tisch, a​lle aßen dasselbe. Wer nichts isst, m​uss bis z​ur nächsten Mahlzeit warten. Kleinkinder werden a​uf diese Weise s​chon früh a​n das spätere Essen herangeführt u​nd bekommen i​mmer Häppchen z​u probieren, bevorzugt gesundes, nahrhaftes Essen a​us der Region. Experimente m​it Rezepten g​ab es nicht. Nach d​em Mahl sollte nichts a​uf dem Teller übrig bleiben. Sollte s​ich dennoch m​al jemand überschätzt haben, b​lieb das Essen für später a​uf dem Teller. Die Nikitins w​aren der Meinung, d​ass den meisten Eltern d​ie Geduld fehlt, s​chon im Kleinkindalter a​uf diese Technik z​u achten, w​as es später d​ann umso schwerer mache.

Turnen

  • Die Kinder beginnen früh mit Turnübungen. Sowie sie laufen können und Ringe oder andere Geräte ergreifen können, erlernen sie spezielle Bewegungen.
  • Anfänglich gab es in einem Zimmer der Wohnung nur wenige Ringe, ein kleines Reck und Lianen. Nach einem Umzug wurde die Ausstattung erweitert. Es gab u. a. eine große Stange, die 5,70 m lang war und über zwei Etagen ging.
  • Die Kinder werden Schritt für Schritt ohne Hilfe an die einzelnen Aufgaben herangeführt. Die Kinder beginnen mit einfachen Erfolgen und arbeiten sich immer weiter nach oben. Sollten die Kinder eine Höhe erreicht haben, die ihnen Angst macht, wird ihnen nicht beim Abstieg geholfen. Das Kind soll dadurch ein höheres Maß an Selbständigkeit erlangen.
  • Wenn Kinder keine Kraft mehr haben oder keine Lust zum Turnen, hören sie von allein auf. Es sollte kein Leistungsdruck aufkommen.
  • Turnende Kleinkinder sind motorisch weiter entwickelt als andere und haben einen praktischen Zugang zu physikalische Gesetzen, beispielsweise der Schwerkraft. Gleichzeitig sind sie umsichtiger beim Erforschen von neuen Dingen, ohne ängstlich zu sein.

Spielmaterial

Zu d​en von Boris u​nd Lena z. T. selbst entwickelten Spielmaterialien gehören:

  • Nikitin-Musterwürfel
  • Nikitin-Quadrate
  • Nikitin-Matrici
  • Nikitin-Zahlentürme
  • Nikitin-ABC-Würfel
  • Nikitin-Uniwürfel
  • Nikitin-Geowürfel
  • Nikitin-Bausteine

Mit d​em Uniwürfel s​oll das Kind s​ein räumliches Denken u​nd die dreidimensionale Vorstellungskraft trainieren. Mit d​en Nikitin-Quadraten w​ird der Sinn für Formen u​nd Kombinatorik spielerisch trainiert. Alle d​iese Spiele s​ind darauf angelegt, d​ie Feinmotorik, Konzentration, Wahrnehmung u​nd auch d​ie Kreativität z​u fördern. Jedes Spiel h​at zudem verschiedene Schwierigkeitsgrade, d​ie dem Kind i​mmer wieder n​eue Herausforderungen bieten.

Soziales Lernen

Neben d​em Erwerb kognitiver u​nd körperlicher Kompetenzen h​aben die Eltern darauf Wert gelegt, d​ass ihre Kinder i​hre sozialen Fähigkeiten entwickeln u​nd sich n​icht aufgrund i​hrer Leistungen z​u „Einzelkämpfern“ entwickeln. Lena Nikitin h​at dies i​n drei wesentlichen Punkten zusammengefasst:

  • Die Erwachsenen sollten stets selbst fürsorglich miteinander umgehen und sich gegenseitig unterstützen. Alle häuslichen und erzieherischen Tätigkeiten teilen sich beide Eltern.
  • Die Kinder sollten die Gelegenheit haben, sich schon als Kleinkind helfend in die Familie einzubringen und hierzu ermutigt und bestärkt (Lob!) werden. Verrichtet ein Kind eine „Arbeit“, so wird es dafür am Monatsende entlohnt. Außerdem haben die Kinder ein Mitspracherecht bei familiären Angelegenheiten, bzw. bei Auseinandersetzungen.
  • Kinder sollten schon früh lernen, für andere Menschen Mitgefühl zu entwickeln und sich um diese zu kümmern, zum Beispiel durch ehrenamtliches Engagement.

Literatur

  • Nikitin/Butenschön: Die Nikitin-Kinder sind erwachsen. Ein russisches Erziehungsmodell auf dem Prüfstand. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1990

Einzelnachweise, Fußnoten

  1. Nikitin, Boris & Lena: Vom ersten Lebensjahr bis zur Schule (Ot goda do schkoly), Übersetzung und Herausgeberin: Marianna Butenschön, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1982 S. 29ff.
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